Die berühmte Tochter eines berühmten Vaters, des Kupferstechers und Verlegers Matthäus Merian d. Ä. Ausgestattet mit seinen Anlagen, begabt, wissbegierig, aufgeschlossen für die Techniken des Gewerkes, dem Zeichnen, Malen und der Kunst des Kupferstichs. Umfänglich ausgebildet im Atelier ihres späteren Stiefvaters Jacob Marell (auch Marrel). Und hineingeboren in die Zeit der aufkommenden exakten Wissenschaften. Dazu die geniale Verbindung zwischen präziser Beobachtung und künstlerischer Gestaltung. Maria Sibylla Merian (1647–1717; Frankfurt a. Main, Nürnberg, Wieuwerd / holl. Friesland, Amsterdam, Surinam, Amsterdam)
Aufgewachsen in der Häuslichkeit einer weltoffenen, dem Glauben der Reformierten Kirche zugewandten Familie und durch sie geprägt. Verheiratet, Mutter zweier Töchter. Beizeiten anerkannt, geschätzt von der Fachwelt ob ihres Wissens und bewundert, auch von Zar Peter dem Großen und Gottfried Wilhelm Leibniz.
Wer hat sie nicht schon staunend betrachtet, ihre kunstfertigen, wundersamen Blätter mit den Blumengebinden, den Nelken und Tulpen und Lilien, dem leuchtenden Mohn und der nachtdunklen Akelei? Hier und da, der Natur verbunden, ein Schmetterling, ein Räupchen, eine Biene, ein Vogel hinzugefügt. Ursprünglich waren sie zum Teil als Vorlagen und zur Motivauswahl für die „Jungfern-Compagnie“, einem von ihr gegründeten Kreis junger interessierter Frauen gedacht, die sie im Malen und Zeichnen anleitete.
Die Überraschung geschieht im Jahr 1675 mit der Herausgabe des „Ersten Blumenbuchs“ der Künstlerin. Von ihr selbst in Kupfer gestochen und koloriert. Zwei weitere folgen. Doch die Krönung bildet 1680 das „Neue Blumenbuch. Allen Kunstverständigen, Liebhabern zu Lust, Nutz und Dienst mit Fleiß gefertiget.“ Den Titel umgibt ein überreicher Blütenkranz, als sei er soeben in einem schönen Garten gepflückt und gewunden. In diesem Werk zu blättern, bereitet Sinnenfreude.
Im Gleichklang mit der Entwicklung der Blumenbücher nimmt eine andere Neigung der Malerin Gestalt an. Der Drang, die Geheimnisse der Natur zu erforschen. – Vorrangig interessiert Maria Sibylla die Insektenwelt, insonderheit die Verwandlung der Raupen in Schmetterlinge, die sie „Sommervögelein“ nennt. Diese Forscherarbeit beginnt nachweisbar in ihrem Kindesalter und wächst im Lauf der Jahre zu einem Wissensspeicher der Entomologie. Von Sachkundigen hochgelobt. – Den Beginn der Passion hat sie dokumentiert: „Diese Untersuchung aber habe ich in Frankfurt 1660, Gottlob, angehebt …“
Im Vorwort zum Surinamesischen Insektenbuch erinnert sich später die Forscherin: „Ich habe mich von Jugend an mit der Erforschung der Insekten beschäftigt. Zunächst begann ich mit Seidenraupen in meiner Geburtsstadt Frankfurt am Main. Danach stellte ich fest, daß sich aus anderen Raupen viel schönere Tag- und Eulenfalter entwickelten […] Das veranlaßte mich, alle Raupen zu sammeln, die ich finden konnte, um ihre Verwandlung zu beobachten.“ Daraus entspann sich die lebenslange wissenschaftliche Arbeit der Forscherin Merian.
Ihr Vorgehen geschieht nach einem Muster, das die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erlaubt: Pflanze (der Fundort) – Raupe – Verwandlungsprozess – Schmetterling – Datierung. Und genaue, jedoch lebendige Beschreibung. Ergänzt durch die kreative Umsetzung der Malerin Merian. Zur praktischen Durchführung ihrer Forschungen, setzte sie die Tiere in Schachteln und gab ihnen Teile der Pflanzen zur Fütterung, auf denen sie gefunden wurden,
Zwei Raupenbücher entstehen: „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung 1679“, umwunden mit einem Maulbeerzweig (eingedenk der Seidenraupen, mit denen alles begann). Und verteilt im Geäst „Sommervögelein“, Raupen und Käfer.
