Dem Klatschmohn folgen wir
auf alten Straßen nach Norden.
Erinnerst du dich, wie
uns die Führer verrieten
an den Hunger, die Angst? Die
Grenzen öffneten sich. Aus
den Wahlurnen hüpften der Neid,
die Häme, die Gier, um uns
zu regieren. Den Kornblumen nach.
Es rauschte die See. So viele
Ufer zum Greifen fern. Die alten
Straßen haben wir beinah für uns
allein. Den Birken nach. Die
falschen Freunde verschwanden.
Die falschen Feinde stellten sich
ein. Schafgarbe folgen wir
und Bienenfreund. Whisky
und Gauloises auf einem Tisch
am Atlantik. Hakenkreuze, taufrisch,
am jüdischen Friedhof in Prag.
Nach Norden, Geliebte, am Weizen
entlang. Wie viele Steine werden
noch wachsen aus unseren
Feldern? Es kamen die Störche
zurück. Die Kirchtürme melken
den blaugewaschenen Himmel.
Wir nahmen die ersten Toten
noch wahr, weiße und schwarze,
die ersten Kriege als eigenen
Schmerz, die Hitze im Winter,
im Sommer den Schnee. Zur
Zentrifuge wird der Planet,
Geliebte, für unsere Art. Nach
Norden, dem Gewitter folgen
wir im ausgeschilderten Land. Wie
vielen Liedern sind ihre Sänger
vergangen, ohne daß die Musik
uns verließ? Erinnerst du dich,
wie wir den Juni beschworen? Der
Lockvogel rief: Kuckuck und uns
durch die Jahre. Windmühlen wachsen.
Quichottes wachsen nach. Gedichte
sind erneuerbare Energien. Der
Klassenkampf ein Gezeitenkraftwerk.
Am Mittag in Pasewalk ist die
Menschheitsgeschichte am Ende
vom Anfang, schon wieder einmal.
Nach Norden. Wir haben gewählt
den blaugewaschenen Himmel, das
Salz auf der Zunge. In den Ohren
das Wasser, den Fischgeruch
in der Nase und alles, was uns
durch die Finger rinnt. Wir
haben gewählt die Nacktheit
dieses Augenblicks.
Juni 2020
Schlagwörter: Henry-Martin Klemt