Die Niederlage von USA, NATO, so man will des „Westens“ in Afghanistan löst längst überfällige Diskussionen aus. Bisher zumeist verkürzt auf das Anprangern institutionellen oder personellen Versagens. Die Unterlegenen lassen sich selbst von ihrem fatalen Scheitern nicht zu selbstkritischer Analyse motivieren. Und zwar zu fundamentalem, Kausalitäten aufhellendem und friedenspolitisch dienlichem „Zerlegen“ eines Krieges, den ISAF zu Spitzenzeiten mit über 100.000 Mann aus 50 Nationen führte.
Gegner war der islamistische „gewalttätige Extremismus“, der „die Region destabilisiert und die gesamte internationale Gemeinschaft bedroht“, weshalb die NATO-Staats- und Regierungschefs 2009 bei ihrem Gipfel in Straßburg/Kehl Afghanistan zur „obersten Priorität des Bündnisses“ erklärten. „Wir sind unverändert entschlossen, langfristig ein demokratisches Afghanistan zu unterstützen, das nicht erneut zu einem Stützpunkt für Terroranschläge oder einem Zufluchtsort wird“, hieß es seinerzeit. Der Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung hatte auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“ 2008 für Afghanistan einen „konkreten zivilmilitärischen Gesamtansatz, einen politischen strategischen Plan für unabdingbar“ erklärt. Dem folgte ein vor Ort abzuarbeitendes umfassendes innenpolitisches Arbeitsprogramm. Die CDU hatte bereits 2002 in einem Papier ihrer Wertekommission den 11. September 2001 zum Beleg dafür erhoben, „dass an die Stelle des Ost-West-Konflikts eine Auseinandersetzung um die zivilisatorischen Werte getreten ist, auf die sich eine globale Ordnung stützen muss“.
Im März 2002 betraten Bodentruppen der USA afghanischen Boden. Am 15. August 2021 nahm der Gegner, die Taliban, Afghanistans Hauptstadt kampflos ein. Im Nahen Osten sieht sich islamistischer, zumeist antiamerikanischer Widerstand beflügelt.
Zurück zum Verkürzen der „Afghanistan-Diskussion“ von institutionellem oder personellem Versagen bis zu Schuldzuweisen an die USA. Der eigentliche Kern jenes „politischen Desasters des Westens“ (Norbert Röttgen) ist primär weniger der Sieg der Taliban, sondern dass „der Westen“ mit seiner Antiterrorstrategie als systemischem Bestandteil globaler Sicherheitspolitik versagt. Aus seinem Desaster wird er nicht ohne internationalen Gesichtsverlust herauskommen. Er verfehlte all seine Ziele: die afghanische Gesellschaft nach seinem Demokratieverständnis umzuformen, den islamischen Feind zu entmachten und sich in der Region militärisch dauerhaft festzusetzen – erstrangiges Ziel vor allem der USA.
Summa summarum: Die sicherheits- und militärpolitischen Erfahrungen aus Terrorbekämpfung und „Counterinsurgency“, wie der Westen sie im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika und nun auch in unseren eurasischen Nachbarschaften praktiziert, stoßen an ihre Schranken. Es reicht nicht aus, wenn Europa lediglich „Zusammenprall und Konfrontation“ unterschiedlicher Zivilisationen vermeiden will, es muss vielmehr Kooperation und Koexistenz erreichen. Und zwar nicht als Ergänzung oder Anhängsel zur militär- und sicherheitspolitischen Dimension. Das Zukunftsprofil europäischer Politik gegenüber diesen Räumen und dort stattfindenden gesellschaftspolitischen Prozessen ist neu zu bestimmen.
Schlagwörter: Afghanistan, Arne C. Seifert, NATO-Strategie, USA