Wohin in dieser paradiesischen Region Mittelitaliens? Dem Abbild einer harmonisch ausgewogenen Landschaft mit geschwungenen Hügeln, den schlanken Zypressen und behäbigen Pinien, den Rebflächen und ausgedehnten Wäldern, kleinen Dörfern, einsamen, weltabgeschiedenen Gehöften und den großen Städten. Nach Florenz? das mit seinem Übermaß an Kunstschätzen erdrückt? Oder nach Volterra, der ehemaligen Etruskerstadt? Vielleicht sucht man Vinci auf, um Leonardo zu begrüßen? Oder wandert nach San Gimignano, der eigenwilligen „Wohntürme“ wegen, von denen es in der Antike etwa siebzig an der Zahl gegeben haben soll, und einige von ihnen noch erhalten geblieben sind? Nichts dergleichen. –
Der Weg führt nach Colle di Val d’Elsa. Ein rund 22.000-Einwohner-Städtchen im Tal des Flusses Elsa, südwärts zwischen Florenz und Siena gelegen. Ein Naturpark mit der klangvollen Bezeichnung „Parco Fluviale dell’ Alta Val d’Elsa“ folgt dem Flusslauf. Bewaldete Hänge. Und das Licht! Das wunderbare Licht. Dessen unvergleichliche warme Weichheit jedes Malerauge entzückt.
Der Morgen. Vier Zypressen stehen in zartem Dunst. Schemenhaft. In sich gekehrt. Die Kühle der Nacht im Geäst, was sie noch schlanker macht. Verschlafene Wächter mit nächtlichen Träumen. Ein vorwitziges Lüftchen weht Koniferenduft herüber. Vogelrufe. In verschwommenen Linien sind Berge zu erkennen. Und aus der Morgendämmerung lösen sich zaghaft Olivenbäume. Tau ist gefallen. Es wird ein schöner Tag werden. Und über allem liegt eine behutsame Farbigkeit, als wolle der Morgen das Erwachen der Natur nicht stören.
Am Mittag. Nun blaut der Himmel und fängt die Strahlen der Sonne auf. Sie übergießt das Land mit einer Woge aus heiterer, belebender, überschwänglicher Leuchtkraft. Die Olivenbäume blühen über und über. Die Zypressen, vom Mittagswind leicht bewegt, entfalten sich und vermehren ihren Duft. Die Berge treten hervor und offenbaren, grün, braun und blau getönt, ihre Majestät. Ein goldgelber Streifen krönt sie. In dieses Bild möchte man hinein gehen, den Bergen zu. Welche Fernsicht werden sie bieten? Sieht man die Türme von Florenz oder von Siena? Oder einfach nur das weite toskanische Land? Es ist Mittagzeit. Die Glocken läuten. Dieser Tag atmet Leben. Auf dass er nicht enden möge.
Die Blaue Stunde. Blau ist die Farbe der Ruhe, der Besinnung und sie begleitet das Resümee des Tages. Unmerklich legt sich der Farbton, an Bläue zunehmend, über die Landschaft. Überzieht die Berge, lässt hier und da Nebelschwaden aufziehen (Tageswärme und Abendkühle treffen aufeinander). Die Zypressen werden dunkler und bereiten sich auf die Nacht vor. Nur eine von ihnen steht noch in sonnengelbem Glanz. Den Olivenbäumen ist, neben hellem, zärtlichem Blau, ein Hauch Rosé erlaubt. – Unbewusst gleitet man in die Abendbläue hinein und wird von der Ruhe umfangen. Bald werden die Sterne zu sehen sein.
Barbara Putbrese: Landschaft bei Colle di Val dé Elsa, 3 Monotypien, 18 x 24 cm, Privatbesitz.
Schlagwörter: Barbara Putbrese, Colle di Val d‘Elsa, Renate Hoffmann, Toskana