Die Kirche zu Neuhardenberg (65 Kilometer östlich von Berlin entfernt), nach Plänen von Carl Friedrich Schinkel erbaut. Weißes Gestühl, festlich leuchtende Lüster. Vor dem Altar ein Gitterbett, frisch bezogen, Notenständer drum herum, ein Harmonium. Darüber als Deckengemälde der nachtblaue Himmel, von unzähligen Sternen übersät; Schinkels Bühnenbild zur Zauberflöte – Auftritt der Königin der Nacht – nachempfunden.
Sechs Musiker, „Die Sextanten“, ziehen ein. Violine und Trompete nehmen auf dem Bett Platz, Saxophon, Harmonium, Schlagzeug und Kontrabass gruppieren sich. Freudig vergnügter Auftakt: Das Lied vom Tannenbaum mit den grünen Blättern. Dann erscheint die Doppelgestalt Erich Kästner / Walter Sittler, Schriftsteller / Schauspieler, in kongenialer Übereinkunft, so dass man zeitweilig nicht unterscheiden kann, wer von beiden agiert.
Es wird eine Winter- und Weihnachtsgeschichte, die Sittler alias Kästner gestaltet. Sie beginnt mit dem Entschluss, in die Berge zu reisen. Im Hochsommer! um endlich etwas über die Weihnachtstage aufs Papier zu bringen: „Diesmal wird es eine regelrechte Weihnachtsgeschichte. Eigentlich wollte ich sie schon vor zwei Jahren schreiben; und dann, ganz bestimmt, im vorigen Jahr. Aber wie das so ist, es kam immer etwas dazwischen. Bis meine Mutter neulich sagte: ‚Wenn du sie jetzt nicht schreibst, kriegst du nichts zu Weihnachten‘. Damit war alles entschieden.“
Und nun wurde sie geschrieben. Als stimmige Folge von Ausschnitten aus Kästners Romanen, Essays, Gedichten und blitzgescheiten Gedanken. Musik: Libor Šima; Textbearbeitung und Gesamtkonzeption: Martin Mühleis.
Der Dichter schätzte Berge und die Winterzeit. „Ich wüsste weniges aufzuzählen, was schöner sein kann, als eine Winterlandschaft im Gebirge.“ Obwohl er aus gesundheitlichen Gründen nicht Schifahren durfte, weil ihm die Rekrutenausbildung „das Herz versaut“ hatte, blieb er ein glänzender Beobachter und Moralist des winterlichen Treibens. In leicht dahin geworfene Zeilen mischt sich seine kritische Weltsicht: „Vorher sind Wolken da. / Und nachher schneit’s. / Wie aber kommt der Schnee / denn erst hinauf? / Die Welt ist, wie gesagt, / von großem Reiz. / Man passt nur gar nicht / auf sie auf.“
Die Texte streifen einen Zeitraum von den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis etwa 1950, in denen viel Autobiographisches Kästners enthalten ist. Darin weihnachtet es sehr – in guten wie in schlechten Tagen. Humor, Ironie, Fantasie und Melancholie, Realitätsdenken und liebevolles Verständnis wechseln. Letzteres vor allem für die Freuden und Nöte der Kinder:
„Morgen, Kinder, wird’s nichts geben! / Nur wer hat, kriegt noch geschenkt. / Mutter schenkte euch das Leben. / Das genügt, wenn man’s bedenkt. / Einmal kommt auch Eure Zeit. / Morgen ist’s noch nicht so weit. * Doch ihr dürft nicht traurig werden, / Reiche haben Armut gern. / Gänsebraten macht Beschwerden, / Puppen sind nicht mehr modern. / Morgen kommt der Weihnachtsmann. / Allerdings nur nebenan …“ („Weihnachtslied, chemisch gereinigt“, 1928)
Der Dichter spricht von den schwierigen Tagen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ruinen, Hunger. Leid. Trotz alledem: Weihnachten findet statt. Auch die einfachsten Geschenke erfreuen, denn voraus gegangene Entbehrungen lassen die Wünsche bescheidener werden.
Walter Sittler lebt Erich Kästner. Unnachahmlich in Wort und Handlung. – „Die Sextanten“ tragen das Ihrige zum Gelingen des Abends bei. Die schönsten Weihnachtslieder, in Variationen gewandelt, begleiten lautmalend die Textpassagen. Heiter und beschwingt in Dur, wenn Kästnersche Humoresken anklingen, und trauernd in dunklem Moll, wenn düstere Wolken aufziehen. Ein kunstvolles Zusammenspiel von Klang und Stimme. – Und im Kirchenraum, durch geschickte Lichteffekte ausgelöst, „rieselt leise der Schnee“ …
Schlagwörter: Die Sextanten, Erich Kästner, Renate Hoffmann, Walter Sittler