23. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2020

Ehre für einen Schmetterling

von Renate Hoffmann

Hohe Ehre! Und eine Laudatio obendrein, ehe er in seiner Metamorphose fortschreitet, um auf die kühle Jahreszeit vorbereitet zu sein. Die Tage beginnen nämlich kürzer zu werden, und die Schwalben fliegen schon davon. Die Rede ist vom „Grünen Brombeerzipfelfalter“, dem Schmetterling des Jahres 2020.

Klein und bescheiden, zart, zerbrechlich und wärmeliebend. Deshalb schätzt er milde Luft und die Sonne. Klug wie er ist, lässt sich der Schmetterling rechtwinklig zu ihr im Buschwerk nieder und schließt seine Flügel. – Das erste Wunder: Die Flügeloberseiten sind unscheinbar dunkelbraun gefärbt, die Flügelunterseiten aber glänzen in metallischem Grün, zum Teil mit kleinen weißen Punkten oder Streifen durchsetzt, goldschimmerig, je nach dem Lichteinfall, und an den Rändern fein gefranst. – Das zweite Wunder: Grüngetarnt entgeht der Falter den Feinden, wenn er in Wiesen und Heideflächen sitzt oder an trockenen, warmen Waldsäumen oder in Weißdorn- und Hartriegelbüschen. Den Nektar nippt der Anspruchslose an den vielen Arten der Hahnenfußgewächse, an Klee, Weißdorn und Ginster. – Das dritte Wunder: Obgleich er unterseitig in Grün strahlt und auch „Grün“ heißt, gehört er zur Familie der „Bläulinge“ (Lycaenidae).

Nun sei auch, der Ordnung halber, sein wissenschaftlicher Name genannt: „Callophrys rubi“. Frei übersetzt bedeutet der Hauptname „schöne Stirn“, wohl, weil der Zipfelfalter eine grüne Stirn besitzt und weiß umrandete Augen. Sehr hübsch. Und da er weit verbreitet ist, gibt es für ihn auch auswärtige Bezeichnungen. „Green Hairstreak“ in England und „Fümrüt“ auf Türkisch. Mit seiner Flügelspannweite von 24 bis 28 Millimetern zählt man ihn im System zu den „Kleinen Faltern“, und da er des Nachts der Ruhe pflegt, zu den „Tagfaltern“.

Wenn das ätherische Wesen seine Flugzeit beendet hat, im Juni, Juli oder gar erst im August, dann legt es die Eier ab. Sie sind selbstverständlich grün und die schlüpfenden Raupen ebenso („Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“). Sie fressen sich nun winterreif an Blüten, Blättern und Früchten verschiedener Kräuter, an Himbeeren, Heidelbeeren und auch an der Brombeere – „Rubus“ –, das erklärt den Beinamen „rubi“ des Brombeerzipfelfalters.

Haben sich die Unersättlichen satt gefressen, und die Tage sind noch kürzer geworden und die Schwalben endgültig davongeflogen, so wandeln sie sich in den Zustand einer Puppe. Diese zeigt nunmehr eine andere Farbe. Braun. Sie liegt im Moos verborgen, unter Steinen oder in der Erde vergraben. Leichtfertigerweise manchmal auch frei obenauf.

Nun folgt das vierte, das größte Wunder; nachgewiesen und über jeden Zweifel erhaben:

Die Puppe liegt im Erdreich drein
und schlummert in den Tag hinein.
Doch wenn ihr etwas nicht gefällt,
das sie für eine Störung hält,
dann zirpt sie auf besondere Weise
ganz leise …
Glaubt mir, ich hab es selbst vernommen,
als ich ihr einst zu nah gekommen.