23. Jahrgang | Nummer 12 | 8. Juni 2020

„… von der anderen Seite des Trichters“

von Wolfgang Hochwald

Martin Bechler und seine Band „Fortuna Ehrenfeld“ sind in der deutschsprachigen Pop-Musik eine ungewöhnliche Erscheinung. Bechler hat nach einem langen Berufsweg in der Musikbranche erst 2016, mit Mitte 40, eigene Songs veröffentlicht. Er schreibt Texte, die ihresgleichen suchen, und vermischt unterschiedliche musikalische Zutaten zu einem eigenen Stil. Auf der Bühne tritt er im Schlafanzug auf, mit überdimensionalen Bärentatzen-Schuhen.

Bechler ist voller Energie und hat zu unserem Gespräch die Etiketten für einen neuen Roséwein mitgebracht, der neben dem schon bekannten Rotwein „Fortuna Ehrenfeld“ vom Shop seines Plattenlabels vertrieben wird. Er möge es nicht, wenn er falsch oder verkürzt zitiert wird, macht er gleich zu Beginn klar. „Die Medien bügeln immer glatt, was ich sage. Wenn ich zum Beispiel etwas als beschissen bezeichne, dann meine ich das auch so. Die Lokalzeitung schreibt dann, Herr Bechler sei der Meinung, dass ihm das nicht gefallen habe. Darüber ärgere ich mich sehr; denn die Leute, die meine Musik mögen, die hören die der Sprache wegen gerne.“

Bechler ist studierter Musikwissenschaftler, hat sich als Toningenieur, Komponist, Autor, Produzent einen Namen gemacht, führt zwei eigene Tonstudios und hat an so unterschiedlichen Projekten gearbeitet wie der Komposition des Requiems „Omega“, CD-Produktionen für Rainald Grebe, Rolf Zacher oder Anna Thalbach, einer Auftragskomposition für Monacos Pavillon auf der EXPO Mailand 2015 oder dem Sounddesign für Star-Wars-Hörspiele. Über diese Zeit berichtet er selten, der Erfolg von „Fortuna Ehrenfeld“ hat inzwischen größere Bedeutung, aber über „Omega“ erzählt er gerne. „Ich war, bevor Fortuna begann, auf einem sehr guten Weg, die ersten relevanten klassischen Arbeiten abliefern zu dürfen. Das Projekt bestand darin, eine Kantate von Johann Sebastian Bach, eine sehr berühmte, sehr streitbare Kantate („Ich habe genug“ – W.H.), aufzuführen und einen Gegenentwurf dazu für Kammerorchester, Solisten und gemischten Chor von einem jungen Wilden komponieren zu lassen. Ich bin sehr stolz, dass Opernnetz, ein sehr seriöses und relevantes Opernmagazin, geschrieben hat, die neuen Elemente bestünden neben dem Alten. Das war ein echter Ritterschlag. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass die konservative Musikwissenschaft kritisieren würde, da wolle ein Indiepop-Musiker gegen Bach anstinken.“

Aus dem ursprünglichen Soloprojekt „Fortuna Ehrenfeld“ ist eine Band geworden – mit Jenny Thiele an den Keyboards und Jannis Knüpfer, der Anfang des Jahres Paul Leonard Weißert nachgefolgt ist, an den Drums. Bislang sind drei CDs und eine EP erschienen sowie 2019 – ein Herzensprojekt Bechlers – eine CD mit französischen Texten. Die Band hat sich in den letzten zwei Jahren in mehr als 250 Konzerten ihr Publikum erspielt und ist dabei durch eine harte Schule gegangen. „Wenn anfangs bei einem Konzert die Umgebungsgeräusche so laut waren, dass du denkst, was mache ich hier eigentlich, dann haben wir es immer als Schulung für uns wahrgenommen. Eine Band wirst du nur in Krisen und Extremsituationen. Als Bühnenkünstler musst du jede Situation handeln können und diesen Dreck haben wir gefressen. Wir spielen vor sieben Leuten genauso leidenschaftlich und mit 100 Prozent wie vor 2000. Das ist eine Selbstverständlichkeit.“

In der deutschsprachigen Musikszene gibt es nur wenige, die so gut mit der Sprache umgehen können wie Bechler. Seine Songs tragen Titel wie „Der Ablativ von BUMM“, „Zuweitwegmädchen“, „Nach Diktat verreist“ oder „Herbstmeister der Herzen“. Er spiele „Tetris“ mit Worten, hat er dazu einmal erklärt. „Das Beispiel stimmt noch immer: Die Worte fallen und irgendwann baut sich ein Boden auf. Es ist für mich keinerlei Mühe, das zu machen.“

Eine seiner Vorstellungen von Pop-Musik und Pop-Kultur sei, „dass man nicht alles ein zu eins erklärt. Ich glaube, wir Deutschen sind da mit unserer Liedkultur oft Klassenletzte. Ich lasse gerne Dinge offen und erlebe ja, dass es funktioniert. Unterschiedliche Hörer können bei meinen Liedern zu ganz unterschiedlichen Interpretationen kommen. Für mich bleibt der Song frisch, wenn mir die Leute erzählen, was das Lied für sie bedeutet. Dann ist Kunst in Bewegung und nicht starr.“ Besonderen Einfluss auf seine Texte billigt Bechler – wenig verwunderlich – Joachim Ringelnatz zu. „Es geht mir aber nicht darum, ein bestimmtes Genre oder einen bestimmten Schriftsteller abzufeiern; für mich ist das Faszinierende die unglaubliche Vielfalt in allen künstlerischen Bereichen. Auch Trash-Literatur, ein Groschenheft vom Bahnhof über den Bergdoktor, kann in dir etwas anstoßen. Wer zu doof ist, da draußen rumzulaufen und sich sein eigenes literarisches, malerisches, architektonisches Zeug zu suchen, das ihm etwas bedeutet, dem kann ich auch nicht mehr helfen.“

