Vielleicht sehnt man sich deshalb nach den Sommernächten, weil es Winterzeit ist, Schnee fällt und das Eis auf den Pfützen knistert. –William Shakespeare „A Midsummer Night’s Dream“. Dieses großartige Verwirrspiel der Weltliteratur. Dieser Taumel zwischen Traum und Wirklichkeit. William schrieb es vermutlich Ende des 16. Jahrhunderts nieder, zum Gaudium der nachfolgenden Geschlechter. Zu lesen und, um den Genuss zu erhöhen, mit der Schauspielmusik „Ein Sommernachtstraum“ op. 61 von Felix Mendelssohn Bartholdy dezent im Hintergrund.
Shakespeare stellt die wichtigsten Akteure vor: Theseus, Herzog von Athen und Hippolyta, Königin der Amazonen. Beide wollen in Kürze heiraten. Vier junge Athener: Demetrius, der Schwarzgelockte und Lysander, der Blondgelockte; Hermia, die kleine Mollige und Helena, die große Schlanke. Die Vier möchten ebenfalls heiraten. Doch fürs Erste sind sie das Hauptziel der angekündigten Verwirrungen. Und das geschieht in jener Sommernacht, in der Unglaubliches vor sich geht. Dazu bedarf es noch den Auftritt des Elfenvolkes, welches das Treiben vollends durcheinanderwirbelt. Oberon und Titania, ihr Königspaar mitsamt dem Schelm Droll (Puck) sorgen für eine Entführung der jungen Leute in die Traumwelt.
Unerwartet gerät noch eine Truppe von fünf Handwerkern in das nächtliche Treiben. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, zur Hochzeit des Herrscherpaares ein Spektakel aufzuführen. „Die höchst klägliche Komödie und der höchst grausame Tod des Pyramus und der Thisbe“ (Lachen ohne Ende). Die Rollen werden verteilt und die Spieler „ermahnt und ersucht, sie bis morgen nacht auswendig zu wissen.“ Probentreff im „Schlosswald“ von Athen, „bei des Herzogs Eiche.“
Die Tragödie in der Sommernachtskomödie: Hermia liebt Lysander und soll auf Befehl ihres Vaters Demetrius heiraten, sonst Tod oder Kloster! Demetrius liebt ebenfalls Hermia, aber sie will ihn nicht. Helena liebt Demetrius, doch er will sie nicht. – Das Liebespaar Hermia und Lysander beschließt, in der Dunkelheit zu fliehen. Helena erfährt davon. Von ihr erfährt es Demetrius. Er eilt den Geflohenen nach. Und Helena, in überschwänglicher Neigung befangen, läuft Demetrius nach. Nun fehlen noch Oberon und Titania, die im Streit liegen um ein „kleines Wechselkind“, das Titania bei sich hat und Oberon als „Edelknaben“ haben möchte. Kein Einvernehmen. – Doch nun sind alle Beteiligten im Wald versammelt. Bei Mondschein! Die Tollheiten nehmen ihren Lauf.
Die jungen Athener verlieren sich, suchen sich und irren orientierungslos im Grusel des Waldes umher. Oberon zieht durch die Lüfte und will den Trotz seiner Königin brechen und sich gleichermaßen rächen. Dieserhalb schickt er Droll (Puck) auf die Suche nach der Blume „Lieb’ im Müßiggang“. „Ihr Saft, geträufelt auf entschlafne Wimpern, / Macht Mann und Weib in jede Kreatur, / Die sie zunächst erblicken, toll vergafft.“ So solls mit Titania geschehen. Sie schläft auf ihrem Primel-Veilchenlager „bei des Herzogs Eiche“. Ein Tröpflein „Lieb’ im Müßiggang“ fällt auf ihre geschlossenen Äuglein. – In der Nähe proben die Handwerker. Zettel, der Weber, gibt den Pyramus. Er möchte aber auch den Löwen, der im Rührstück mitspielt, übernehmen, weil er so gut brüllen kann. Ablehnung. Verärgert tritt Zettel ab. – Droll (Puck), einmal beim Träufeln, beträufelt indessen Lysander, der sich plötzlich Helena gegenüber sieht. Nunmehr läuft die Liebe überquer. –
Abseits im Gebüsch vollbringt der Oberschalk jedoch sein Meisterstück. Er hext dem Zettel einen Eselskopf an. Titania erwacht und da steht Zettel der Esel vor ihr.
