Der Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan, kriegte sich gegenüber den Journalisten kaum ein: „Seien Sie gewiss, heute ist ein großer Tag für die amerikanische Diplomatie. Der Gipfel ist eine großartige Sache für den Präsidenten und unser Land“. Gemeint war die virtuelle Gipfelkonferenz der Quad-Gruppierung am 12.März, an der neben Präsident Biden der australische Premierminister Morrison, der indische Premier Modi und der japanische Premier Sugo teilnahmen.
Der Quadrilaterale Sicherheitsdialog, kurz Quad genannt, erfuhr in der Tat in den wenigen Wochen der Amtszeit von Präsident Biden eine enorme Aufwertung. Nahezu 13 Jahre dümpelte er vor sich hin, erst im letzten Jahr wurde das Dialogforum auf die Ebene der Außenminister angehoben, jetzt versuchten die Regierungschefs der vier großen Staaten, ihm eine dauerhafte Lebenskraft zu verleihen.
Die Biden-Administration setzt damit ihre Bemühungen fort, in Asien verstärkt das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen. Ziel ist, den von ihr ausgemachten „strategischen Rivalen“ China zurück zu drängen. Anders als Präsident Trump, der das im Alleingang bewerkstelligen wollte, setzt Biden auf Verbündete und Partner. Die Quad – obwohl keine Organisation mit einem Statut oder Programm und ohne gegenseitige Verpflichtungen, sondern bisher lediglich ein Forum für einen Meinungsaustausch – bot sich dafür an. Und die USA stiegen groß ein, indem sie kurzfristig die Regierungschefs der erwähnten indo-pazifischen Länder zusammenbrachten, um so auf höchster Ebene die für sie wichtigsten Probleme der Region zu erörtern und Wege für ihre Lösung zu suchen.
Die Gipfelkonferenz hat eine Gemeinsame Erklärung verabschiedet, „Der Geist der Quad“, die praktisch ein Programm mit Zielen und weiterem Vorgehen darstellt. Obwohl China und seine Politik darin nicht direkt erwähnt werden, ist es darauf ausgerichtet, der „strategischen Herausforderung“ des Rivalen entgegenzutreten. Bekannte Positionen werden jetzt gemeinsam festgeschrieben: die Forderung nach einem Regel bestimmten Indo-Pazifik, insbesondere Achtung des Völker- und Seerechts im Ost- und Südchinesischen Meer sowie eine Zusammenarbeit in der Region, frei von Druck, Zwang und jeglicher Vorherrschaft. „Demokratische Werte“ – sicherlich mit Blick auf Hongkong, Tibet und Xinjiang – sollten die Region bestimmen.
Dem erklärten strategischen Ziel ist auch eine vorgesehene Zusammenarbeit der Quad-Staaten auf ausgewählten Gebieten untergeordnet. So wird eine zusätzliche Impfstoffproduktion in Indien geschaffen, mit der bis Ende des nächsten Jahres eine Milliarde Impfdosen für die Region bereitgestellt werden sollen. Japan und die USA finanzieren, Indien produziert, Australien übernimmt die Logistik – so ist es vorgesehen. Der „Masken- und Impfstoffdiplomatie“ Pekings soll so entgegengetreten werden. Auch der regionale Klimawandel sowie der gesamte Bereich der sogenannten neuen Technologien soll durch Arbeitsgruppen erfasst und aktiv angegangen werden. Medien zufolge geht es unter anderen um Halbleiter, seltene Erden, Cyberaktivitäten, künstliche Intelligenz sowie Quantencomputer. Die Aufzählung macht hellhörig, denn sie umfasst Bereiche der Forschung und Entwicklung, von denen China – der US-Politik zufolge – von einer Zusammenarbeit ausgeschlossen werden soll.
Sicherheit und Verteidigung finden indes keine direkte Erwähnung. Doch zwischen den USA und Japan sowie mit Australien gibt es seit vielen Jahren Sicherheitsbündnisse mit Beistandsklauseln. Indien, das sich viele Jahre als nichtpaktgebunden bezeichnet hat, ist inzwischen durch einige Verträge auf dem Gebiet der Sicherheit mit den USA verbunden. Trotzdem besteht qualitativ zu den übrigen Teilnehmern der Quad ein Unterschied betreffs der militärischen Bindung aneinander, den Indien erhalten möchte.