Die Tür zur Straße steht offen, plötzlich schallt aus einem Auto das Lied von Balu aus dem Dschungelbuch. „Macht Laune“, schreit die Fahrerin herein und Bechler ruft zurück, sie solle das Lied lauter stellen. In seiner eigenen Musik mag Bechler die lauten und schrillen Töne genauso wie die leisen. In MDR Kultur wurde die Musik von „Fortuna Ehrenfeld“ als Potpourri aus Liedermacherei, Indiepop, Neue-Deutscher-Welle-Nostalgie, HipHop-Beats, Blasmusik und Minimal Electro bezeichnet. Musikalische Vorbilder habe er keine, sagt Bechler. Wie bei der Literatur sei die Vielfalt das Geschenk. Wohl gebe es Musiker, die ihn in ihrer Haltung inspiriert hätten, Mozart an erster Stelle, Neil Young oder Peaches. „Leute, die immer darauf geschissen haben, was andere davon halten, was sie machen. Ich sehe oft, dass Musik zur Lagerbildung genutzt wird. Bei Heranwachsenden ist das wichtig, sich abzugrenzen und über die Musik eine eigene Identität zu bilden. Ich finde aber, das wird der Sache der Musik nicht gerecht. Ich krabbele von der anderen Seite des Trichters rein.“

Gibt es Lieder, bei denen Bechler weinen muss? „Ich weine sehr selten bis gar nicht, doch oft kann Musik ein Auslöser sein. Das ist aber nicht der Musik geschuldet, sondern eine Frage deines Gemütszustands. Aber dafür sind die Lieder da und deshalb scheue ich mich auch nicht vor romantischen und melancholischen Dingen. Wo manche vielleicht über ein sehr pathetisches Lied lachen, weil sie zu cool sind, bedeutet das für andere in ihrem stillen Kämmerlein vielleicht sehr viel.“

Bechlers Antwort auf die Frage, wie Kulturschaffende mit den Folgen der Coronakrise umgehen sollten, ist typisch für ihn: „Stock aus dem Arsch! Meine Art mit einer Krise umzugehen ist, morgens aufzustehen, kalt zu duschen und das, was durcheinander gekommen ist, bestmöglich neu zu organisieren.“ Er habe im letzten Jahr nicht schlecht verdient. „Zu einem guten Geschäftsführer gehört aber auch, Rücklagen zu bilden, um die Firma krisensicher zu machen. Viele Künstler erliegen dem schnell wachsenden Erfolg: dickes Auto, Berliner Loft mit Blick auf den Alex, damit man dann schön am Flügel sitzen kann, um seine Lieder zu schreiben. Problem ist: Die Lieder werden dann immer schlechter. Bei uns flippt keiner aus, wir sind nach wie vor damit beschäftigt, das Schöne, das wir machen dürfen, abzudichten.“ Dazu gehört, dass von der „Fortuna“-Firma neben Musik auch Wein und bald Bio-fair-trade-Kaffee verkauft werden. „Fortuna“-Songtitel dienen als Namensgeber: Der neueste Rosé nennt sich „Glitzerschwein“ und der starke Espresso wird „Das heilige Kanonenrohr“ heißen.

Als wichtigste Eigenschaften, die ihn und seine Band erfolgreich machen, nennt Bechler Unschuld, Bescheidenheit und Mut. „Unschuld, weil unsere Musik nicht von Marketingleuten auf dem Reißbrett entwickelt worden ist. Wir haben gesagt, wir machen das, egal ob einer kommt oder nicht. Und das mögen die Leute. Bescheidenheit, weil wir fern von allen Überheblichkeiten sind, obwohl wir inzwischen sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Und Mut, weil der Weg der Frustrationspunkte sehr lang war. Man muss an vielen Leuten vorbei, die dir ganz klar sagen: Vergiss es!“ Hinzu komme die emotionale Bindung aller, die am Projekt mitwirken. „Mein Ziel war es, eine seriöse Firma auf die Beine zu stellen, und ich wollte, dass jeder jeden Tag Bock hat, zur Arbeit zu kommen. Das ist keine Interessengemeinschaft, so was ist nie von Dauer. Bei meinen früheren Tätigkeiten hatten andere Leute die letzte Entscheidung und ich habe mich geärgert, weil die oft falsch entschieden haben. Ich habe gesagt, wenn du jetzt deinen eigenen Laden machst, das muss besser gehen. Bei uns wird jeder anständig behandelt. Es gibt nur eine Hierarchie: ich bin der Chef und danach ist die Hierarchie flach. Jeder der hier auf wichtig macht, kann sofort wieder gehen. Das ist ein Wohlfühlraum geworden mit tollen Menschen, mit denen ich noch lange arbeiten möchte.“

Als nächstes produziert Bechler in Brandenburg die neue CD von Rainald Grebe. Und dann gibt es noch die durch Corona verschobene Mutprobe, mit den französischen Liedern in Frankreich aufzutreten. Anfangs vielleicht wieder vor sieben Leuten.