Wenn heute von „Parkinson“ die Rede ist, denken die meisten an eine Erkrankung des Gehirns und des Nervensystems. Sichtbare Symptome sind Muskelversteifung, Verlangsamung der Bewegungen, Zittern der Hände. Die Bezeichnung geht auf den englischen Arzt James Parkinson zurück, der 1817 die Krankheit in der Neuzeit beschrieben hatte – bekannt war die „Schüttellähmung“ bereits in der Antike.
Für den Sozialwissenschaftler, der sich in der Fachdisziplin „Kritische Soziologie“ auskennt, verbindet sich der Name allerdings mit dem britischen Autor C. Northcote Parkinson, der seine ersten Erfahrungen bereits als Kolonialbeamter gesammelt hatte. Im Jahre 1914 dienten in der britischen Marine 146.000 Seeoffiziere und Matrosen, in der Admiralität waren etwa 2.000 Angestellte tätig. Im Jahre 1928 gab es in der Marine noch etwa 100.000 Seeoffiziere und Matrosen, aber 3.569 Admiralitätsangestellte. Allerdings war die Kampfkraft der britischen Marine deutlich niedriger, 1914 gab es 62 Großkampfschiffe, 1928 noch 20. Nach dem Ersten Weltkrieg umfasste das Britische Empire über 33 Millionen Quadratkilometer, das war etwa ein Viertel der Landoberfläche der Erde, und ein Viertel der Weltbevölkerung. Im Kolonialministerium in London arbeiteten 1935 347 Beamte. 1957, als Indien und viele afrikanische Länder ihre Unabhängigkeit bereits erreicht hatten, waren es 1991 Beamte. Das ergibt ein Personal-Wachstum in einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate in Friedenszeiten von 5,75 Prozent.
Befunde wie die Parkinsons haben auch heute über das Verwaltungswesen mehr zu sagen, als das, was sich jetzt Verwaltungswissenschaft oder hochtrabend Betriebswirtschaftslehre nennt. Parkinson hatte seine „Parkinsonschen Gesetze“ bereits in den 1950er Jahren formuliert, wonach sich Arbeit in dem Maße ausdehnt, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht, Verwaltungen sich gegenseitig Arbeit durch Berichte über Kennzahlen und Controlling sowie deren Auswertung machen, während die Arbeit in den eigentlichen Kernbereichen stagniert, und jeder Angestellte bestrebt ist, zusätzliche Untergebene zu haben, weil das seine Wichtigkeit erhöht, und möglichst wenige Konkurrenten. So wächst das Personal von Behörden und Verwaltungen beständig.
Der in Kanada geborene Laurence J. Peter, ursprünglich Lehrer und Sozialbeamter, knüpfte an Parkinson an und untersuchte das Aufsteigen in Hierarchien. Sein Ausgangspunkt besagt, dass der Mensch von Natur aus hierarchisch veranlagt ist. Er will und muss Hierarchien haben, ob sie nun patriarchalisch, feudal, kapitalistisch oder sozialistisch sind. Heutzutage wird behauptet, es könne nicht-hierarchische Strukturen geben und in denen würde effektiver gearbeitet. Zunächst weiß man aus der Psychologie, dass auch in nicht formalisierten Strukturen nach kurzer Zeit sich „Wortführer“ herausmendeln, denen alle zuhören, während anderen, wenn sie sich zu Wort melden, in empathisch verfassten Zusammenhängen zwar höflich zugehört, ihnen aber nicht gefolgt wird. Tatsächlich imaginiert die Abwesenheit einer formellen Hierarchie auch die Abwesenheit von Konkurrenten, tatsächlich ist aber jeder Konkurrent jedes anderen.
