Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger, Sparte Wirtschaft – Sie kritisierten mit Blick auf die jüngste Tagung des Weltwirtschaftsforums in Davos: „Nach vier Jahrzehnten des Eintretens für die Globalisierung ist klar, dass die in Davos vertretenen Gruppen die Dinge falsch gemanagt haben.“ Für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen sei ein Wohlstandsversprechen als Ziel formuliert worden, von dem im globalen Süden nichts angekommen sei: „Die ‚Trickle-down-Ökonomie‘ – die Behauptung, dass, wenn man die Reichen reicher macht, automatisch alle profitieren – war ein Schwindel: eine Idee ohne theoretisches oder empirisches Fundament.“ Da mag der ordinäre Betroffene jetzt mit einem hingerotzten „Schön, dassde nach vier Jahrzehnten endlich ooch ausm Muspott kommst!“ reagieren, doch wir – mit unserer ebenso gelassenen wie nachgerade legendären Höflichkeit – halten es lieber mit Schiller, Wallenstein, Die Piccolomini, I,1: „Spät kommt Ihr – doch Ihr kommt! Der weite Weg entschuldigt Euer Säumen […].“
Ach nee, den zweiten Satz lassen wir denn doch besser weg!
Jörg Steinbach und Katrin Lange (beide SPD), ministerielle Briefeschreiber aus Brandenburg – Sie wandten sich dieser Tage schriftlich an ihren Kollegen Robert Habeck (Grüne), der für Wirtschaftliches in der Bundesregierung zuständig ist. Sie treibt die Sorge um, was geschieht, wenn ein Habecksches Lieblingsembargoprojekt, die vollständige Trockenlegung der Zufuhr russischen Erdöls – die Raffinerie in Schwedt ist von diesem existenziell abhängig –, tatsächlich den Schritt von der Vision zur Wirklichkeit geht: „Ein Rückzug vom Markt, wie auch immer verursacht, würde zu mehr als 2000 Arbeitslosen und einer gesellschaftlichen Destabilisierung führen.“
Michael Kellner (Parlamentarischer Staatssekretär im Habeckschen Ministerium), sieht das lockerer. Der Bund „werde alles dafür tun“ – das ist eine sogenannte „Bemühenszusage“, also de facto nichts wert –, „um die Versorgungssicherheit für ganz Ostdeutschland zu gewährleisten“, zitiert die Berliner Zeitung Habecks Getreuen. Mit Versorgungssicherheit sind nicht die Arbeitsplätze gemeint, sondern die in Schwedt hergestellten Treibstoffe. Für die wird es ganz bestimmt andere Lieferanten geben, das gilt auch für Leuna. Man nennt so etwas Marktbereinigung. Ein kleiner Krieg ist da immer recht hilfreich. Für die Verhinderung der „gesellschaftlichen Destabilisierung“ sind Potsdam und Magdeburg zuständig. Da wird „der Bund“ sich doch nicht reinhängen! Schließlich ist der Föderalismus heilig.
In der römischen Curia, dem Sitzungssaal des Senates, soll ein altehrwürdiger Spruch aus der Gründungszeit der Ewigen Stadt angebracht gewesen sein: „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.“ Was immer du tust, tu es klug und bedenke das Ende … Die Römer hielten sich über Jahrhunderte hinweg daran. Aber das ist lange her. Uns ist das Ende egal.
Jewgeni Alexejewitsch Fjodorow, Duma-Abgeordneter der Putin-Partei „Einiges Russland“ – Sie haben einen Gesetzentwurf zur Aberkennung der litauischen Unabhängigkeit eingebracht. Diese sei rechtswidrig erklärt worden, meinen Sie. Folgt man Ihrer „Lesart“, ist Litauen Bestandteil der Russischen Föderation, da diese sich als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion betrachtet. Nach einem Moment des Kopfschüttelns stellen wir uns nun doch die Frage, ob Sie nicht möglicherweise im Auftrage „Brüssels“ handeln. Eine bessere Begründung für einen NATO-Beitritt und den Ausbau der militärischen Präsenz des Bündnisses im Baltikum kann den russischen Nachbarstaaten niemand liefern.
Gregor Gysi, linkes Urgestein mit Münster-Syndrom – Was Sie am 9. Juni 2022 im nd schrieben, dürfte man getrost einen Paradigmenwechsel nennen, wenn sich diese Position in der LINKEN auch durchsetzte: „Nun bin auch ich davon überzeugt, dass die Nato nicht die Absicht hat, Russland zu überfallen, schon weil es den dritten Weltkrieg auslöste. […] Die Sicherheitsinteressen Russlands haben einerseits die Nato nie wirklich interessiert; sie versucht, Russland in Schach zu halten. Andererseits muss man berücksichtigen, dass viele ehemalige Sowjetrepubliken und ehemalige staatssozialistische Länder fürchteten und fürchten, von Russland überfallen und auf unterschiedliche Art und Weise zurückgeholt zu werden. […] Wir brauchen Vorstellungen, wie wir uns eine sichere und stabile Friedensordnung in Europa vorstellen. Mit Putin wird das nicht mehr gehen, aber nach ihm müsste es hoffentlich wieder möglich sein, eine solche Ordnung zu erstreiten – unter Einschluss von Russland.“
Quasi en passant verweisen Sie auf den Münsteraner Parteitag der PDS im Jahre 2000, der beschlossen habe, „dass wir uns Beschlüsse nach Kapitel VII der UN-Charta nicht einmal ansehen, weil militärische Beschlüsse für uns niemals infrage kommen“. Hier verfälschen Sie die Geschichte Ihrer eigenen Partei. Dieser Parteitag hat solchen Unsinn nicht beschlossen. Er hatte allerdings Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit Blauhelmmandat – darum ging es in einem von Ihnen unterstützten und begründeten Antrag – mit großer Mehrheit abgelehnt. So etwas mögen Sie gar nicht. An der darauf folgenden dramatischen Existenzkrise Ihrer Partei wurden Sie mit Ihrem Unwillen, einen Parteitagsbeschluss zu akzeptieren, der Ihnen nicht gefiel, durchaus mitschuldig.
