25. Jahrgang | Nummer 4 | 14. Februar 2022

Dieter Mann – „Ich lebe gern unauffällig“

von Margit van Ham

So ganz ist das Dieter Mann in seinen achtzig Lebensjahren zum Glück nicht gelungen. Aber er war kein Star in den Klischees der kommerzialisierten Kunstwelt. Ich bin ihm Anfang der 1960er Jahre, er muss da noch Schauspielstudent gewesen sein, zum ersten Mal begegnet. Er war vermutlich vergattert worden, vor der Schulklasse über sich zu reden. Er machte das mit aller Zurückhaltung, berichtete über seinen Werdegang, seine Dreherlehre, die Arbeit im Schleifmaschinenwerk und den Wunsch, Schauspieler zu werden. Im Gedächtnis geblieben ist mir, dass er sagte, man habe ihm abgeraten, weil er nicht schön genug für einen Schauspieler sei. Und er lachte mit uns …

An diesen Auftritt habe ich dann immer denken müssen, wenn ich ihn Jahre später auf der Bühne des Deutschen Theaters sah. Sein ungestümer Wolodja in „Unterwegs“ von Victor Rosow startete die Karriere, später der Edgar Wibeau in Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ – was für ein Theatererlebnis für Jugendliche mit nachhaltiger Wirkung. Man muss selbst über sein Leben bestimmen, eine Quintessenz unserer Gespräche. Sogar Anlass, Goethes „Leiden des jungen W.“ zu lesen, Plenzdorf sowieso. Theater hat Wirkung!

Weitere Spitzenrollen folgten. Der Tempelherr in „Nathan, der Weise“ – ich liebte diese Aufführung wie auch viel spätere, in denen er selbst zum weisen Nathan wurde. Seine Rollen unter anderem als Truffaldino im „Diener zweier Herren“, in Shakespeares „Sommernachtstraum“, im DEFA-Film „Ich war neunzehn“ oder im Märchenfilm „Wie heiratet man einen König“ zeigten Vielfalt, große Wandlungskunst. Es wurden mehr als 60 Rollen allein am Deutschen Theater, plus Film- und Fernsehrollen.

Dieter Mann war ein Perfektionist, wie Theaterliebhaber Reinhard Wengierek das in einem Artikel beschrieb. Eigentlich war es eher eine tiefe Verbeugung vor dem Schauspieler. „Dieter Manns hohe Sprechkunst […] ist das eine. Das andere ist sein Spieltrieb – ganz aus dem Bauch. Sind seine geistige und körperliche Agilität; sein Charisma bis in die Fingerspitzen; seine schier sensationelle Präsenz (nicht nur auf der Bühne) sowie seine doch stets vom Kopf her disziplinierte Verwandlungskunst. Deshalb waltet in allen seinen Figuren jene ferne, gern ironiedurchwehte Distanz.“

Vielen Lesern ist bekannt, dass Dieter Mann in Zeiten der Krise sowohl der DDR als auch des Deutschen Theaters Verantwortung für das Theater als Intendant übernahm. Nochmal Wengierek: „Ein kluger, wenn es sein musste beinharter, auch irritierend scharfzüngiger Kapitän in schwer bewegter See. Ein raffiniert zwischen befohlener Linientreue und kreativer Untreue, kritischer Systemnähe und skeptischer Distanz Balancierender. Letztlich aber ging es ihm immer um ein Maximum an Wahrhaftigkeit – und die sie kunstvoll stützende Phantasie.“ Er holte Frank Castorf, Heiner Müller und Alexander Lang ans DT, das allein eine große Leistung. Dieter Mann führte das DT bis 1991 und übergab es schließlich Thomas Langhoff. Er wollte weiter Schauspieler sein und probierte sich neben dem DT nun in Dresden, Hamburg und Wien aus. Spielte sogar an Castorfs Volksbühne, dem Gegensatz zum Deutschen Theater.

Vor einigen Jahren erneuerte ich die „Bekanntschaft“ mit Dieter Mann – per CD. Er las mit seiner unverwechselbaren klaren Stimme „Rosen für Apoll“, die Geschichte der Griechen, vor. Das sind wunderbare, humorvolle Texte des Historikers Joachim Fernau, die ich mir ohne die Stimme Dieter Manns gar nicht vorstellen kann. Den Schauspieler Mann hat sicher gerade die Ironie der Texte, unterbrochen von tragischen Momenten der Geschichte, angezogen. Wenn man vergnüglich etwas über die antiken Griechen lernen will, bleibt das das Hörbuch der Wahl.

Im Mai 2016 nahm Dieter Mann seinen Abschied von der Bühne, er war an Parkinson erkrankt. Er tat das in „aller Nüchternheit“, wie zu lesen war, und wie es zu ihm passte. Am 3. Februar ist er gestorben. Es ist irgendwie tröstlich zu wissen, dass neben einigen Filmen, die bleiben, seine Stimme in den „Rosen für Apoll“ weiter lebt. Vielleicht ist er ja unterwegs zu Gott Apoll und bringt ihm die Rosen selbst vorbei. Apoll gibt Dieter Mann dann sicher eine Rose zurück.