In früheren Tagen konnte es durchaus passieren, dass Dr. Ronald B. Smith einen öffentlichen Auftritt mit den Worten begann „Wir haben etwas gemeinsam: Sie möchten keine Rede hören, und ich möchte keine halten“, um anschließend sein Auditorium mit seiner „unnachahmliche[n] Mischung aus Scherz, Satire, feinsinnig britischem Humor und tiefer Ernsthaftigkeit“ zu begeistern. Das bescheinigte ihm jedenfalls vor über 15 Jahren die Frankfurter Allgemeine. Zwar war Smith auch damals schon Amerikaner, aber den gepflegteren Intellektuellen unter diesen ist bekanntlich britischer Humor durchaus ebenfalls eigen – gleichermaßen lakonisch, pointiert, nicht selten makaber und gelegentlich mit einem Schuss Snobismus. Wer’s nicht glaubt, greife zu Kurzgeschichten von Stanley Ellin oder von Richard Wilson Webb und Hugh Callingham Wheeler, die unter dem Pseudonym Patrick Quentin publizierten.
Als die FAZ über ihn berichtete, stand Smith dem „Verein der Freunde und Förderer des JSO Hessen e. V.“ vor, und hinter dem Kürzel verbarg sich das Jugend-Sinfonie-Orchester des Bundeslandes. Da bestand eine Kernaufgabe darin, Sponsoren zu aktivieren und Spendengelder zu akquirieren. Letzteres betreibt Ronald Smith heute immer noch, inzwischen allerdings in Berlin. Und zwar in einem nicht alltäglichen Ambiente: auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, auf dem er äußerst regelmäßig zu kostenlosen Führungen bereit steht.
Über diesen Friedhof kann etwas journalistisch-bemüht, wie jüngst von der Berliner Morgenpost, vermerkt werden: „[…] unter der Erde der rund 17.000 Quadratmeter großen Fläche, das entspricht etwa zweieinhalb Fußballfeldern, liegt ein Stück Deutsche (sic!) Kulturgeschichte begraben“ oder man kann das wesentlichste Charakteristikum dieses Gottesackers so auf den Punkt bringen wie Ronald Smith: „Dies ist der wichtigste Friedhof Deutschlands.“ Und das führt der offenbar enzyklopädisch gebildete Cicerone seinem Publikum anschließend bei zweistündigem Flanieren durch die Gräberreihen auch vor. Was sich nämlich auf dem Dorotheenstädtischen seit der ersten dortigen Beisetzung im Jahre 1763 an Größen aus Kunst und Kultur, Geistes- wie Naturwissenschaften sowie Politik und Wirtschaft versammelt hat, das dürfte in Deutschland wirklich seinesgleichen suchen.
Smith weiß seine Besucher – in tadelsfreiem Deutsch übrigens – gleichermaßen zu unterhalten wie zu bilden. Da weist er etwa auf zwei Grabstellen: „Hier trifft Typhus auf Cholera.“ Links das Grab von Johann Gottlieb Fichte, zu Lebzeiten der führende Philosoph in Preußen, 1811 zum ersten Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) berufen und heute so gut wie vergessen. Rechts das Grab von Georg Friedrich Wilhelm Hegel, zu Lebzeiten nächst Fichte, den er im Nachruhm (nicht zuletzt dank Marx!) weit hinter sich gelassen hat, der zweite philosophische Leuchtturm in Preußen. Fichte starb 1814 an Typhus, Hegel 1831 an Cholera. In welchem Verhältnis zueinander die beiden standen, lässt sich daran ermessen, dass Hegel auf seinen eigenen nachdrücklichen Wunsch hin neben Fichte bestattet wurde.
Auch fürs Amouröse hat Ronald Smith eine Ader. Etwa wenn er am Doppelgrab von Bertholt Brecht und Helene Weigel erwähnt, dass auf dem Dorotheenstädtischen noch drei weitere Frau begraben sind, die aufgrund von des Dichters zum Teil langjähriger Neigung zu ihnen durchaus Anspruch hätten, näher bei ihm zu liegen. Die Gräber der drei – Ruth Berlau, Elisabeth Hauptmann und Isot Kilian – werden während des Rundgangs dann auch angesteuert.
Zugleich erwähnt Smith, dass sich des Großmeisters Liebesleben damit jedoch keineswegs erschöpfte. Es hätte da zum Beispiel noch eine Schauspielerin namens Käthe Reichel gegeben. Über die würde er allerdings meist nicht sprechen, da sie westdeutschen Besuchern unbekannt sei. Doch das sollte man, wenn der Hinweis gestattet ist, durchaus ändern. Käthe Reichel war schließlich nicht nur eine der bekanntesten und besten Theater- und Filmschauspielerinnen in der DDR, sie gehörte vielmehr auch zu den Organisatoren der legendären Großdemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1990, bei der 500.000 Menschen ihrer Partei- und Staatsführung fünf Tage vor dem Mauerfall die Rote Karte zeigten, und äußerte sich wiederholt und öffentlich kritisch zu bestimmten Aspekten des deutschen Vereinigungsprozesses. So etwa am 5. April 1990 im Berliner Lustgarten vor 100.000 Teilnehmern einer Demonstration gegen den Umtauschkurs 2:1 für die Mark der DDR im Rahmen der geplanten Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion … Um Ihrer Liebe Brecht, der für sie 1952 ein Anwesen am Buckowsee erworben hatte, wo sie 2012 verstarb, auch im Tode nahe zu sein, hatte sich Käthe Reichel eine Grabstelle auf dem Französischen Friedhof gesichert, der unmittelbar an den Dorotheenstädtischen angrenzt. So sind es Luftlinie nur wenige Meter.
Nach den zwei Stunden mit Ronald Smith wundert man sich allenfalls, wie rasch die Zeit verflogen ist. Am Ende hängt der Friedhofsführer seinen, wie er ihn selbst nennt, „Bettelbeutel“ an eine Grabumzäunung und ersucht um Spenden. Die kommen der Pflege und dem Erhalt des Dorotheenstädtischen zugute. Annähernd 25.000 Euro sind auf diese Weise bereits zusammengekommen.
Die Führungen von Ronald B. Smith finden freitags bis sonntags jeweils um 15:00 Uhr statt, nicht allerdings bei Regenwetter. Anmeldungen sind nicht erforderlich. Eine Übersicht der auf dem Dorotheenstädtischen bestatteten Persönlichkeiten kann im Internet eingesehen werden – hier klicken. Weitere Informationen im Internet.
Schlagwörter: dorotheenstädtisch, Friedhof, Ronald Smith, Thaddäus Faber