Ihnen ist allerdings zuzustimmen, dass das Problem natürlich nicht erledigt ist. Nur sind solche Tritte unter die Gürtellinie auch nicht sonderlich hilfreich. Für Ihre eingangs zitierte Position brauchen Sie Mehrheiten.
Wanderfreudige Pädagogen aus Ludwigshafe – Sie gerieten neulich mit einer Gruppe zwölf- bis vierzehnjähriger Schüler in Bergnot und mussten mit Hubschraubern von einem Hang des Kleinwalsertals in Österreich geborgen werden. Seitdem fällt alles über verantwortungslose Autoren von Wander-Apps her, die die von Ihnen ausgewählte Route als harmlose Feierabendtour dargestellt hätten. Wir möchten die Frage ganz anders stellen: Was in drei Teufels Namen hat Sie getrieben, mit 99 (in Worten: neunundneunzig!) Halbwüchsigen auf einen Haufen in den Hang zu steigen? Weshalb kamen Sie offenbar nicht auf die Idee, einmal die Hütten- beziehungsweise Herbergsleitung nach dem Zustand des von Ihnen favorisierten Weges zu befragen?
Wir finden es gut, dass die Everest-Gebühren in Nepal inzwischen so hoch sind, dass der Aufstieg zum Camp 4 für Schulklassen einfach nicht finanzierbar ist. Noch jedenfalls … Ein Hinweis am Rande: Mit Helikoptern ist am Everest in dieser Höhe nichts zu machen.
Harald Schmidt, fast vergessener TV-Late-Nighter früherer Jahre, lästert aber immer noch gerne – Als Sie jüngst gefragt wurden, ob Sie Fan von Sahra Wagenknecht seien, ließen Sie die Frage als solche zwar offen, antworteten jedoch trotzdem: „Ich kenne niemanden, der begeisterter von Sahra Wagenknecht ist als deutsche Investment-Banker, die wissen: Es ist alles richtig, was sie sagt. Zum Glück kann sie es nicht umsetzen.“
Was für ein mildes Schicksal im Vergleich zu Kassandra! Die Prophezeiungen der trojanischen Seherin trafen auch jedes Mal zu, doch ihr glaubte niemand. Im Wortsinne – keiner! Nicht mal Investment-Banker …
Christian Neef, hilfloser SPIEGEL-Autor – Sie fragen, weshalb es bei „den Deutschen“ so wenig Sympathien mit der überfallenen Ukraine und stattdessen immer noch Verständnis für den Aggressor gebe. Lassen wir einmal beiseite, dass auch Sie möglicherweise der Logik des Schützengrabens – hier bin ich, gegenüber ist der Feind, anderes gibt es nicht – erlegen sind, es fällt verdammt schwer, angesichts solcher Äußerungen Sympathien zu empfinden: „Die ukrainische Flagge wird wieder über Jalta und Sudak, über Dschankoj und Jewpatorija wehen. […] Natürlich werden wir auch unsere Krim befreien.“ Das proklamierte Wolodymyr Selenskyi justament zu dem Zeitpunkt, an dem sich der russische Belagerungsring um Sjewjerodonezk schloss. Die Wiederherstellung der Rus unter Ausschluss des Großfürstentums Moskau hat er noch nicht gefordert. Solche blutigen Fantasy-Erzählungen sind derzeit noch ein Monopol des russischen Präsidenten.
Die in diesem Heft in den „Bemerkungen“ zitierte Ansage des russischen Rockers Juri Schewtschuk sollte sich nicht nur Wladimir Putin hinter den Spiegel stecken.
Tom Hanks, Oscar-Preisträger – Ihren ersten Oscar als Hauptdarsteller erhielten Sie 1994 für die Rolle eines schwulen, an Aids erkrankten Rechtsanwalts in „Philadelphia“. Werden Sie die Trophäe demnächst zurückgeben? Denn im New York Times Magazine stellten Sie sich jetzt die Frage: „Könnte ein Heterosexueller das, was ich in ‚Philadelphia‘ gemacht habe, heute tun?“ Und antworteten: „Nein, und das zu Recht.“ Weil: Wir lebten heute in einer „Welt der Authentizität“.
Schon klar, Mann. Mit so außergewöhnlichen Filmen wie „Rain Man“ (1988, Dustin Hoffmann als Autist), „Zeit des Erwachens“ (1990, Robert de Niro als an Europäischer Schlafkrankheit Leidender) oder „Iris“ (2001, Judy Dench als an Alzheimer Verdämmernde) werden wir dann allerdings künftig nicht mehr rechnen dürfen.
Bliebe allenfalls noch die Frage, ob „Authentizität“ von jetzt auf gleich nicht auch als Synonym für „galoppierender Schwachsinn“ durchgehen sollte …
Schlagwörter: Christian Neef, Gregor Gysi, Harald Schmidt, Jewgeni Alexejewitsch Fjodorow, Jörg Steinbach, Joseph Stiglitz, Katrin Lange, Tom Hanks, wanderfreudige Pädagogen aus Ludwigshafen