Paul Klee, Maler und Musiker, auch „Dichter, Naturforscher, Philosoph“, wie er sich selbst bezeichnete, entfaltete nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sein unübersehbar reiches Werk zwischen den Polen träumender Naivität und höchster Geistigkeit, aber auch der Aneignung von Fremdem und der Verarbeitung von Eigenem. Gerade weil er so vielschichtig war, weil er mit allen Stilrichtungen seiner Zeit in Berührung kam, kann man ihn auch keiner von ihnen so richtig zuordnen. Er blieb der meditative Einzelgänger, der die Welt in seinen Bildern neu zu erfinden und ihr etwas von ihrem ursprünglichen Zauber zurückzugeben suchte. Und das eben macht seine epochenübergreifende Bedeutung als unerschöpflicher Formanreger aus.
Die gegenwärtig im Museum Berggruen in Berlin-Charlottenburg gezeigte Sonderpräsentation der im Zusammenhang mit Klees Nordafrika-Reisen – 1914 nach Tunesien, 1928 nach Ägypten – entstandenen Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf bietet Gelegenheit, sich die kunsthistorische Bedeutung dieser Reisen vor Augen zu führen.
Im April 1914, an einem glücklichen Tag in Kairuan, dem geistigen Zentrum Nordafrikas, notierte der 32-jährige Paul Klee angesichts der orientalischen Landschaft und einer ihm neuen Kultur in seinem Tagebuch: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler“. Auf seiner Tunesienreise, in der Welt des Orients hatte er die Farbe für sich entdeckt, und die Farbe wiederum löste ihn weitgehend vom Gegenständlichen.
Klee, der mit August Macke und Louis Moilliet nach Tunesien gereist war und sich dort noch nicht einmal drei Wochen aufhielt, hat während der Reise gezeichnet und aquarelliert, dann aber auch das auf der Reise Gesehene und Gefühlte in München malerisch verarbeitet. Anfänglich versuchte er mit der Farbe die neuen Eindrücke festzuhalten, und dann bemühte er sich immer wieder, die Farbe von der Naturvorlage abzulösen, sie frei zu verwenden und mit ihr eigengesetzliche Kompositionen zu schaffen. So wird sie ihm zu eigen als ein bildnerisches Mittel, das ihm von nun an zur Verfügung stand.
Das Aquarell „Stadt mit den drei Kuppeln“ ist bereits im März 1914 in München ausgestellt worden. Das Kuppelmotiv geht also noch nicht auf eine Auseinandersetzung Klees mit unmittelbaren tunesischen Eindrücken zurück. Vermutlich hat sich Klee an den drei Kuppeln des Bundeshauses in Bern, wo er aufgewachsen war, orientiert. Und doch erstaunen hier schon die rhythmischen Farbklänge, die labyrinthische Verschachtelung, die wie eine der späteren Arbeiten aus Hamammet anmuten. Auch „Erinnerung an einen Garten“ (1914) trägt schon alle Zeichen der farblichen Virtuosität, für die Klee dann berühmt werden sollte. Die Komposition ist geprägt von der reizvollen Spannung zwischen monochromen Farbfeldern und Partien, die mit Zeichen und Chiffren gegliedert sind.
Klees Durchbruch ist also durchaus nicht allein durch die Tunesienreise ausgelöst worden, sondern war das Ergebnis einer stetigen Suche und Beschäftigung mit der Farbe und Form, die durch die vorangegangene Auseinandersetzung mit Bildern und Theorien von Künstlern wie Cézanne, Matisse, Delaunay und den Malern des Blauen-Reiter-Kreises Impulse empfangen hatte. Zwischen 1912 und 1914 brachte er ornamentale Gestaltungsmuster in seine Arbeiten ein, die bereits an die orientalische Kunst erinnern.
Nach all seinen Bemühungen der vergangenen Jahre um eine rhythmisierte Gestaltung der Bildfläche trat Klee dann während der Tunesien-Reise erstaunlicherweise wieder einen Schritt zurück. Die Mehrheit der Aquarelle entstammt aus der Beschäftigung mit der Darstellung von Architektur und Stadtansichten. Hier entdeckte er den „farbigen Kubismus“ der maurischen Städte. Selbst die Aquarelle aus Kairuan lassen sich noch als Stadtansichten verstehen – wenn auch unter Anwendung einer ambitioniert modernistischen Optik entstanden. Er bediente sich auch weiterhin eines breiten Spektrums der Möglichkeiten und experimentierte mit bildnerischen Mitteln.
Das Malen aus der Erinnerung oder Vorstellung erlangte für ihn nach seiner Rückkehr aus Nordafrika größere Bedeutung. So konnte Klee sagen, dass er „abstrakt mit Erinnerungen“ sei. Aus der Erinnerung zu malen wurde für ihn zur Methode. Die Quadrate der tunesischen Landschaften wurden zu Erinnerungsformen. Seither hat Klee vorwiegend aus dem Gedächtnis geschaffen.
