24. Jahrgang | Nummer 24 | 22. November 2021

Berliner Museumsgänge – Gottbegnadete und eine Granitschüssel

von Alfred Askanius

Das Deutsche Historische Museum im Zeughaus Unter den Linden baut gerade um, aber im Pei-Bau des Hauses ist noch bis zum 5. Dezember eine Sonderausstellung zu sehen, die merkwürdigerweise nur wenige „auf dem Schirm“ haben: „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“. Der Untertitel ist ernst zu nehmen. Natürlich werden sowohl die „Gottbegnadeten-Liste“ der Nazis als auch deren Vorgeschichte recht detailliert vorgestellt, Hauptthema ist aber der Verbleib der dort erfassten Herrschaften nach 1945.

Die auf dieser Liste vom August 1944 verzeichneten Damen (sehr wenigen) und Herren genossen das Privileg, von Kriegsdienst und Arbeitseinsatz befreit zu sein, um ungehindert an ihren Großtaten zum Wohle des deutschen Volkskörpers weiter wursteln zu können. Auf der Liste stehen 387 Namen, allein 114 bildende Künstler sind vertreten. Auf den vorderen Plätzen finden sich prominente Namen wie Hans Carossa und Gerhart Hauptmann („Schrifttum“), Arno Breker und Georg Kolbe (bildende Kunst), Richard Strauß und Hans Pfitzner (Musiker). Es gab eine Liste für Architekten und Gestalter. Es gab eine Liste für Schauspielerinnen und Schauspieler. De facto ein „Who’s Who“ der sich der NS-Führung angedient habenden Kunst-Elite des 3. Reiches. Es waren in der großen Mehrzahl höchst mittelmäßige bis hundsmiserable Künstler, und natürlich waren die keine Nazis! Niemand. Die Ausstellung dokumentiert das an zwölf ausgewählten Biografien.

Nehmen wir Richard Klein (1890–1967). Klein war „Reichskultursenator“ und ab 1936 Präsidialrat der Reichskammer der bildenden Künste. Am 10. Oktober 1946 wurde gegen ihn in Bayern ein Haftbefehl ausgestellt (wegen der hohen Fluchtgefahr), der Spruchkammerbeschluss vom 28. März 1947 stufte ihn in die „Belasteten Gruppe II“ ein und verhängte drastische Sanktionen inklusive einer Geldstrafe von 70.000 RM. Daraus wurden am 27. April 1949 – Klein bemühte die Berufungskammer – 750,00 DM und eine Einstufung in die „Mitläufergruppe IV“.

Alle wurden sie schließlich als „Mitläufer“ (schlimmstenfalls!) eingestuft. Und mindestens die Hälfte setzte ihre Karriere nach 1945 mehr oder weniger ungebrochen fort, bediente sich der unter Hitler geknüpften Netzwerke in Industrie und Verwaltung weiter ohne auch nur den Anflug von Scham zu entwickeln – und fasste fleißig öffentliche Aufträge und solche aus der Wirtschaft ab.

Manche versuchten, sich irgendwie der inzwischen tonangebenden Moderne zu nähern, andere pflegten fleißig ihre faschistische Formensprache weiter. Man muss da nicht nur auf Arno Breker verweisen – mit dessen „Pallas Athene“ (die Figur wird in der Ausstellung gezeigt) wurde 1957 in Wuppertal ein Gymnasium geschmückt. Dem Führer hätte das Kunstwerk gefallen, die Wuppertaler Kulturpolitik verteidigt es noch immer. Noch krasser fällt Eduard Bischoffs (1890–1974) Wandbild im Sitzungssaal des Arbeitsamtes Bochum in die braune Tradition. Garniert hatte Bischoff sein Werk mit einem Spruch des NS-Poeten Heinrich Lersch. 1957! 1970 erhielt der Mann das Bundesverdienstkreuz.

Erst Ende der 1960er Jahre kam es zu einem ersten richtigen Skandal, als der Freistaat Bayern den von Hermann Kaspar (1904–1986) entworfenen Gobelin „Frau Musica“ der Stadt Nürnberg für die Meistersingerhalle übergab. Finanzminister Konrad Pöhner (CSU) ließ 1970 die Katze aus dem Sack: „Neue Lebenskraft und Freude haben die Schatten der Vergangenheit aufgehellt, die ohne Schuld der Bürger über der Stadt lagen … Heute kann man sagen, diese Schatten sind völlig verschwunden.“ Ein von einem N… – nein: einem Beinahe-Widerständler gefertigter Teppich als überdimensionaler Ablasszettel für die Stadt der Reichsparteitage. Kaspar gehörte zu den Lieblingsmalern der NS-Prominenz. Bei Hitler schleimte er sich unter anderem durch vielfältige Variationen von Hakenkreuzmäandern und die Intarsien des überdimensionalen Schreibtisches in der Neuen Reichskanzlei ein.

Pöhners Rede war kein Ausrutscher. Das war die Regel. „Nun sind sie alle wieder da: Thorak und die anderen“, titelte Carl Linfert am 22. Juni 1950 in Die Zeit. Seinen eigenen Beitrag zur „Kunstberichterstattung“ („Kunstkritik“ war spätestestens ab November 1936 verboten) verschwieg er fein still. „… und schämten sich nicht!“ urteilte Reinhard Müller-Mehlis 1962 über solche Leute in den tendenzen.

