Er debütierte im Herbst 1897 auf dem Brettel vom mährischen Friedeck-Mistek als jugendlicher Liebhaber. Dort nämlich, weitab vom Schuss, konnte jeder mit einigermaßen Rampensau-Gelüsten loslegen. Da scherte man sich einen Dreck um das Urteil von Wiener Theaterschulen, die dem just 17 Jahre alten Johann Julier „völlige Talentlosigkeit“ attestierten. Immerhin jedoch hatte sich Hofschauspieler Josef Moser erbarmt, dem schmächtigen, obendrein arg näselnden Söhnchen eines Bildhauers und einer Milchladenbesitzerin den Herzenswunsch zu erfüllen: Er gab dem Teenager wenigstens Sprechunterricht. Aus Dankbarkeit nannte sich der kleine Johann Julier fortan Hans Moser.
Nach jahrelanger Tingelei über Land mit Wanderbühnen fand er – ausdauernd und zäh, wie er war ‑ zurück an seinen Geburtsort Wien. Grund für das vage Fortkommen war sein Auftritt anno 1902 im böhmischen Reichenberg, wo ihn ein hellsichtiger Agent sah und ans berühmte Privattheater in der Josefstadt empfahl. Dort aber gab’s nur Nebenrollen – Pikkolos, Lehrbuben, Gymnasiasten ‑, denen er immerhin eigenständiges Profil zu geben versuchte, was den Zorn des Direktors nach sich zog. Die Folge: Rauswurf. Und wieder zurück ins Ländlich-Kleinstädtische austriakischer Provinzen als hektisch wuselnder, aber eben doch ziemlich trostloser Schmierenkomödiant.
Dort kam es zum folgenschweren Auftritt einer gewissen Blanca, der energischen Schwester eines Schauspielkollegen aus Teplitz-Schönau. Die verliebte sich in den zwar noch immer verrückt besessenen, aber doch leise mutlos werdenden Moser und schleppte ihn zurück nach Wien. Man wollte endlich sesshaft werden ‑ miteinander. Im Kabarett namens „Max und Moritz“ klappte es mit einem Engagement. Und überraschenderweise mit dem Aufstieg als begehrter Vielspieler gleich an mehreren Bühnen der großen Stadt.
Für ihn ein Wunder, abgesehen von Wunder Nummer eins Blanca. Schließlich habe er, so seine wackere Selbstbetrachtung, all die vielen Jahre zuvor auch nicht schlechter gespielt …
Prompt folgte Wunder Nummer drei: Der gierige Talentsucher Max Reinhardt erkannte mit seinem genial scharfen Blick Mosers Fähigkeiten zum Hochkomisch-Tieftragischen, die sich da offenbarten im Fuchteln und wild Trampeln am Rande eines immerzu drohenden Wahnsinnigwerdens.
Das war 1925, und Hans Moser war längst nicht mehr jugendlich und liebhabernd, sondern mollig und 45 Jahre alt. Aber ein plötzlich unaufhaltsam aufsteigender Star an den Reinhardt-Bühnen in Wien und Berlin und den Festspielen in Salzburg.
Dann kam der Tonfilm, und es begann Mosers sensationelle Filmkarriere („Maskerade“, „Dreizehn Stühle“, „Das Ekel“, „Wiener Geschichten“, „Wir bitten zum Tanz“). Moser reüssierte fortan – neben Paula Wessely, Leo Slezak, Heinz Rühmann, Helmut Qualtinger, Josef Meinrad (die Liste könnte noch länger sein, aber belassen wir es mit denen und Theo) – als Inkarnation des so genannten kleinen Mannes.
Und obwohl er keine Noten lesen konnte, sang er selige Trinklieder, sentimentale Ohrwürmer und verliebte Hymnen auf Wien. Fast alle seine näselnden Gesänge wurden Hits und letztlich Kult.
Hans Moser avancierte zum Volksschauspieler. Als Kammerdiener, Kellner, Gemischtwarenhändler, Hausmann oder Dienstmann war er das windschiefe, aasig knarzende und doch im Kern vertrackt herzige Wiener Faktotum, das schlitzohrig durch die Fährnisse des Alltags mit einzigartiger Präsenz und geradezu wuchtiger Glaubwürdigkeit um sein kleines bisschen Glück wuselt. Eine legendäre Identifikationsfigur für Millionen. Ein Kontrapunkt der glamourösen Ufa-Stars, ein Wahrheitssplitter in einer meist perfekt inszenierten, letztlich aber doch verlogenen Traumfabrik.
Übrigens, Hans Mosers geradezu gigantische Popularität bewahrte ihn vor der Verfolgung in NS-Zeiten, denn sein Wunder Blanca war Jüdin. Immer wieder forderte man von ganz oben, er solle sich scheiden lassen. Moser widerstand dem Terror. Und kam trotzdem als erklärter Lieblingsschauspieler Hitlers und Görings in die Reichsfilmkammer (Goebbels allerdings hasste ihn). Statt Berufsverbots gab es Sondergenehmigungen fürs Weiterarbeiten des im Grunde unpolitischen Großkomödianten.
Moser spielte noch bis ins hohe Alter. Mit 81 beispielsweise die so anrührende Figur des himmlischen Polizeiinspizienten in Franz Molnárs tragikomischer Vorstadtlegende „Liliom“. „Er war nicht der liebe Gott schlechthin“, schrieb ein Kritiker, „sondern dessen österreichisch-ungarische Spielart: der Himmelvater.“ Zwei Jahre später, im Sommer 1964, starb Hans Moser mit 83 Jahren. Tausende folgten seinem Sarg zum Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Viele weinten. Jetzt, am 6. August, gedenken wir gerührt und liebevoll seines 140. Geburtstages.
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