Die Aktivierung der Quad ist zweifellos ein neues Merkmal in den internationalen Beziehungen der indo-pazifischen Region. Alle vier Staatenlenker bezeichneten das erste Gipfeltreffen euphorisch als „historisch“. Doch seine Aussagen und Festlegungen sowie die sie begleitenden Wertungen von US-Politikern sind eindeutig gegen das größte Land Asiens gerichtet, die Spaltung des Kontinents wird vorangetrieben. Die USA als treibende Kraft versuchen, die Verteufelung Chinas auf eine breitere Basis zu stellen. Doch was sie China vorwerfen, betreiben sie selbst in einem viel größerem Umfang. Wie anders als Druck und Erpressung sind ihre völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen China und andere Staaten zu charakterisieren? Und eine Lektion über demokratische Werte in den USA mussten sich die US-Spitzendiplomaten Sullivan und Blinken ausgerechnet von einem KP-Politbüromitglied bei dem Treffen in Anchorage am 18. März anhören.
China antwortete auf das Quad-Treffen bisher gelassen. Ein Sprecher des Außenministeriums wandte sich wie schon früher gegen die Bildung von exklusiven Bündnissen, die sich des „Gespenstes der chinesischen Bedrohung“ bedienen. Ziel sei, Uneinigkeit zwischen den Staaten der Region zu säen und ihre Beziehungen zu China zu stören. Statt Störmanöver sei Zusammenarbeit aller Staaten angesagt.
Erwähnt werden soll indes noch ein Leitartikel in der Global Times, der englischsprachigen Tageszeitung Chinas. In ihm wird schweres Geschütz gegen Indien aufgefahren. Indien, das in diesem Jahr Vorsitzender der BRICS-Gruppierung ist und ihr Gipfeltreffen vorbereitet, sei durch die Quad-Teilnahme ein Negativposten in der BRICS- und Schanghai-Gruppierung geworden, wird behauptet. Es unterstütze mit der Quad die US-Strategie, China entgegenzutreten, es zu isolieren und abzuschrecken. Und weiter heißt es, Indien solle sich von den USA gegen China nicht missbrauchen lassen, nicht mit dem Feuer spielen, da es darin verbrennen könnte. Nun, die Global Times gibt bekanntermaßen keine Privatmeinung wieder. Die Vorwürfe dürften allerdings mehr als nur Propaganda sein, vielmehr kann man sie auch als Teil der breit gefächerten Diplomatie Chinas ansehen.
Die Teilnahme Indiens an der neuen Quad verdient indes eine genauere Betrachtung. Wie schon bei früheren Beratungen hat Neu Delhi mäßigende Positionen bezogen, auch in Bezug auf China. Bezeichnenderweise fehlt im Abschlussdokument eine Erwähnung des indo-chinesischen Grenzkonfliktes (bei Aufzählung anderer Konflikte in der Region), der seit einem Jahr die indische Politik außerordentlich beschäftigt. Die Charakterisierung Chinas als „Aggressor“ in dieser Frage – der von indischen Spitzenpolitikern nicht verwendet wird – geschah durch US-Vertreter am Rande der Konferenz. Indien hingegen will offensichtlich die gerade erfolgten Entspannungsschritte mit China an seiner Nordgrenze nicht gefährden. Andererseits ist die Teilnahme Indiens an der Quad darauf gerichtet, seine Stellung in den internationalen Beziehungen, auch China gegenüber, zu stärken. An der Seite der hochentwickelten Industriestaaten USA, Japan und Australien wird es künftig wohl in die Lösung aktueller technologischer Probleme einbezogen. Indien erhofft sich so für seine Forschung und Entwicklung einen dringend benötigten Aufschwung. In der öffentlichen Meinung Indiens schleicht sich jedoch Sorge über den außenpolitischen Kurs der nationalistischen Modi-Regierung ein. Wohin wird das Land an der Seite der USA geführt und werden die Beziehungen zu China nicht endgültig gefährdet, lauten die ersten Fragen.
Die Quad soll nach dem Willen ihrer Teilnehmer ein bleibender Faktor in der indo-pazifischen Region werden. Das nächste Gipfeltreffen wurde schon vereinbart, zwischenzeitlich soll es reguläre Treffen auf Ministerebene geben. Die Arbeitsgruppen sollen bereits bis Jahresende erste Resultate für das weitere Vorgehen auf den ausgewählten Sachgebieten liefern. Bleibt abzuwarten, welchen Widerhall die Quad international sowie regional findet. Nicht zu übersehen ist, dass China in einer Reihe asiatischer Staaten über beträchtlichen Einfluss verfügt. Auch dürften gestandene regionale Gruppierungen mit eigenen Vorstellungen und Aktionen, wie die ASEAN, der Quad wohl erst einmal abwartend gegenüber stehen.
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