In Halle bereitet das Kunstmuseum Moritzburg eine große Willi Sitte Werkschau vor.
Der Maler wurde am 28. Februar vor 100 Jahren geboren.
Der Name Willi Sitte ist eine Marke. Für all die, die einen Zugang zu seiner Kunst und ihren Wandlungen haben und sie mögen. In dem einst gängigen Kalauer „Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt“ schwang bei seinen Zeitgenossen neben spöttischer Ironie immer auch unterschwelliger Respekt mit. Sittes Malerei stand für viele für den offiziell postulierten „sozialistischen Realismus“. Die vitale Opulenz seiner geradezu barocken Körper und die formale, oft dramatische Dynamik seiner Porträts rechtfertigen gleichwohl nur selten den Vorwurf platter Propaganda. Da er sein Leben lang in der Tradition figürlichen Malens verwurzelt blieb, war ihm allein schon deshalb ein prominenter Platz in den dogmatischen Grabenkämpfen über das, was als modern und en vouge zu gelten habe, sicher.
So wurde der Zeichner, Maler, Grafiker, Hochschullehrer und Funktionär noch vor seinen berühmten Leipziger Kollegen Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, mit denen zusammen er auch schon mal abschätzig als „Viererbande“ der DDR-Staatsmaler firmierte, zum Feindbild, ja Hassobjekt – als einflussreicher Professor und von 1975 bis 1987 als Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, von 1974 bis 1987 als Präsident des Verbandes Bildender Künstler und nicht zuletzt als Mitglied des ZK der SED. Bei Sitte kam hinzu, dass er von seinen nach dem Krieg gewonnenen kommunistischen Überzeugungen nie abrückte. Weder als Künstler noch als Zeitgenosse.
Als Soldat war der 1921 im nordböhmischen Kratzau geborene, 1944 nicht nur desertiert, sondern hatte sich auch den italienischen Partisanen angeschlossen. In dieser Zeit feierte der junge Maler mit seiner altmeisterlichen Perfektion einen ersten Erfolg in Italien. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland entschied er sich – so wie viele prominente Emigranten – bewusst für die DDR und hielt daran fest.
Als Maler und Zeichner hatte sich Sitte in den Siebzigerjahren auch im Westen so viel Aufmerksamkeit und Anerkennung verschafft, dass er gemeinsam mit den drei Leipzigern 1977 (unter anderem dank des bekannten Groß-Sammlers Peter Ludwig) auf der documenta in Kassel die DDR-Kunst repräsentierte.
Die für die Biographie Willi Sittes exemplarische Verbindung von Zeit- und Kunstgeschichte führte noch über zehn Jahre nach dem Ende der DDR 2001 zu einem regelrechten Eklat. Eine vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg geplante Retrospektive zum 80. Geburtstag des Künstlers sollte verschoben werden, weil man plötzlich Sittes Rolle als Kulturfunktionär näher untersuchen wollte. Der gekränkte Jubilar sagte daraufhin seinerseits die Ausstellung ab.
Aber auch seine quasi Heimatstadt Halle ging nicht viel souveräner mit ihrem bekanntesten Maler um. Es ist bezeichnend, dass sich die Willi-Sitte-Stiftung im benachbarten Merseburg ansiedelte. Mit einer architektonisch fabelhaft alt und neu vereinenden Galerie am Domberg. Deren Eröffnung 2006 blieb nicht nur wegen des großen Protokolls (so redete etwa Ex-Kanzler und Sitte-Freund Gerhard Schröder) in Erinnerung. Selbst der damalige CDU-Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, musste sich mit seiner Teilnahme über Bedenkenträger im eigenen Hause hinwegsetzen. Er war allerdings alt genug und so integer, um sich an die Diffamierungen zu erinnern, denen auch Sitte in der unsäglichen Formalismus-Debatte ausgesetzt gewesen war, die ohne Zweifel einer der Tiefpunkte der Kulturpolitik à la DDR, respektive SED war. Damals galt kleinmütigen Funktionären die Nähe des noch jungen Malers zu Vertretern der westlichen Avantgarde wie Pablo Picasso, Renato Guttuso, Max Beckmann und Fernand Leger als höchst verdächtig.
Die Merseburger Sitte-Galerie bot – neben Wechsel-Ausstellungen – mit einem Bestand von 240 Gemälden und weit über tausend Papierarbeiten aus dem Nachlass einen gut sortierten Überblick über das Gesamtwerk des Zeichners, Grafikers und Malers Willi Sitte. Eigentlich eine optimale Voraussetzung für einen sachkundig belegbaren Diskurs über Stellung und Verhältnis dieses deutschen Künstlers in sowie zur Kunst- und Zeitgeschichte.
Dass es dem Land, seiner Heimatstadt Halle, der Gastgeberstadt der Stiftung und allen Förderern nicht gelungen ist, die Stiftung und die Galerie am Leben zu erhalten, gehört wiederum zu den traurigen, geschichtsvergessenen Seiten heutiger Kulturpolitik. Wer auch nur einmal das famos hergerichteten Haus am Merseburger Dom besucht hat, kann kaum glauben, dass diese Institution im Jahr des einhundertsten Geburtstages ihres Namensgebers ihre Pforten wieder schließen muss, weil der Unterhalt nicht aufzubringen ist. Sittes Biografie bleibt so auch nach seinem Tod mit den besonderen Verwerfungen der deutschen Geschichte verbunden.
Zum 100. Geburtstag Willi Sittes ist aber nicht nur das Ende der Stiftung zu beklagen. Es gibt auch Zeichen eines entspannteren Umgangs mit dem streitbaren, dabei immer eigenwilligen Künstler. Vor zwei Jahren hatte er bei der Ausstellung „Kunst in der DDR. Utopie und Untergang“ im Düsseldorfer Kunstpalast ganz selbstverständlich seinen Platz unter den prägenden Vertretern der Malerei in der DDR. Und in Halle bereitet Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich, tatkräftig unterstützt von der Witwe des Malers, für den Oktober die große Ausstellung vor, die einem Künstler wie Sitte im Jahr seines 100. Geburtstages gebührt. Bauer-Friedrich will rund 250 Werke präsentieren. 20 Gemälde sind im Besitz der Moritzburg, andere werden aus Merseburg, Leipzig und Berlin, ja aus Budapest oder Wien und von vielen Privatsammlern ausgeliehen.
Man kann nur hoffen, dass der Kampf gegen die mitregierende Pandemie zulässt, diese geplante – längst überfällige – große Werkschau eines bedeutenden deutschen Malers im Herbst für das Publikum zu öffnen!
P.S.: Und was stellt die Burg Giebichenstein, Sittes langjährige Wirkungsstätte, auf die Beine? Ich fragte an und erhielt diese Auskunft: „Im Rahmen des 100-jährigen Geburtstags von Willi Sitte ist an der BURG keine Veranstaltung oder ähnliches geplant. Auch grundsätzlich richtet die BURG keine Jubiläumsausstellungen für einzelne Künstlerpersönlichkeiten aus.“
Nu ja – jeder ist halt nicht nur des eigenen Glückes, sondern gegebenenfalls auch seiner eigenen Armseligkeit Schmied.
Schlagwörter: Joachim Lange, Willi Sitte