Doch schon kurze Zeit vor seiner Reise nach Tunesien hatte Klee vorsichtig den Weg der Abstraktion beschritten, so in „Ein Hotel“ (1913). Dieses Prinzip sollte er auf seiner Reise dann konsequent weiter entwickeln. Die Farbe wird immer mehr vom Gegenständlichen losgelöst. Die ersten Aquarelle aus Tunis, von Klees erster Reiseetappe, sind noch direkte Reaktionen auf das Gesehene. Er bleibt er dem Vorbild zunächst noch ziemlich nahe, und erst sukzessive gewinnt er die Freiheit zur Abstraktion. Den Höhepunkt der Abstraktion erreicht er erst in München; die beiden Aquarelle „Motiv aus Hammamet“ und „Über ein Motiv von Hammamet“ sind erst nach der Reise entstanden und gehen nicht von einem Naturvorbild, sondern von einem tunesischen Aquarell aus. Die Vorlage half Klee, einen weiteren Schritt zum nahezu gänzlich abstrakten Bild zu gehen – komponiert rein durch Farbe und Form. In „Hammamet mit der Moschee“ (1914) war es ihm gelungen, die frühere Zielsetzung „Synthese Städtebauarchitektur – Bildarchitektur“ formal zu verwirklichen und um den farblichen Bereich zu erweitern.
Klee hat viele Werke der Tunesien-Reise zwischen 1914 und 1921 hoch bewertet. In jedem Jahr zeigte er Tunesien-Werke auf Ausstellungen, variierte aber auch mit neuen Arbeiten einzelne Blätter aus Tunesien. Der Orient war über die Jahre hinweg zu einem wichtigen Teil der künstlerischen Kosmologie von Klee geworden.
Im Sommer 1914 hatte Klee eine völlig abstrakte Aquarellkomposition gemalt, die er zunächst „Erinnerung an ein Erlebnis“ nannte, dann aber „Orientalisches Erlebnis“ (1914). Die Tunesien-Reise als entscheidend für die Entwicklung der Farbe bei Klee anzusehen, bedeutet, der Selbstdarstellung des Künstlers zu folgen. Aber auf den Ebenen der Werke und Texte entfaltet sich weiterhin Vielfalt. Wie bei der Veränderung des Aquarelltitels gibt es bei Klee oft einen zweiten Versuch. Er machte weiter in permanenter Verwandlung des bisher Erarbeiteten.
1929 war Klees zweite – einmonatige – Reise in den Orient, diesmal nach Ägypten. Hier fand er ein komplexes Symbol für die Raumweiten und Zeittiefen dieses Landes. Seine Themen sind: die Architektur in der Landschaft, die Erprobung von Bildgeometrien, die Zusammenstellung harmonischer Gefüge aus Formen, die trotz einer Neigung zu Regelmäßigkeit nie mathematisch exakt gegliedert sind, sondern spannungsvoll aufeinander bezogen werden. Die Rhythmisierung der Bildfläche steigerte Klee bei der Arbeit an der Werkgruppe der Streifenbilder, von denen es sowohl Aquarelle als auch Ölbilder gibt. Farbige Streifen sind hier horizontal geschichtet. Die meist schmalen Farbbänder sind mit feinen schwarzen Linien eingefasst. Sie sind meist mehrmals geteilt. Durch die vertikalen oder schräg gesetzten Begrenzungslinien wird ein zweites Kompositionselement hinzugefügt. Es gibt auch andere dominante Formen wie große Dreiecke oder Kurvenlinien. Die Bildgeometrie ist viel exakter als bei den Tunesien-Aquarellen. Hier handelt es sich nun nicht mehr um Impressionen, sondern um Konstruktionen. Die strengere Bildordnung passt einerseits zu Tendenzen des Bauhauses, an dem Klee seit 1921 lehrte, andererseits zu damals verbreiteten Anschauungen über die mathematischen Grundlagen der ägyptischen Kunst. Es sind hier die Bildtitel, die bei weitgehend ungegenständlicher Gestaltung entsprechende Assoziationen wecken: „Necropolis“, die monumentalen Pyramiden werden in stark farbig gebänderten Schichten übereinander gesetzt, „vermessene Felder“, die geometrisch bestimmten Streifen sollen unter dem Eindruck der Felderaufteilung zu Seiten des Nils entstanden sein, „Monument im Fruchtland“, „Hauptweg und Nebenwege“, „Stufen“ (alle 1929).
Betrachtet man ein solches Schlüsselwerk wie „Hauptweg und Nebenwege“, so denkt man unwillkürlich an die Textur einer fremden Landschaft, wie sie ein Blick aus dem Flugzeug vermittelt. Hier sind Eindrücke der Ägyptenreise verarbeitet, doch die Vorstellung einer Straßen- oder Terrassenlandschaft ist nicht aus der Natur abstrahiert, sondern entsteht im Aufbau von Flächen und Raumstrukturen. Die horizontalen Streifen geschichteter Farbe werden durch die in unregelmäßigen Abständen eingesetzten Vertikalen und Diagonalen variiert. Der dominierende „Hauptweg“ führt rasch nach oben, das heißt in die Tiefe, während auf den „Nebenwegen“ eine Umkehrung, eine rückläufige Bewegung erfolgt. Die Vielfalt der Wege und Treppen, der Dehnungen und Zusammenziehungen, der Geradlinigkeit und Brechungen reizt die Phantasie und führt tatsächlich zu einem landschaftlichen Erlebnis, aber ebenso gut können die Lineaturen auch als Lebensgleichnis gedeutet werden.
Klee in Nordafrika, Museum Berggruen, Berlin-Charlottenburg, Schloßstr. 1, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa und So 11–18 Uhr; bis 10. Januar 2021.
Schlagwörter: Abstraktion, Klaus Hammer, Museum Berggruen, Paul Klee