Gehen wir zurück zu dem, was „Peter-Prinzip“ genannt wird: In einer Hierarchie neigt jeder dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen. Peters erstes Untersuchungsobjekt waren Lehrer, und er stellte fest: Ein guter Lehrer wird zum Schuldirektor befördert, ist aber nicht unbedingt ein guter Direktor; ein guter Direktor wird zum Schulrat gemacht, ist aber nicht notwendig ein guter Schulrat. Weil es auf der höheren Stufe jeweils andere Anforderungsprofile gibt. Das System ist aber so beschaffen, dass es seine Mitglieder ermutigt, bis zur jeweiligen Stufe ihrer Unfähigkeit aufzusteigen. „Wenn man seine Aufgabe mühelos und effizient meistert, wird man zu hören bekommen, man sei von seiner derzeitigen Position unterfordert und empfehle sich für höhere Aufgaben. Das Problem liegt darin, dass man erst, wenn man in eine Position gelangt ist, der man nicht mehr gewachsen ist, mit Beförderungsansinnen verschont wird und dann dort bleibt, schlechte Arbeit leistet, die Kollegen nervt und die Effizienz der Organisation untergräbt.“
Armin Laschet hat gerade vorgeführt, wie dieses Peter-Prinzip waltet. Er war, als er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, in verschiedenen Talkshows immer öfter gesehener wortgewandter Wadenbeißer Angela Merkels, der ihre Politik geschickt verteidigte. Zuvor hatte sich so Peter Altmaier seine Sporen verdient, war inzwischen jedoch Bundesminister. Dann wurde in NRW ein neuer CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten gesucht. Das wurde Laschet. Mit 33 Prozent der abgegeben Stimmen erzielte die CDU 2017 zwar das zweitschlechteste Ergebnis der NRW-Geschichte, es reichte jedoch für eine Landtagsmehrheit mit der FDP um eine Stimme. In die Regierung holte er mehrere Leute mit Profil, so dass die Landesregierung einigermaßen geräuschlos funktioniert, ohne dass dies vordergründig Laschets Umsicht zugeschrieben wird.
Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer, die offen sichtbar von Merkel erwählte Nachfolgerin, grandios gescheitert war und ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz unbedingt verhindert werden sollte, hatte sich auch hier Laschet vorgedrängelt, erst als Parteivorsitzender, dann als Kanzlerkandidat. Mit 24,1 Prozent erzielten die Unionsparteien das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Aus dem guten Parteipolitiker Laschet war ein mittelmäßiger Ministerpräsident und dann ein schlechter Kanzlerkandidat geworden, von dem umsichtige Journalisten bereits vor der Wahl sagten, dass der „nicht Kanzler kann“.
An anderer Stelle nimmt Parkinson den Zusammenhang von Architektur und Machtverfall in den Blick. Eine „Perfektion der Planung [wird] nur von jenen Instituten erreicht […], die sich am Rande des Ruins befinden. […] Gründliche Analysen sowie Vergleiche solcher Bauten zeigten deutlich, dass jede Perfektion der Planung ein Zeichen des Niedergangs ist. Während Perioden aufregender Entdeckungen oder Fortschritte hat kein Mensch Zeit, ein vollkommenes Hauptquartier zu erstellen. Dieser Zeitpunkt rückt erst heran, wenn alle bedeutende Arbeit getan ist.“ So wurde der Petersdom in Rom geschaffen, als die Zeit der wirklich mächtigen Päpste vorbei war und in halb Europa die Protestanten gesiegt hatten. Das Kolonialministerium in London wurde 1875 bezogen, als die Zeit der kolonialen Eroberungen vorbei war, das Pentagon in Washington, als der Zweite Weltkrieg gewonnen war. Man könnte die Reihe fortsetzen: der Palast der Republik wurde in Berlin errichtet, als die Wirtschaftsbilanzen der DDR bereits rote Zahlen schrieben, die Semperoper in Dresden und das Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt wurden eingeweiht, als die DDR in ihre finale Krise ging. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat im Oktober 2020 ihr neues Gebäude bezogen. Bis 1998 hatte die Kohl-Regierung ihre reguläre Finanzierung verweigert, Gerhard Schröder akzeptierte sie. Ab 2005 schien sich die Linkspartei im Aufschwung zu befinden. Im Windschatten dessen wurde das eigene Gebäude der Rosa-Luxemburg-Stiftung genehmigt. Jetzt ist die Die Linke wieder unter die fünf Prozent gerutscht, wo sie unter Kohl bereits war. Zufall oder Menetekel?
Der Bundestag erweiterte sich von 603 Abgeordneten im Jahre 2002– zuvor hatte es gegenüber den 1990er Jahren eine geringfügige Reduzierung der Zahl der Wahlkreise gegeben – auf 735 im Jahre 2021. Das sind nicht von Wahl zu Wahl die über fünf Prozent mehr, die nach Parkinson in Ansatz zu bringen wären. Aber einige Wahlforscher hatten ja mit einem Bundestag mit über 800, gar mit fast 1000 Abgeordneten gerechnet. Damit bewegen wir uns in diese Richtung. Hinzu kommt die spannende Frage, wie sich die Zahl der Gesamtbeschäftigten des Bundestages, einschließlich derer der Fraktionen, der Abgeordneten und der Bundestagsverwaltung entwickelt hat.
Schlagwörter: „Peter-Prinzip“, Armin Laschet, Bernhard Romeike, C. Northcote Parkinson, CDU, Laurence J. Peter