Es ist soweit, das Perversum schlägt zurück. Die letzten Tage sind angebrochen, die Königin wankt. Nein, die Königin wird ins Wanken gebracht, indem die ersten Untertanen (in zunehmender Zahl) es wagen, sie Königin zu nennen, lauter als bisher; hinter vorgehaltener Hand oder gemailt ja schon länger. Obwohl sie nicht Königin, sondern Kanzlerin ist, Dienerin des Staates, wenn auch die oberste.
Das Strick-Muster funktioniert wieder und wie immer, bei Lichte betrachtet langweilig. Was steigt, muss fallen; was oben unantastbar schien, muss nach unten gezogen und zu Dreck werden; was gehypt ist, muss geduckt werden. Die Hände der Gefolgschaften lösen sich von der Hosennaht, und siehe, sie ist gerissen und zeigt die nackte, schmutzige Haut unterm Stoff. Und frech lugen die Flöhe heraus und husten.
Gefragt wird, man kann ja mal! man darf ja mal! Grummelgrummel! –, ob sich nicht neuerdings Monarchistisches im Verhalten der Angela Merkel zeige.
Da hat sie in Davos kundgetan, dass es mit der Digitalisierung hapere und viele Prozesse zu bürokratisch seien. Im eigenen Lande. Hört, hört! Als wäre dies dem Perversum oder dem Bürgerlein was Neues. Aber es lassen sich Verbalstricke draus drehen, indem jetzt endlich kritisch gesagt wird, was die Kanzlerin selbstkritisch vorgibt, und zugespitzt: „Hätte Merkel daran nichts ändern können?“
Auch läge es mit der Bildung im Argen; die letzte Bildungs-Reise (?) habe die Kanzlerin vor zwölf Jahren unternommen (alle Kutschen kaputt?), und ein sogenannter Digital-Gipfel sei in etwa vor eben so langer Zeit erklommen worden. Und wer eine Antwort auf die Frage sucht, ob die Königin daran nichts hätte ändern können, kommt zu dem „bitteren Ergebnis: Merkel hat es kaum versucht … Eine traurige Bilanz noch so vielen Jahren.“ (Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2021)
Ja, bewegt sie sich überhaupt noch? Und hatte sie in „so vielen Jahren“ nicht wenigstens einen Koch bei sich? Oder ließen die Maurer von Bundestag, Regierung, Ministerien, Behörden und Ämtern jeden Tag pünktlich nach ihrem Nine-to-five-Job die Kellen in den Mörteleimer platschen, und sie gingen nach Hause?
Dann wird festgestellt, grummelgrummel, dass das Kanzleramt sich in den Jahren ziemlich arrogant verhalten habe gegenüber den Abgeordneten der höchsten Volksversammlung. (Ich bitte um Entschuldigung für diesen feinen, doch irreführenden Begriff; und ich bitte auch darum, jetzt nicht mit dem Begriff der „parlamentarischen Demokratie“ ausdisputiert zu werden). Erinnert wird – aus den Reihen der CDU heraus –, dass ihr eigener Fraktionsvorsitzender Kauder eben deshalb abgewählt worden sei: weil er als Vollzugsbeamter der Kanzlerin auftrat. „Aber derlei scheint Merkel nach gut 15 Jahren im Amt gerne zu vergessen.“ (Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 2021)
Grummelgrummel.
Die Gaspipeline Nord Stream 2, eigenhändig verlegt von Angela I., sei schon jetzt eine „riesige Investruine“; „Gerade die Kanzlerin hätte das besser wissen können und müssen. Sie hat sich gewissermaßen selbst übers Ohr gehauen.“ (Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2021)
Langsam läuft sich das Perversum warm.
Und dann, Hallelujah, auweia, jemineh!, wird ein Ministerpräsident dabei ertappt, dass er die Königin / Kanzlerin „Merkelchen“ genannt hat. Da rauscht’s los im Untertanen-Tann der Medien. Das Unbotmäßige, gekreuzt mit vagem Metoo und gewürzt mit chronischem Chauvi-Pfeffer, wird empört ausgestellt. Nur die wirklich Wissenden schweigen still. Vermutlich haben sie das „Merkelchen“ vor Jahren unterschätzt, und obwohl sie natürlich auch „Merkelchen“ denken, denken sie auch an sich selber – und so viel Respekt sind sie sich selber schuldig (man muss auch an die Geschichtslegenden später denken), dass sie nicht als diejenigen mit dem Dolch im Gewande aufgelistet werden wollen.
Das Perversum läuft sich warm und wärmer.
Schon poltert es im Fernsehen mit viert-virtueller Gewalt: „Die viertgrößte Industrienation der Welt kriegt es nicht gebacken, Impfstoff zu beschaffen! Das ist für sie ein absoluter Wendepunkt in ihrer Karriere als Kanzlerin. Und das auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft!“ (Strunz in maischberger. die woche, ARD, 27. Januar 2021) Das ist schon mehr Pauke als Querflöte oder Dudelsack.
Im Übrigen gilt Frau Merkel im Privaten oder im Halboffiziellen oder in irgendeinem Eckchen des Intrahöfischen als schlagfertiger, humorvoller, witziger Mensch, der Linsensuppe kann.
Bald auch das, ich wette meine erste Corona-Impf-Dosis drauf: Das Perversum wird sich der Königin / Kanzlerin speech vornehmen und analysieren. Aus ihrem trockenen, faktischen, sachlichen Stil – gern wird auf ihre Jungsteinzeit als Physikerin verwiesen – wird das grauenvoll abstrakte, nichts- und allessagende, durchaus tonlos Verworrene werden. Ihro schreitende Majestät und Ihro zurückhaltende Art werden – nolens volens (etwa: nölig wohlig) – zur Unbeholfenheit im Umgang mit Untertanen degradiert werden; erinnern Sie sich etwa nicht an das weinende Mädchen aus Syrien, als die Chefin zu verstehen gab, dass nicht jeder in Deutschland bleiben könne? Und dass sie Angst vor Hunden hat, beweist doch auch, dass sie nur ein Aschenbrödel am Hofe wahrer Protz-Köpfe war. Echte Majestät kennt keine Angst und krault jedem Autokraten-Hund lächelnd das Nacken-Fell.
Das Perversum wird triumphieren, wenn die Königin / Kanzlerin endlich abgedankt hat. Es wird schreien: Aber sie war doch nackt! Und nur in fernen Regionen des Zeitgeschmacks wird es Freaks geben, die Blazer in allen Größen und Farben herstellen, sammeln, kultisch verehren.
Dass an der Dame zum Ende ihrer Macht-Ausübung etwas Monarchistisches hafte, so what (etwa: watn ditte)? Das Perversum wird sich die Frage nicht stellen, ob das nicht etwa damit was zu tun getan haben könnte, dass es (das Perversum höchstselbst) sie zur Monarchin gemacht hat? Jahrelang? Und es wird Doktorarbeiten geben zu ähnlichen Themen wie: Wie Werkzeuge zu Handwerkermeistern werden – der Weg eines Mädchens zur Mächtigen.
Wahrlich, ich verteidige weder Majestäten noch Merkel. Wahrlich, ich empfinde das Spiel des Perversums als widerwärtig und – als die bizarre Facette eines Personenkults, der freilich nicht funktionieren würde, gäbe es nicht das Publikum dafür.
Schlagwörter: Angela Merkel, Eckhard Mieder, Kanzlerin, Medien, Personenkult, Untertanen