23. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2020

Auf den zweiten Blick

von Joachim Lange

Ausgerechnet sein populärstes Werk fehlt in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Die „Nachtschwärmer“ („Nighthawks“) aus dem Jahr 1942 haben es nicht bis in die Schweiz geschafft. Es hieß, man wollte mit der Aufmerksamkeit, die diese Ikone auf sich ziehen würde, nicht zu sehr von den anderen Werken ablenken. Eine seltsame Art von Humor …

Dafür bietet Beyeler mit 65 Werken des Amerikaners Edward Hopper einen weit gespannten Blick über dessen Landschaften. Den dann aber – so der Ehrgeiz von Kurator Ulf Küster – so umfassend, wie bislang noch nirgends in Europa.

Hopper ist so US-amerikanisch, dass es Bilder von ihm schon ins Weiße Haus geschafft haben und sich ein Präsident beim Betrachten derselben fotografieren ließ. Gemeint ist der Vorgänger des aktuellen Amtsinhabers. Der im Moment dort residierende „Kunstfreund“ ließ Hopper wieder entfernen.

Hoppers Landschaften sind nicht unberührt. Sie klagen die menschlichen Eingriffe aber auch nicht an. Zumindest nicht offensichtlich. Die bescheidenen Häuser haben nichts Protziges. Sie stehen höchstens für den Stolz von Menschen, die widrigen Umständen etwas abtrotzen und auf die große Chance warten. Also irgendwie für den berühmten Amerikanischen Traum, der heute oft wie ein Alptraum daherkommt.

Die junge Frau im Bikini auf der Balkonbrüstung eines schmalen Häuschens in „Second Story Sunlight“ (1960) etwa wartet offensichtlich auf einen Traumprinzen. Der dürfte sich aber vermutlich schon deshalb nicht sehen lassen, weil die Frau Mama auch auf dem Balkon sitzt und nur so tut, als würde sie in einem Journal lesen. Der Rest sind blauer Himmel und Waldesgrün.

Mit 35 von 366 Gemälden sind immerhin zehn Prozent der überlieferten Hopper-Gemälde in Basel versammelt und mit „Light House Hill“ (1927), „Gas“ (1940) und „Cape Cod Morning“ (1950) auch weitere echte Highlights. Dazu 16 Aquarelle, 13 Zeichnungen und einige grafische Blätter. Das kann sich auch ohne Nachtschwärmer mehr als sehen lassen.

Wenn Menschen auf Hoppers Bildern platziert sind, dann haben sie einen (zumindest inneren, meistens aber auch äußeren) Abstand zueinander, den man coronaabwehrkompatibel nennen könnte. Was sich da unbeabsichtigt und über Nacht an Zeitbezug eingestellt hat, ist verblüffend. Wie oft bei einer Kunst, die ihren Überlebenstest schon längst bestanden hat.

Auf den ersten Blick ein Realist von alteuropäischem Zuschnitt, mischt Hopper auf den zweiten immer wieder Irritationen unter die nur scheinbar klare Oberfläche. Bei der schnurgeraden Schiene vor rotleuchtendem Abendhimmel in „Railroad Sunset“ (1929) will man besser gar nicht fragen, woher diese Gleise kommen und wohin sie die Züge führen würden, kämen denn welche. Auf dem kleinformatigen „Stairway“ (1949) führt eine Treppe unvermittelt zu einer geöffneten Tür hinter der sich eine Art Waldesdunkel anschließt, in das man auch nicht freiwillig eintauchen würde. Und dann sind da die Strommasten ohne Leitungen und Straßen ohne Autos. Oder ein Fluß und eine Brücke über die nichts transportiert wird wie auf „Macomb’s Dam Bridge“ (1935).

Die puren Landschaften wirken wie ein Neue-Welt-Kommentar zu Cézannes provenzalischen Sonnenbildern. Dann wieder gibt es Motive, die einen Hauch von Tennessee-Williams-Atmosphäre verbreiten. Wie das Paar von „Summer Evening“ (1947). Die Frau in der Tür von „High Noon“ (1949) wirkt wie die Verführung persönlich. Man fragt sich, an wen sie ihre Signale versendet. Oder wer eigentlich in den zwei Häusern „Two Puritans“ (1945) wohnen soll. Nimmt man den Titel beim Wort, dann kann man sich durchaus einen Vers drauf machen, warum diese Häuser nur blinde (zugemauerte?) Türen haben und in dem kleinkarierten Vorgartenzaun kein Zugang zum Haus vorgesehen ist. Hier kommt niemand rein oder raus.

Hellgetünchte Freundlichkeit auf den ersten Blick und geradezu boshafte Doppelbödigkeit auf den zweiten! Das ist Hopper. Und wenn schon mal eine Frau aus Fenster schaut wie in „Cape Cod Morning“ (1950), dann gleich nach weit außerhalb des Bildes. Auf eine Gefahr? Ein Objekt der Begierde? Eine Möglichkeit zur Flucht? Ob es der Maler selbst wusste?

Dass Hopper mit dieser Rätselhaftigkeit Filmgrößen wie Alfred Hitchcock oder Wim Wenders inspirierte, liegt fast schon auf der Hand. An „Paris, Texas“ von Wenders aus dem Jahre 1984 lässt sich das nachprüfen.

In der Baseler Ausstellung gibt es auch den Kurzfilm „Two Or Three Things I Know About Edward Hopper“ von Wim Wenders zu sehen. Eigentlich sollte Wenders einen Beitrag für den Katalog schreiben. Sein Gegenvorschlag war, auf Hopper in seiner Sprache zu reagieren. Ihm ist ein hochartifizieller Versuch geglückt, die Zuschauer in die Hopper-Atmosphäre der Ruhe und auch von Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht eintauchen zu lassen. Man bekommt, mit altmodischer 3-D-Kinobrille ausgestattet, eine Version der Bilder – oder besser ihrer Atmosphäre, die Wenders ins Dreidimensionale und in die Bewegung erweitert und zu einer Geschichte macht. Das ist faszinierend. Zu dem Gemälde der drei Tanksäulen hinter denen der Tankwart kaum zu erkennen ist, geht man danach auf jeden Fall noch mal zurück. Doch wie in Wenders filmischer Installation ist der Wagen, mit der attraktiven Frau, die während des Tankens eine Rauchen gegangen war, tatsächlich abgefahren. Ganz so wie im Film, also der Geschichte, die Wenders zu dem Bild imaginiert und als Rahmen für sein poetisch cineastisches Nachlauschen der Malerei erzählt hat. So wird das Ölbild „Gas“ (das das Museum of Modern Art in New York ausgeliehen hat) zu einem der Stars der Ausstellung. Schön, dass der Hopper-Fan Wenders aus den zwei oder drei Dingen, die er über Hopper weiß, diesen Kurzfilm gemacht hat!

Die Ausstellung ist nach Themen gegliedert, aber doch nicht so groß, dass man sich dabei von einer eigenen Entdeckungsreise abbringen lassen sollte. Hoppers Bildwelten belegen, dass auch figürlich realistische Malerei eine Ebene hat, die eigentlich nur den Künstler etwas angeht. Da sich Hopper selbst offensiv zur Subjektivität seiner Malerei bekannte („I’m after me“ / „Ich bin es, der mir nachstellt“), kann man sich dem getrost anschließen und ihm „nachstellen“. Es lohnt sich.

Die Ausstellung „Edward Hopper“ in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel ist bis zum 20. September  2020 verlängert worden.