24. Jahrgang | Nummer 9 | 26. April 2021

Zweierlei Romantik

von Hermann-Peter Eberlein

Was ist die Romantik? Was konstituiert ein Kunstwerk als romantisch? Gibt es verbindliche Charakteristika, um ein Werk als romantisch klassifizieren zu können? Für die bildenden Künste scheinen diese Fragen noch schwieriger zu beantworten zu sein als für Musik und Literatur – weswegen man in der Kunstgeschichte mit mehr oder weniger pragmatisch gewählten zeitlichen oder nationalen Abgrenzungen zu operieren pflegt. Da steht dann die deutsche Romantik neben der englischen (Turner) und der deutlich politischeren französischen (Delacroix); da kommen neben Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge als den typischen Vertretern deutscher romantischer Malerei die Nazarener zu stehen und dann all jene, bei denen – wie bei Ludwig Richter – die Grenze zwischen Romantik und Biedermeier verschwimmt.

Vor allem aber ist bei derlei Abgrenzungen meist unbewusst eine Wertung mit im Spiel: zwischen der revolutionären, philosophisch durchdachten und intellektuell ambitionierten Frühromantik, für die in der Literatur die Brüder Schlegel, Tieck und Novalis, Schelling und Schleiermacher, in der Malerei Runge und Friedrich stehen, und einer oftmals als degeneriert empfundenen idyllischen, anekdotischen und in die Bahnen konservativer Politik und Religion einschwenkenden Spätromantik ohne große intellektuelle Ansprüche. Hierzu wird dann gerne die Düsseldorfer Malerschule gerechnet, die ihre Blütezeit unter der Ägide Schadows in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte und als deren bedeutendste Vertreter Carl Friedrich Lessing, Theodor Hildebrandt, Eduard Bendemann, Andreas Achenbach und Johann Peter Hasenclever genannt werden können.

Wie sich zwei Ausprägungen romantischer Malerei zueinander verhalten, macht ein Rundgang durch die Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker“ sinnfällig. Da hängen, geordnet nach sieben verschiedenen Themenkreisen, Bilder und Zeichnungen von Friedrich solchen von Vertretern der Düsseldorfer Schule gegenüber, und es braucht kein besonderes Vorwissen, um den Unterschied in der Stimmung zu erspüren. Eine Art Präludium bildet bei den Atelierszenen der Gegensatz zwischen Georg Friedrich Kerstings strengem Portrait Caspar David Friedrichs im Atelier (um 1812), das die Unnahbarkeit des Schaffensprozesses ausstrahlt, und der wüsten und eben diesen Prozess ironisch in Lächerliche ziehenden Atelierszene von Hasenclever aus dem Jahre 1836. Solche Differenz lässt sich in jeder der folgenden Abteilungen, in deren Mittelpunkt immer Naturerfahrung und Naturbewältigung stehen, belegen. Als Beispiele nenne ich Friedrichs Rückenbild der zentral vor einer Mittelgebirgslandschaft stehenden, in die Weite schauenden „Frau vor der auf- oder untergehenden Sonne“ (um 1818) und Hasenclevers „Sentimentale“ von 1846, neben der aufgeschlagen die Bücher liegen, denen sie ihre kokette Mondsehnsucht aus zweiter Hand verdankt, sowie die beiden Bilder, die Vorder- und Rückseite des Katalogs schmücken: Friedrichs hochsymbolisches Seestück „Lebensstufen“, etwa 1834/1835 entstanden, und Andreas Achenbachs dramatischen „Seesturm an der norwegischen Küste“, wenige Jahre später gemalt. Immer wieder zeigen sich bei Friedrich symbolische Aufladung oder eine Komposition, die in die Unendlichkeit weist, während die Düsseldorfer eine ernüchterte Schau präsentieren, traumlos-realistisch und entzaubert, dafür gelegentlich schon mit vormärzlich-gesellschaftskritischer Zielrichtung (Wilhelm Joseph Heine, Gottesdienst in der Zuchthauskirche, 1837).

Wo auch immer die eigenen Vorlieben liegen: Die Ausstellung ist, gerade in ihrer thematischen Begrenztheit, ein Genuss, der – verschämt sei’s gesagt – noch dadurch gesteigert wird, dass man in Ruhe durch die Säle gehen kann, weil sich in den Räumen nicht allzu viele Menschen drängeln dürfen. Hoffentlich besteht bald wieder die Möglichkeit, zeitlich festgelegte Eintrittskarten zu erwerben.

Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker. Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf, noch bis zum 24. Mai (derzeit geschlossen); vom 8. Oktober bis zum 9. Januar 2022 im Museum der bildenden Künste Leipzig. Der Katalog kostet 29,80 Euro.