Titania: „Gewaltig treibt mich deine schöne Tugend, / Beim ersten Blick dir zu gestehn, zu schwören: / Dass ich dich liebe.“ –
Zettel, der nichts von seiner Verwandlung bemerkt, fühlt sich geschmeichelt.
Titania: „Du bist so weise, wie du reizend bist.“
Zettel: „Das nun just auch nicht.“
Titania: „Komm, lass uns hier auf Blumenbetten kosen! / Beut, Holder mir die zarte Wange dar: / Den glatten Kopf besteck ich dir mit Rosen, / Und küsse dir dein schönes Ohrenpaar.“
Zettel: „Es kommt mir eine Exposition zum Schlaf an.“
Titania: „Schlaf du! Dich soll indess mein Arm umwinden.“ –
Sie schlafen ein.
Das Durcheinander scheint unentwirrbar zu sein. Doch William Shakespeare löst es mit Bravour. Die vier Liebenden aus Athen finden nach ihren Herzensbedürfnissen zueinander. Oberon und Titania versöhnen sich (bis zum nächsten Streit). Die Handwerker dürfen ihren Schwank zur großen Hochzeitsfeier von Theseus und Hippolyta vortragen. – Und was in dieser Nacht geschah, das fasst Zettel, der Weber zusammen: „Ich hatte ’nen Traum – ’s geht über Menschenwitz, zu sagen, was es für ein Traum war. Der Mensch ist nur ein Esel, wenn er sich einfallen lässt, diesen Traum auszulegen.“
*
Behutsam hebe ich eine Figurengruppe auf den Tisch. Sie sind es, Titania, die Elfenkönigin und Zettel, der Weber mit dem Eselskopf. Das absonderliche Pärchen aus der verwunschenen Sommernacht. Beide in seliger Übereinkunft, zärtlich und weltvergessen. Poesie in den schönsten Farben.
Titania haucht: „Begehre nicht, aus diesem Hain zu fliehn; / Du musst hier, willig oder nicht, verziehn. / Und sieh, ich liebe dich! drum folge mir, / Ich gebe Elfen zur Bedienung dir.“
Zettel (verlegen): „Wenn ich Witz genug hätte, um aus diesem Walde zu kommen, so hätte ich just so viel, als mir nötig täte.“ –
Wie dem auch sei, er genießt dieses Schäferstündchen, brummelt vor Wonne und liegt lustvoll auf dem geschwungenen Waldboden. Motten und Schmetterlinge umgaukeln ihn, und ein großer Hirschkäfer krabbelt schwerfällig ihm zur Seite. Waldeslust „bei des Herzogs Eiche“. –
Zettel stützt den Kopf auf. Ihn schwindelt ein wenig, denn dicht vor seinen Nüstern locken die wohlgeformten Brüste Titaniens. Wer könnte wohl dem Anblick widerstehen? Und über ihm schwebt sie. Rank und schlank, biegsam und schmiegsam. Das wehende Haar ist mit Blüten durchflochten; und wie aus Floras Füllhorn gestreut, bedecken sie auch den zarten Leib. – Titania schmachtet ihren Zettel mit einem Augenaufschlag unter feinfeinsten Wimpern an. Sie ist in ihn verliebt. Und er in sie. – Und ich in beide.
Figurengruppe „Titania und Zettel“, Meissener Porzellan, Künstler: Peter Strang (etwa 1969).
Schlagwörter: Meissener Porzellan, Peter Strang, Renate Hoffmann, Sommernachtstraum, William Shakespeare