„Das Fußwandern ist auch eine Art Kunst
und zu jeder Kunst gehört
die nothwendige Grundlage des Handwerks.“
Taschenbuch für angehende Fußreisende, 1843
Reprint: transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, 1984
Jetzt ist es an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Rapsfelder färben die Landschaft gelb, die Linden blühen, und es duftet nach frischgemähtem Gras. Ein gewisser Vagabundentrieb regt sich. Ihn zu befriedigen eignet sich am besten, auf Wanderschaft zu gehen. Die Vorteile überwiegen. Auf keine andere Art kommt man der Natur und ihren großen und kleinen Wundern näher als zu Fuß. Es bleibt einem unbenommen, rechts oder links vom Wege abzuweichen, ganz nach Belieben. Man bricht auf, wann man will, bleibt, wo man will, trifft Entscheidungen, wie man will. Ist ein Regen niedergegangen, der einen ordentlich durchnässt hat, so ist das neuartige Gefühl zu erleben, am Abend in trockener Kleidung in einer warmen Gaststube zu sitzen.
Um mich zu vergewissern, wie das Wandern sachgemäß durchzuführen ist, suchte ich nach einem entsprechenden Leitfaden und fand ihn im oben genannten Taschenbuch, worin der Grundsatz geschrieben steht: „Der Fußgänger wird […] immer mehr finden als der zu Wagen Reisende.“ – Die Regularien für die Wanderkunst sind genau durchdacht und überzeugend beschrieben.
Als Wichtigstes gilt die Fußbekleidung. Man entscheide sich für kurze Stiefel aus Rinds- oder starkem Kalbsleder und mache sie durch kräftiges Schmieren geschmeidig und wasserdicht. Die Hemden sollen aus grobem Leinen sein, dann halten sie länger. Ein weiches Halstuch, locker und leicht gebunden, gehört auch dazu. Die Beinkleider möglichst aus Tuch, den Hosenlatz breit angelegt, damit die Knöpfe vorn für die Hosenträger weit auseinander stehen. Als Überrock wähle man einen Fuhrmannskittel in Blau (Weiß schützt zwar besser gegen die Sonne, schmutzt aber sehr schnell). Vom Frack wird abgeraten. Eine leichte Tuchmütze mit großem Schirm nicht vergessen. „Gegen einen tüchtigen Regen kann man sich im Freien doch nicht ganz schützen und endlich kann derselbe weiter nichts als naß machen.“
Der Reiseranzen (Rucksack) soll enthalten: zwei Hemden, eines davon kann man als Nachthemd nutzen. Vier bis sechs Paar Baumwollsocken (je nach Anzahl der Wandertage). Kleinere Utensilien: Kamm, Zahnbürste, Taschenmesser, Schnupftücher, Nadelbüchse und Zwirn zum Annähen von Knöpfen. Bleistift, Schreibpapier, Landkarte und ein kleines „Perspectiv“ (Fernglas). In einer schmalen Tasche, die man sich um den Bauch schnallt, werden Pass und Papiergeld verstaut. Unbedingt ein Stück Brot gegen den Heißhunger unterwegs mitführen.
Nunmehr vortrefflich ausgerüstet – bis auf das, was man vergessen hat – kann die Fußreise beginnen. Am ersten Tag nicht zu „hitzig“ gehen, denn sonst folgt ein Erschöpfungszustand, und die Wanderlust schwindet. Man handle nach dem alten Kutscherspruch: „Sachte aus dem Stall.“
„Im Frühtau zu Berge“ ist eine gute Zeit, den Tag einzuleiten. Die frische Morgenluft stärkt Leib und Seele und die müden Glieder. Zwischendurch kürzere Pausen einlegen. Die Mittagsrast etwas länger ausdehnen. Und im Wirtshaus kräftigende Nahrung zu sich nehmen: Schinken, Eier, Käse, Schwarzbrot und eine warme Suppe. Als Getränk empfiehlt Pindar Wasser, aber ein leichter Wein tut es auch.
Haben sich durch unbequemes Schuhwerk Blasen an den Füßen gebildet, „so sind diese im Grunde ein sehr unbedeutendes Übel; man braucht nur mit der Nadel einen Wollfaden hindurch zu ziehen und herzhaft darauf los zu marschieren, so sind sie in einem bis zwei Tagen geheilt.“
Bei Einkehr in einem Wirtshaus ist auf Besonderheiten zu achten. Als Fußgänger darf man nicht erwarten, wie ein Gast der Extra-Post behandelt zu werden. Zu große Bescheidenheit im Auftreten erweckt allerdings den Eindruck von Dürftigkeit, während Angeberei zur Lächerlichkeit führt. Das Wahre liegt in der Mitte. – Wird eine Übernachtung gewünscht, so sei man nicht wählerisch. „Ein Fußgänger muß auf alle Art schlafen können“, in einem Pilgerzimmer mit Bett, Tisch und Stuhl ebenso wie in einer Wäschekammer oder einem Himmelbett, welches natürlich einen Genussschlaf mit schönem Traum verspricht.
Führt die Wanderroute durch eine Ebene, kommt man mit einem zügigen Schritt gut voran, sind Berge zu ersteigen, setze man die Schritte mit Bedacht und denke daran, im Aufwärtsgehen die Füße nach innen zu drehen und beim Absteigen umgekehrt nach außen und die Knie dabei leicht zu beugen.
Das Handwerk ist gelernt! Die Linden blühen, Rapsfelder färben die Landschaft gelb, und es duftet nach frischgemähtem Gras. Man mache sich also auf und wandere.
Schlagwörter: Renate Hoffmann, Wanderer