Der Autor lebt im ersten Obergeschoss eines Mietshauses am äußersten östlichen, dörflichen Stadtrand von Berlin, und zu seinen ständigen Kontakten mit der Natur im unmittelbaren Wohnumfeld gehört neben tagaktiven Bunt- und Grünspechten auch ein ziemlich keckes Eichhörnchen, das regelmäßig auf seinem Balkon erscheint, um Hasel- und Walnüsse, die trotz Abwesenheit jeglicher zugehöriger Flora dort seltsamerweise immer wieder zu finden sind, entweder zu verzehren oder in den großen Blumentöpfen vor Ort zu verbuddeln. Auf dem Parkplatz des nahen Supermarktes ist es zu sehr morgendlicher Stunde auch zu einer Begegnung mit dem Waschbären bereits gekommen. Und auf dem häuslichen Hinterhof zu einem nächtlichen, durch Straßenbeleuchtung ermöglichten Sichtkontakt mit einem Rotfuchs (Vulpes vulpes).
Ein Vorfall wie der letztere entbehrt jedoch ebenso jeglichen „Nachrichtenwertes“ wie die zuvor genannten, denn dass zahlreiche Wildtiere in menschlichen Siedlungen – insbesondere in hoch betriebsamen, hektischen Großstädten – heimisch geworden sind, weil allein das dortige Nahrungsdargebot jenes in Wald und Flur bei weitem übertrifft, ist eine bereits seit Jahrzehnten bekannte Tatsache, die gleichwohl immer wieder durch erstaunliche Beispiele auf sich aufmerksam macht. Wie vor einigen Jahren in Gestalt eines Waschbärs, der im Berliner Stadtteil Friedrichshain die Kabine eines 40 Meter hohen Kranes erklommen und zum Nachtquartier erkoren hatte, oder jener Fuchswelpen, deren Kinderstube sich auf dem Gelände des Berliner Ensembles am Schiffbauerdamm befand. Noch urbaner ging’s schlechterdings nicht. Oder vielleicht doch: In London ist ein Vertreter der Art Vulpes vulpes bereits vor Downing Street 10 gefilmt worden.
Höchste Zeit also für menschliche Stadtbewohner, einen Volkshochschulkurs in Sachen Fuchskunde zu besuchen. Und wessen VHS einen solchen nicht vorrätig hat, der kann zu Adele Brands Kompendium „Füchse. Unsere wilden Nachbarn“ greifen. Die britische Autorin und bekennende Fuchsfreundin gibt ausführlich Auskunft über Meister Reinekes Vorkommen, Aussehen, Ernährungs- und Lebensgewohnheiten sowie Sozialverhalten, Krankheiten – die Tollwut gehört entgegen dem sich immer noch hartnäckig behauptenden gegenteiligen Gerücht auch in Deutschland nicht mehr dazu – und vieles andere mehr.
Zu den erstaunlichsten Fakten zählt dabei, dass auf vergleichbarer Fläche in urbanem Umfeld viel mehr Füchse siedeln können als in der freien Natur. Während in dieser auf 100 Hektar mit zwei bis drei Füchsen zu rechnen ist, können es in der Großstadt zehn bis 15 sein. Aus dem dafür verantwortlichen viel üppigeren Futterangebot im urbanen Raum zieht der Fuchs übrigens doppelten Vorteil. Er ist nämlich keineswegs der alleinige Fleischfresser, den viele noch immer in ihm sehen, sondern Nahrungsgeneralist. Er braucht weder Hühner noch gar die Gans, die gestohlen zu haben ihn das Kinderlied bezichtigt; seinen täglichen Bedarf deckt er spielend auch aus menschlichen Essensresten, seien es nun Brotkanten, Bratkartoffeln oder Cheeseburger.
Ebenfalls erstaunlich: Der Rotfuchs ist auch keineswegs der Jäger der Nacht, als der er gilt. Nur dadurch, dass ihm Jahrtausende lang stark nachgestellt und er gnadenlos bejagt wurde, hat der Fuchs eine nachtaktive Lebensweise angenommen. Seit dieser Druck deutlich nachgelassen hat – obwohl pro Jahr in Deutschland nach wie vor etwa eine halbe Million Tiere erlegt werden – und in Stadtgebieten praktisch gleich Null ist, kann man des Rotschwanzes zu allen Tageszeiten ansichtig werden.
Adele Brand hält ein höchst empathisches Plädoyer dafür, den Fuchs als städtischen Nachbarn zu akzeptieren. Gesundheitliche oder andere Gründe, dies abzulehnen, bestehenden dem wissenschaftlich begründeten Vortrag der Autorin zufolge nicht. Zugleich spricht sich Brand ausdrücklich dagegen aus, den Fuchs etwa durch gezieltes Anfüttern zu „domestizieren“ und damit seine Würde als Wildtier zu verletzen, das sich in seinem Lebensumfeld behaupten muss. Und dafür bestens ausgestattet ist.
Adele Brand: Füchse. Unsere wilden Nachbarn, aus dem Englischen von Beate Schäfer, C. H. Beck Verlag, München 2020, 208 Seiten, 22,00 Euro.
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