Am 12. November 2019 verkündete Elon Musk – der Mann ist die fleischgewordene Reinkarnation des amerikanischen Tellerwäschertraumes … – im Berliner Axel-Springer-Haus den Anbruch goldener Zeiten für Brandenburg, genauer gesagt für Ostbrandenburg. Von einer Milliarde Euro Investitionssumme für einen europäischen Tesla-Produktionsstandort war die Rede und von 12.000 neuen Arbeitsplätzen. Auf Zeit-Online schwärmte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD): „Das erste Mal gelingt es hier bei uns in Brandenburg zu zeigen, dass Klimaschutz und die Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen Hand in Hand gehen können.“
Zu dem Zeitpunkt war noch keine einzige Schaufel Sand bewegt, geschweige denn waren die Genehmigungsverfahren auch nur ansatzweise in Gang gesetzt worden. Prae festum hatte Woidke im Silicon-Valley-Rausch die Pleiten mit der Frankfurter Chipfabrik und dem Lausitzer Cargolifter völlig verdrängt. Noch während Musk auf Standortsuche war – das stille Grünheide zwischen Erkner und Fürstenwalde war nur eine von drei Optionen – sicherte der Ministerpräsident ihm am 28. August 2019 die unbedingte Unterstützung der Landesregierung zu. Die Welt am Sonntag zitiert das Schreiben im März 2020: „Wir werden Sie deshalb mit allen geeigneten Möglichkeiten bei der Sicherung Ihrer zeitlichen Ziele unterstützen. […] Für alle im Zusammenhang mit der von Ihnen geplanten Investition erforderlichen genehmigungsrechtlichen Fragen […] sichere ich Ihnen eine umgehende und schnelle Bearbeitung zu.“ In allgemein verständliches Deutsch übersetzt: Machen Sie mal, wir halten Ihnen den Rücken frei. Ein Freifahrtschein.
Woidkes Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) – er hatte den Tesla-Deal eingefädelt – sprach von einem „Lottogewinn ohne getippt zu haben“. Auf der Ranking-Liste der „Genossen der Bosse“ dürften die beiden Potsdamer Politiker einen vorderen Platz einnehmen.
Allerdings mischten sich in die Euphorie rasch Ernüchterung und Furcht. Teslas jährlicher Wasserverbrauch solle bei circa 1,4 Millonen Kubikmeter pro Jahr liegen. Im trockenen Brandenburg liegt Grünheide in einem besonders dürregeplagten Gebiet. Für die Versorgung der Gigafactory ist der Wasserverband Strausberg-Erkner zuständig. Und der stand schon bevor Tesla auch nur einen einzigen Liter Bauwasser geliefert bekam unter Kritik. Zum Beispiel wegen des dramatisch gefallenen Wasserspiegels des Straussees. Der See wird wie viele andere in dieser Gegend hauptsächlich von Grundwasser gespeist. Der Wasserverband hat in den letzten Jahren seine Entnahmen deutlich erhöht. Steinbachs Bild vom „Lottogewinn“ ist sicher richtig. Nur: Wer ist der Gewinner?
Der Frage stellen sich zwei jüngst erschienene Bücher. Der langjährige rbb-Journalist Wolfgang Bauernfeind legte seine Rechercheergebnisse unter dem Titel „Teslas Gigafactory. Fluch oder Segen?“ vor. Die Wirtschaftsfachleute Wolf D. Hartmann und Walter Stock veröffentlichten im vergangenen Jahr den Band „Der Tesla-Coup. Brandenburg und das Ringen um die Gigafactory in Grünheide“. Es lohnt sich, beide Bücher parallel zu lesen. Sie ergänzen einander unabgesprochen. In der Zusammenschau ergibt sich nicht nur ein brandenburgischer Wirtschaftskrimi, sondern ein Blick wird möglich auf den wahrscheinlichen Beginn eines sehr grundsätzlichen Umbaus der bundesdeutschen Wirtschaft und der sie begleitenden Politik.
Bauernfeind nimmt uns mit auf eine Recherchereise, die von Juni 2020 bis zum Herbst 2021 andauert. Wir begegnen Tesla-Fans und Bewunderern Elon Musks. Wir treffen Kritiker der Gigafactory und engagierte Umweltschützer. Wir begleiten den Autor bei seinen Gesprächen mit dem Bürgermeister von Grünheide, Arne Christiani, und dem brandenburgischen Wirtschaftsminister Jörg Steinbach sowie dessen für Umweltfragen zuständigen Amtskollegen Axel Vogel. Abgerundet wird der Gesprächsparcours Bauernfeinds durch ein auch den Autor offensichtlich überrascht habendes Treffen mit dem Tesla-Manager Harald Schlarb. Die Führungsetage des Konzerns scheut sonst die Öffentlichkeit. Musk verzichtet vollständig auf eine PR-Abteilung. Er twittert. Für das Grünheide-Projekt übernahmen diese Aufgaben de facto die brandenburgischen Behörden.
Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielte das Erörterungsverfahren der Einwände von Bürgerinnen und Bürgern und diversen Verbänden gegen die Tesla-Ansiedlung zwischen dem 23. September und dem 2. Oktober 2020. Statt der vom Landesumweltamt geplanten drei Erörterungstage wurden es acht. Von 414 Einwendern lagen 885 Einwendungen vor. In Erkner musste die Stadthalle angemietet werden. Bauernfeind war an allen acht Erörterungstagen vor Ort. In den Saal durften allerdings keine Journalisten. Sie mussten das Geschehen in einem Pressezelt per Übertragung verfolgen. Selbst als die Zahl der teilnehmenden Einwender sich erheblich reduzierte, wurden die Medien auf Abstand gehalten. Zu den kleinlichen Schikanen gehörte übrigens auch das Verbot der Mitnahme von Wasserflaschen in den Saal. Auf den Podiumstischen der Behörden- und Unternehmensvertreter standen solche natürlich. In der Summe macht der Bauernfeindsche Bericht deutlich, dass das Erörterungsverfahren kaum Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung des Landesumweltamtes hatte. Auch Hartmann und Stock sprechen zurückhaltend von einer „begrenzten Wirkung“ der öffentlichen Beteiligung: „Grünheide ist von den Verantwortlichen ganz im Sinne des Investors behandelt worden […]“. Ministerpräsident Woidke hat Wort gehalten.
Mittlerweile schuf Tesla Tatsachen. Immer am Rande des Schwarzbaus, wie Bauernfeind beschreibt, aber nie illegal. Das Vorgehen war durch die Bundesgesetzgebung gedeckt. Das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) bietet das entscheidende Schlupfloch. Dessen § 8a ermöglicht es der Genehmigungsbehörde „auf Antrag vorläufig“ zuzulassen, „dass bereits vor der Erteilung einer Genehmigung mit der Errichtung einschließlich der Maßnahmen, die zur Prüfung der Betriebstüchtigkeit der Anlage erforderlich sind, begonnen wird“. Von dieser Möglichkeit wurde vor Erteilung der endgültigen Errichtungs- und Betriebsgenehmigung mindestens neunzehnmal Gebrauch gemacht, wie die Autoren beider Bücher minutiös schildern. Wolfgang Bauernfeind enthält sich als erfahrener Journalist einer persönlichen Bewertung. Aber er zitiert den Geschäftsführer der Grünen Liga Brandenburg e. V., Michael Ganschow: „Wir erleben gerade […] den Niedergang von demokratischen bundesrepublikanischen Strukturen um uns herum.“ Das Tesla-Projekt ist in dieser Frage nicht der Urknall. Aber mit der Gigafactory wurde ein prestigeträchtiger Modellfall aufgelegt.
Die Folgen können für die Region existenzgefährdend sein. Auf die Wasserproblematik als Kardinalfrage habe ich schon hingewiesen. Am 17. April 2022 zitierte die Berliner Zeitung eine dpa-Meldung, die es in sich hat. In der Region Strausberg-Erkner könnten „wegen Umweltproblemen“ nur knapp 15 statt der vorgesehenen 17 Millionen Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr genutzt werden. Gut 10 Prozent davon verbraucht Tesla. Der Wasserverband hat inzwischen erste Rationierungsschritte angekündigt. Wolf D. Hartmann und Walter Stock erläutern die Probleme von Umweltbelastungen und Regionalplanungsdefiziten ausführlich.
Sie gehen aber auch tiefgründiger als es Bauernfeind vermag, auf die ökonomischen Hintergründe des Projektes ein. Auch sie sehen in Elon Musks technologischen Visionen durchaus Zukunftspotenziale, die die deutsche Automobilindustrie bislang sträflich verschlafen hatte. Sie sehen aber auch die Gefahren einer dermaßen rabiat daherkommenden Unternehmensstrategie. „Tesla fährt immer noch auf der Überholspur“, stellen sie fest. Finanziell stehe das alles auf wackligen Füßen. Tesla erwirtschafte bei einer weltweit 50prozentigen Auslastung seiner Standorte 1000 US-$ pro Fahrzeug, bei Mercedes-Benz betrage die Gewinnmarge 5000 US-$. Der jüngste Geschäftsbericht Teslas vermerkt allerdings entschieden höhere Zahlen. Für Grünheide werde entscheidend sein, wie es dem Konzern gelinge „entsprechende Wachstumsspielräume und Marktanteile zu halten bzw. auszubauen“, argumentieren Hartmann und Stock. Ansonsten sei auch hier ein Flop nicht auszuschließen.
Die Grundregeln der Marktwirtschaft vermag auch eine wirtschaftspolitisch noch so kreative Landesregierung nicht auszuschalten. In gut-brandenburgischer Tradition zitieren die Verfasser am Ende ihres Buches natürlich Thedor Fontane: „Alle reformatorische Macht ruht heutzutage beim Geldbeutel, Ideen gelten wenig, Recht gilt gar nicht.“ Teslas Gigafactory wird sich in der Perspektive wohl als Fluch und Segen erweisen. Damit wäre dann auch Wolfgang Bauernfeinds Ausgangsfrage beantwortet.
Wolfgang Bauernfeind: Teslas Gigafactory. Fluch oder Segen? Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2022, 288 Seiten, 20,00 Euro.
Wolf D. Hartmann / Walter Stock: Der Tesla-Coup. Brandenburg und das Ringen um die Gigafactory in Grünheide, Verlag für Regional- und Zeitgeschichte, Berlin, 2021, 176 Seiten, 12,80 Euro.
Schlagwörter: Brandenburg, Günter Hayn, Tesla, Wasserknappheit, Wolf D. Hartmann / Walter Stock, Wolfgang Bauernfeind