Man stelle sich vor, es ist ein Beethoven-Jubiläum (250. Geburtstag) und keiner nimmt es für voll. Was noch zu Anfang des Jahres gut anlief, versickert nun vollkommen in den leeren Stuhlreihen der Klassikpaläste. Städte, die über ein eigenes Sinfonie-Orchester verfügen, kündigten Beethoven-Feste an, große Klangkörper der Republik wollten gar unbekanntere Sinfonien aufführen oder das ganze Beethoven-Werk mit noch mehr Schwung an die Ohren der Zuhörer bringen. Doch Pustekuchen, man hört im Moment genau so viel wie Beethoven in der langen Zeit seiner Taubheit.
Schon früh verschlimmerte sich sein Gehörleiden. Er musste als hervorragender Klaviervirtuose umsatteln und sich ganz dem Komponieren hingeben. Was nicht das Schlechteste war.
Als Komponist rang er allerdings um jede Note, veränderte ständig die Werke und arbeitete oft bis zur völligen Erschöpfung. Als Höhepunkte entstanden trotzdem neun Sinfonien, viele Klavierstücke, kammermusikalische Werke und die einzige Oper „Fidelio“.
Um so berühmt zu werden, dass er bis heute aufgeführt und verehrt wird, musste Ludwig B. eine schwere musikalische Ausbildung durchlaufen, die von Schlägen des Vaters begleitet wurde. Allerdings nutzten im Moment Schläge für die klassischen Künstler nichts, denn von Bonn, Beethovens Geburtsort, bis Wien, seiner zweiten Heimat und seinem Sterbeort, findet an den großen Klangkörpern nichts statt und kein Politiker kann bei irgendwelchen Premieren im Blitzlicht von der Wichtigkeit des Komponisten faseln. Übrigens hatte Ludwig van Beethoven alles, was der Mensch auch in Corona-Zeiten nicht gerne hat: chronische Erkrankungen, Gelbsucht, Leberzirrhose und eine Bleivergiftung. Letztere bekam er durch übermäßigen Weingenuss, denn die „feinen“ österreichischen Winzer – das Glykol war noch nicht erfunden – mischten in den Wein Bleizucker als Süßungsmittel, statt teuren Rohrzucker.
Wer sich nun in den eigenen vier Wänden intensiv mit Beethovens Werk beschäftigen möchte, der sollte unbedingt zu der gerade bei Berlin Classics / Edel Kultur erschienenen Sammlung greifen, die zu DDR Zeiten vom Klassik-Label Eterna veröffentlicht wurde. Manchmal erkennen Klassikliebhaber beim Hören zwar, dass in den vierzig Jahren der DDR nicht immer Aufnahmen entstanden, die international bestehen konnten. Doch durch die Abschottung des Landes behielten die Orchester ihren „besonderen mitteldeutschen soliden und warmen Streicherklang“, der noch heute bei Musikkennern geschätzt wird. Ab Mitte der 1960er Jahre besaßen dann viele Musiker und Solisten aus der DDR Potential, da sie an den besten Musikschulen eine Ausbildung genossen. Sie wurden für zentrale Aufgaben herangezogen, wie die Pianisten Dieter Zechlin, Walter Olbertz und Peter Röse, Peter Schreier, der Violinist Karl Suske.
Ein ganz besonderes Highlight ist die Beethoven-Gesamtaufnahme, die von 1969 bis 1977 bei Eterna erschien und insgesamt 113 LPs umfasst und dem DDR-Label einen Überschuss von mehreren Millionen Mark bescherte.
Nun liegen die ersten zehn sehr interessanten und musikalisch hochwertigen Einspielungen im originalen Outfit als „Beethoven Edition 2020“ vor. So gibt es die 1951 eingespielte Sinfonie Nr. 9 mit dem wichtigen Dirigenten der frühen DDR Hermann Abendroth. Trotz Mono-Aufnahme ist kein dumpfer Klang zu erkennen, das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig umspielt den technischen Makel gekonnt und lässt sich von Abendroth in einen Rausch hinein dirigieren, der bis heute in dieser Art einmalig ist. Klaviereinspielungen sind dabei, die die besondere Klasse bei jedem Anschlag erkennen lassen, die Seele erwärmen und sich in die Gehörgänge schmeicheln.
Genannt sollen unbedingt sein: von Peter Rösel eingespielte Klaviersonaten, das Klavierkonzert Nr. 5 mit Dieter Zechlin und die Sonaten für Klavier und Violine, bei denen sich Karl Suske (Violine) und Walter Olbertz (Klavier) duellieren, auf einen Höhepunkt zuspielen und gemeinsam etwas Phantastisches abliefern.
Unerhört leidenschaftlich auch die Aufnahmen mit dem Tenor Peter Schreier, der später die Klassikliebe der DDR in die Welt hinaus trug, dem Suske Quartett (Streichquartett op. 131) und der Staatskapelle Dresden, die Beethovens einzige Oper in Urfassung von 1805 („Leonore“) aufführte, bei der unter anderem Theo Adam und Edda Moser brillierten. Herbert Blomstedt als Dirigent ließ keine Note unbeachtet, er verströmt Einsatzbereitschaft, homogenes Zusammenspiel und forderte von den Sängern alles ab – von schluchzend leise bis laut jubilierend.
Schließlich wäre da noch der Dirigent Kurt Masur aus Leipzig, der 1973 sein Gewandhausorchester und bereits gestandene Opernsänger (Peter Schreier, Annelies Burmeister, Anna Tomowa-Sintow) bei Beethovens „Messe in D-Dur, op. 123“, genannt: „Missa solemnis“, jedes Gefühl durchlaufen lässt. Da möchte der Hörer schluchzen und selbst das „Gloria“ bis zum dunklen Himmel schmettern.
Ganz zum Schluss einer „Anhörung“ dieses klanglichen Dekalogs sollte Beethovens Sinfonie Nr. 3 „Eroica“ vom Berliner Sinfonie-Orchester erklingen, bei der Günther Herbig dirigierte. Dieses geniale Stück musikalischer Zeitgeschichte kam leider nie in die DDR-Läden, da Herbig kurz darauf in die BRD immigrierte. Nun endlich liegt dieses Gänsehautprojekt in seiner ganzen Schönheit vor.
Beethoven Edition 2020, Original Recording Eterna; Edel Kultur/Berlin Classics – alle zehn CDs unter anderem erhältlich bei jpc.de – zum Einheitspreis von je 9,99 Euro.
Schlagwörter: Beethoven, Thomas Behlert