Maria Sibyllas Forscherdrang überschreitet geografische Grenzen. Begleitet von ihrer jüngsten Tochter Dorothea Maria, unternimmt sie im Juni 1699 eine Reise nach Surinam. Angeregt auch durch die Labadisten-Gemeinschaft in Wieuwerd, in der sie fünf Jahre lebte. Und die im Verfolg der Missions-Arbeit in dem südamerikanischen Land die Labadisten-Siedlung „La Providence“ gegründet hatte.
Was die beiden Frauen in der „Neuen Welt“ erwartete, war überwältigend. Eine Fülle exotischer, nie gesehener Pflanzen und Tiere, weite Zuckerrohr-Plantagen und undurchdringliche Urwälder. Aber auch Entbehrungen, soziale Ungerechtigkeit und die Ausbeutung schwarzer Arbeiter. Von alledem berichtet die Merian, sammelt und präpariert. – Die zwei Reisejahre in dem „heißen und feuchten Land“ fasst sie sachlich und knapp zusammen: „So bin ich dann im Juni des Jahres 1699 dorthin gefahren, um genauere Untersuchungen vorzunehmen. Ich bin bis zum Juni 1701 dort geblieben, und habe mich dann wieder nach Holland begeben, wo ich am 23. September eintraf. Dort habe ich diese sechzig Stück Zeichnungen mit den entsprechenden Beobachtungen auf Pergament gebracht …“ – Nun mussten sie auf Kupferplatten übertragen werden, womit Maria Sibylla drei der besten Kupferstecher betraute, da sie selber durch eine Malaria-Erkrankung noch sehr geschwächt war. Die anschließende farbliche Gestaltung jedoch übernahm sie gemeinsam mit ihren Töchtern.
Im Jahr 1705 ist das Werk vollendet, gedruckt und gebunden. Von der Fachwelt gepriesen und zum Preis von 45 Talern zu haben. „ Metamorphosis Insectorum Surinamensium oder Verwandlung der surinamischen Insekten, worin die Raupen und Würmer […] nach dem Leben abgebildet und beschrieben werden und wobei sie auf die Gewächse und Früchte gesetzt werden, auf denen sie gefunden wurden. […] Gemalt und beschrieben von Maria Sibylla Merian. Zu Amsterdam.“
Unter den 60 Abbildungen auszuwählen, fällt schwer, denn jedes Blatt ist ein Kunstwerk. Und jeder Text enthält vielfältige Informationen. – Da sitzt der elegante „Kleine Atlas“ auf einer gelben Frucht, die Boccave heißt. Sie ist der Banane verwandt und hat „ebenso zartes Fleisch wie diese“. Auf der Frucht tut sich eine braune Raupe gütlich. „Sie hat vier Stacheln auf dem Rücken. Der Kopf zeigt sich gekrönt, der Schwanz gespalten, die Füße sind rot.“ Sie wurde zur Puppe und nach 17 Tagen schlüpfte der „Kleine Atlas“ heraus. Auf seiner Innenseite trägt er eine augenfällige Farbkombination. Die beiden vorderen Flügel deckt ein zartes Ockergelb, die hinteren Flügel überzieht ein tiefdunkles Blau. Die Außenseite des Falters zeigt ein apartes, feines Muster in Gelb, Braun, Weiß und Schwarz. Ein kleines Wunder. – Die Künstlerin nahm noch eine blaue Eidechse mit ins Bild, „hauptsächlich deshalb, um das Blatt zu schmücken“ (XXIII. Abbildung).
Wer so überzeugend Wissenschaft und Kunst miteinander vereint, wie die Merian, dem gelingt es auch, seine Erkenntnisse in Verse zu fassen:
[…] So muß Kunst und Natur sich hertzen und umfangen,
und diese beederseits die Hand einander langen:
Wol dem, der also kämpft! Dieweil, auf solchen Streit
wann alles ist gethan, folgt die Zufriedenheit.
Maria Sibylla Merian: Das Insektenbuch, Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2015, 165 Seiten, 16,00 Euro.
Schlagwörter: Das Insektenbuch, Maria Sybilla Merian, Renate Hoffmann, Schmetterlinge, Surinam