1955 äußerte der ehemalige Reichskunstwart Edwin Redslob (1884–1973) – er fiel 1933 bei den Nazis für kurze Zeit in Ungnade, weil er als Verfechter der Moderne galt; die Ungnade hielt aber nicht lange an – über das Werk Richard Scheibes: „Es rechtfertigt eine ganze Generation vor dem Richterstuhl der Geschichte.“ Scheibe (1879–1964) gehörte zu den Lieblingskünstlern des Führers, erhielt von diesem die Goethe-Medaille (1944), zehn Jahre später übrigens die Goetheplakette der Stadt Frankfurt/Main. Redslob bezieht sich mit seiner Wertung auf Scheibes Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock (1953). Richard Scheibe war nicht der einzige Künstler, der nach der Zerschlagung des Reiches zum Widerstandskünstler mutierte … Sowohl er als auch der „innere Emigrant“ Redslob werden bis zum heutigen Tag durch Ehrengräber des Landes Berlin geehrt.

Die zwölf Biografien stehen pars pro toto. Nein, das ist nicht vergangen. Diese Leute prägten auch nach ’45 das Antlitz der deutschen und österreichischen Städte. Die knüpften weiter ihre Netzwerke, die bildeten Schüler und Studenten aus. Das alles wirkt noch immer. „Wer sehen muss, um zu glauben, dass es 1945 eben nicht zum großen Bruch mit der NS-Vergangenheit kam, […] Hier sind die Bilder“, brachte Silke Hennig es für rbbKultur auf den Punkt. Ich gebe es zu, ich war froh, als ich da endlich wieder raus war – und empfehle dennoch dringend: Hingehen, bis zum 5. Dezember ist noch Zeit!

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Wenige hundert Meter weiter dann in der Alten Nationalgalerie ein großes Aufatmen: die Bilder und Zeichnungen von Johann Erdmann Hummel (1769–1852). Von Hummel kennen eigentlich alle Kunstfreunde mindestens ein Bild, ohne wahrscheinlich Hummel zu kennen: „Die Granitschale im Berliner Lustgarten“ (1831). Die Schale steht vor dem Alten Museum. Sie wurde seinerzeit auf Veranlassung des Hofsteinmetzes und Baumeisters Christian Gottlieb Cantian (1794–1866) aus dem Großen Markgrafenstein – einem Findling in den Rauener Bergen bei Fürstenwalde – herausgemeißelt. Hummel hat den Arbeitsprozeß des Schleifens und Aufstellens der Schale in mehreren Fassungen penibelst abgebildet. Auf dem oben zitierten Gemälde steht Meister Cantian links am Rand der Schale. Der Maler selbst war fasziniert von den Spiegelungen des polierten Granits und hat diese exzessiv abgebildet. Überhaupt hatten Spiegelungen es ihm angetan. Die Ausstellung zeigt einige beeindruckende Beispiele. Zwei Bilder können allerdings nur als Zitate dem Betrachter nahegebacht werden: der „Eckladen an der Berliner Schlossfreiheit“ (1830) befindet sich im Moskauer Puschkin-Museum und das „Tribunal/Spiegelsaal“ (1839) – ein äußerst geheimnisvolles Bild – ging nach dem Krieg wohl unwiederbringlich verloren. Die Ausstellungsmacher erinnern an das Kunstwerk durch eine spannende Installation zu Beginn des Ausstellungsrundganges.

Mit Spiegelungen spielt der Künstler auch in den beiden Fassungen der „Schachpartie (im Palais Voß, Berlin)“ (1818–1820), die zum Vergleich einladen. Unmittelbar daneben eine auf den ersten Blick überdrehte Tisch-“Gesellschaft in einer italienischen Locanda“ (um 1814). Die bei genauerem Hinsehen mit feinstem Pinsel und feiner Ironie gemalte Szene gab E. T. A. Hoffmann die Anregung zur Novelle „Die Fermate“ (1815) aus dem ersten Band der „Serapionsbrüder“. Seitdem heißt das Bild aus der Neuen Pinakothek in München so. Hummel selbst hatte das wohl akzeptiert. Neben der dargestellten Szene irritiert “Die Fermate“ durch ihre fast ins Groteske, förmlich aus der Zeit gefallene Gestaltung der Zentralperspektive. Es ist immerhin die Hochzeit der Romantik. Hummel hatte an der Berliner Akademie der Künste eine Professur für Perspektive, Optik und Architektur inne. Manche seiner Arbeiten sehen tatsächlich wie nach den selbstverfassten Lehrbüchern gearbeitet aus … Die Ausstellung ermöglicht es gerade bei den Zeichnungen, dem Meister über die Schulter in die Karten zu blicken.

Überraschend ist die Hängung der von tiefer menschlicher Zuneigung zu seinen Modellen zeugenden Portraits: Kuratorin Birgit Verwiebe (assistiert von Josephine Hein) konfrontiert die Hummel-Bilder mit Arbeiten von Hans Memling, Christian Schad, Carlo Mense und Georg Schrimpf. Hummel besteht in diesem grandiosen Spannungsbogen.

Von wegen langweiliges Biedermeier … Ein Gang durch diese Schau widerlegt dieses Vorurteil gründlich – und bringt die Wiederentdeckung mit einem spannenden Künstler, den wohl nur noch Eingeweihte kannten. Congratulazione!

Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepubik, Deutsches Historisches Museum. Pei-Bau (Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin), bis 5. Dezember 2021, Freitag bis Mittwoch 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 20.00 Uhr; Katalog.

Magische Spiegelungen. Johann Erdmann Hummel, Alte Nationalgalerie. Staatliche Museen Berlin (Museumsinsel), bis 20. Februar 2022, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr; Katalog.