24. Jahrgang | Nummer 15 | 19. Juli 2021

Kosmische Klänge

von Thomas Behlert

Bis zur Rotkraut- und Weißkrauternte ist es noch eine Weile, aber bis dahin kann man sich mit fast gleich benamster Musik das Ohrinnere vom schmalzigen Frühstücksradiopop befreien: mit Krautrock. Feine Herren aus der Welt der Journale nennen es gar Kosmische Klänge. Egal wie der Name dieser nicht alltäglichen Musik ist, sie ist bis heute nicht aus der Welt der Klänge wegzudenken. Musikbegeisterte oder damalige Protagonisten finden immer wieder in Studiokellern, in Räumen mit abgelagerten alten Bändern oder in verstaubten Schränken Material, das heiter und froh macht und alte Hörgewohnheiten zum Leben erweckt.

Beginnen wir mit den Königen des Krautrock: Can. Schon früh erlernten sie bei Stockhausen wie man ordentlichen Krach gar lieblich mit intelligenten und gleichzeitig verschraubten Tönen verbinden kann. Immer wieder führten sie in den goldenen kosmischen 1970er Jahren ihre Musik Live auf und kamen so auf angeblich über 500 Minuten Aufzeichnungen. Nun kümmert sich der letzte noch lebende Can-Musiker Irmin Schmidt um die Aufzeichnungen, obwohl er dazu nie Lust verspürte. Eine ganze Serie soll es werden und jetzt ist der erste Teil „Live in Stuttgart 1975“ erschienen. Da 1999 schon einmal ein Live-Teil erschien, das ziemlich blechern und dumpf klang, begann ich das neue Album erst einmal distanziert anzuhören. Doch nicht lange und es jagen nie gesehene Tiere durch den Wald, die Improvisationsfreude lässt alle fünf Titel zum Erlebnis werden. Es gibt keinen Sänger, sondern psychedelische Wahrheiten die verdammt krautig-tanzbare Geschosse auf den Amboss der Erleuchtung schmettern und herrlich glühendes Material daraus formen.

In der Reihe „Live At Rockpalast“ erschienen gerade zwei Live-Produkte, die den Hörer fragend zurück lassen. Musste das sein? Als der Rockpalast nur noch ein Schattendasein fristete, durften selbst alte Krautrocklegenden nach ihrer großen Zeit, Trennung und Comeback die vergessenen Songs präsentieren. So spielten Karthago 2004 im Rahmen des WDR „KRAUTrockpalast“ 13 Stücke, die die deutsche Rocklandschaft prägten und manchen Nachwuchsjimi die Gitarre härter zupfen ließ. Immerhin sind noch drei Original-Mitglieder (Albrecht, Bischof, Goldschmidt) dabei, die mittlerweile wie gute Opas aussehen und mit viel Professionalität und dem Uruguayer Rolo Rodriguez (nebst Sohn Chris) den Rock knackig werden lassen. Es wummert und bollert, dass es eine Freude ist und sich die schöne Zeit erahnen lässt. Allerdings werden keine Kämpfe mehr auf der Bühne ausgefochten. Man verabschiedet sich ordentlich, verbeugt sich überglücklich und spielt glasklar und nüchtern (Sic!) noch Zugaben.

Die zweite Rockpalast-Veröffentlichung wurde 2005 in der Bonner Harmonie aufgezeichnet. Wuppertaler Musiker durften noch einmal von alten Zeiten träumen und trotzdem etwas ganz Neues probieren. Bekannt wurden Hoelderlin gleich nach ihrer Gründung mit dem Album „Hoelderlins Traum“, um einige Jahre später mit „Traumstadt“ noch eins drauf zusetzen. Nach 25 Jahren Funkstille wurde nun wieder der lyrische Rock mit gesellschaftskritischen deutschen Texten aufgeführt. Wie damals klang die Musik verspielt, gemütlich und sehr sorgfältig. Es ist immer noch komplexe Rockmusik, durchdrungen von feinem Folk, mit Hang zu surrealistischen Ideen. Kaum bemerkt wurde das plötzliche Wegbleiben von Sänger und Geiger Christoph Noppeney, den Ann-Yi Eötvös perfekt vorbereitet und in hervorragender Stimmung ersetzte. Markus Wienstroer feuerte als Geiger durch die Songs, als gäbe es kein Morgen.

Schließlich sei noch das Album „Weites Land“ von Roedelius und Czjzek erwähnt, das 1987 das Licht der Welt erblickte und trotzdem an die Zeit des Krautrocks erinnert. Beide Musiker sind Elektronik- und Ambient-Pioniere, die die Tonfolgen Außerirdischer ergründeten und sich dann in ein „Weites Land“ mit „Sonnigem Morgen“, „Nähe“ und „Hoffnung“ begaben. Wunderbare harmonische Symbiosen, improvisierte Saxophon-Klänge, organischer Jazz und eine elektronische Annäherung beider Studios machen das Leben schön. Die Acht Stücke wirken heilend und berührend für unsere geschundenen Körper.

Can, „Live in Stuttgart 1975“ (Spoon / Rough Trade).
Karthago, „Live At Rockpalast 2004“ (MIG Music).
Hoelderlin „Live At Rockpalast 2005“ (MIG Music).
Roedelius / Czjzek, „Weites Land“ (Bureau B.).