23. Jahrgang | Nummer 8 | 13. April 2020

Im Homeoffice

von Detlef D. Pries

Ein Blättchen-Autor schrieb: „… das Virus fesselt uns ans Haus – für Leute, die so oder so immer am heimischen Schreibtisch arbeiten, nicht so das Problem.“ In der Tat: Das Blättchen wird seit Langem in Heimarbeit gefertigt. Also muss sich auch der Redakteur nicht umstellen, wenn er seinen Vierzehntagedienst antritt. Das Postfach ist zu dieser Zeit gewöhnlich leer, es sei denn, ein Autor hat den Redaktionsschluss der gerade veröffentlichten Ausgabe verpasst oder selbige war schon überreichlich gefüllt. Üblicherweise muss sich der jeweilige Redakteur folglich in Geduld fassen. Aber was heißt „üblicherweise“ in diesen unüblichen Zeiten? Zumal wenn im Blättchen-Forum gerade die Meinungen gegeneinander prallen: Pseudonymreiche Diskutanten hauen einander ihre Gelehrtheit oder auch nur die Links zu Autoritäten um die Ohren, die ihre eigene Meinung bestätigen: Die Corona-Pandemie – ernsthafte Gefahr fürs menschliche Leben oder nicht weniger gefährliche Panikmache? Kaum kommt der Redakteur mit dem Moderieren hinterher. Im Physik-Unterricht wurde gelehrt, ein Moderator diene dazu, freie Neutronen abzubremsen. Moderieren, das heißt – seinem lateinischen Ursprung nach – so viel wie „mäßigen“. Aber wie bremsen oder mäßigen Sie zwei oder mehr erbittert aufeinander los hackende Kampfhähne, ohne von einem oder allen der Beschneidung ihrer Meinungsfreiheit, der Zensur gar, geziehen zu werden! Zwar leiten die Kontrahenten ihre Anwürfe bisweilen mit „verehrter Herr“ ein, was dem folgt, verrät jedoch mancherlei, nur eben Verehrung nicht.

Davon abgesehen ist es zu Beginn des „Dienstzyklus“ ruhig. Fast beunruhigend ruhig. Gerade hat Leserin Brigitta Wagner Autoren und Redaktion dafür gedankt, „dass die Versorgung der Leser mit geistiger Nahrung weiterhin so zuverlässig klappt“. Na hoffentlich! Gerade jetzt stellt sich die bange Frage: Werden sich in den kommenden Tagen genügend schreibfreudige oder -begierige Autoren finden, deren Hervorbringungen die nächste Ausgabe bereichern? Die reise- und wanderfreudige Frau Hoffmann gehört, wenn ich’s verraten darf, wie viele andere schon rein altersmäßig einer „Risikogruppe“ an, wird notgedrungen also wohl auch zu Hause geblieben sein. Der sprachgewandte „Querbeeter“ Wengierek dürfte schwerlich etwas zum Gärtnern finden, wenn Theater, Opernhäuser, Kinos und sonstige Kulturstätten Zwangspause haben.

Bedenkenreich schaut der Redakteur also aus dem Fenster hinterm Computer – und erlebt am ersten Tag nach der Umstellung auf die Sommerzeit einen Schneeschauer, wie es ihn in Berlin den ganzen Winter – Winter? – nicht gegeben hat. Anderntags leuchten die frühlingsfrischen Blätter der Birken, deren Wipfel bis herauf in unser siebentes Stockwerk reichen, sonnenbeglänzt fast neongrün. Überragt werden sie nur von den Pappeln, die bereits mit der Dachkante der Elfstöcker gleichgezogen haben. Von einem der Dächer steigen Tage später pechschwarze Rauchwolken auf – aber niemand ist zu Schaden gekommen

Mit Natur- und Umweltbetrachtungen füllt sich indes das Blättchen nicht. Auch am zweiten Tag noch immer Leere im Postfach, abgesehen von obskuren Anfragen wie „Guten Morgen, ich bin der Manager einer digitalen Medienagentur. Wie viel kosten Gastbeiträge? … Best Regards …“ Nein, wir sind nicht käuflich. Aber bezahlbar!

Am Mittwoch der erste neue Beitrag: Erhard Weinholz hat aufgeräumt. Den Text darf ich meiner Angetrauten nicht zeigen, denn prompt riete sie mir vorwurfsvoll: „Das predige ich dir seit Jahren: Räum endlich das Arbeitszimmer auf!“ Als nächster meldet sich Dieter Naumann: „In Zeiten, in denen nicht gereist werden kann oder darf, muntert vielleicht ein Beitrag über die Reise-Verhaltensregeln vor mehr als 140 Jahren etwas auf.“

Gegen Wochenende treffen weitere Texte ein. Wie vorausgesehen mancherlei Buchbesprechungen, aber auch das C-Thema bleibt nicht ausgespart. Jan Opal aus Gniezno bietet eine Fortsetzung seiner Berichte über politische Entwicklungen in Polen an. Gerne! Hannes Hofbauer aus Wien sagt etwas übers Corona-Fieber in Wien zu, selbst aus dem kasachischen Almaty erreicht uns – über Umwege – ein Text. Auch Renate Hoffman überrascht mit Reisenotizen und Reinhard Wengierek hat in Bücher- und CD-Regalen gekramt … Zum Redaktionsschluss ballt sich’s, ohne Rücksicht auf das redaktionsgesetzte Zeichenlimit. Aber lesen Sie selbst – im Homeoffice oder wo auch immer.