23. Jahrgang | Nummer 9 | 27. April 2020

Arndts Geschichte der Leibeigenschaft

von Dieter Naumann

Ernst Moritz Arndt, Dichter, Historiker und Politiker, wurde 1769 in Groß Schoritz auf der Insel Rügen als zweites von zehn Kindern der Arndts geboren. In jenem Jahr war sein Vater Ludwig Nicolaus „auf geschehenes demütiges Ansuchen“ und gegen einen Geldbetrag von 80 Talern durch den auf „May 1769“ datierten Loskaufbrief „frey, los und ledig“ aus der Leibeigenschaft des Grafen Malte von Putbus, dem größten Landbesitzer der Insel, entlassen worden.

Leibeigenschaft kennzeichnete vom 16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts die persönliche Rechtssituation des Großteils der untertänigen Landbevölkerung Mecklenburgs und Vorpommerns. Die Leibeigenen dieser Region waren schollengebunden, abgabe- und dienstpflichtig, sozial, wirtschaftlich und juristisch abhängig von ihrem Grundherren. Dessen „Verpflichtung“ als Leibherr bestand lediglich darin, seinen Untertanen militärischen und juristischen Schutz zu gewähren; auch eine gewisse wirtschaftliche Unterstützung, zum Beispiel durch Baumaterial nach der Zerstörung der von ihm bereitgestellten Hofstelle seines Leibeigenen durch Brand, konnte der Leibherr gewähren. Darüber hinaus war er „berechtigt“, Leibeigene zu kaufen, zu verkaufen, zu tauschen, zu vermieten, über sie „Recht“ zu sprechen und sie gegebenenfalls zu bestrafen (der Adel hatte etwa seit 1400 die höhere Gerichtsbarkeit), darüber zu entscheiden, ob die übertragene Hofstelle verlassen werden durfte oder nicht, ob und wer geheiratet werden durfte, und so weiter. Als ein Beispiel der Willkür mag genügen, dass der Grundherr gar nicht selten nur einem von mehreren Geschwistern die Heirat erlaubte, die anderen mussten unverheiratet auf dem Hof bleiben und Dienste leisten. Es soll eine Reihe von Verlobten mit Kindern gegeben haben, die nicht heiraten durften, selbst bei Intervention durch die Kirche. Der Grund war, dass unverheiratete Kinder ebenfalls als leibeigen galten und bald auch als billige Arbeitskräfte zur Verfügung standen.

Zu Arndts Zeiten, exakt im Jahre 1783, waren laut Thomas Heinrich Gadebuschs „Schwedischpommersche Staatskunde“ auf Rügen von 21.254 auf dem „platten Land“ lebenden Menschen 15.028 leibeigen und damit den zumeist adligen, geistlichen und stralsundischen Gutsbesitzern ausgeliefert.

Es gelang dem pommerschen Adel bei der schwedischen Regierung (die in ihrem Land gar keine Leibeigenschaft kannte!) eine Bauernordnung durchzusetzen, in der die Leibeigenen als „der Scholle verschrieben“ (coloni glebae adscripti), quasi als Inventar charakterisiert wurden. Rechtsgrundlage waren unter anderem die 1616 erschienene Stettiner „Baur- und Schäferordnung“ und deren Nachfolgeverordnungen, die nun auch für Rügen gültig wurden.

1803 erschien im „Verlage der Realschulbuchhandlung“ in Berlin Arndts „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen. Nebst einer Einleitung in die alte teutsche Leibeigenschaft“. Arndt war damit weder der Einzige, noch der Erste, der sich für die Aufhebung der Leibeigenschaft einsetzte. So kritisierte der Stralsunder Ratsherr Balthasar Prütze 1614 in einer unveröffentlichten, aber erhaltenen Flugschrift die damals herrschenden Verhältnisse, 1784 bezeichnete der Kammerrat Johann David von Reichenbach in seinen „Patriotische(n) Beyträge(n) zur Kenntniß und Aufnahme des Schwedischen Pommern“ die Leibeigenschaft als „ein barbarisches Institut“, 1773 wurde auf Initiative von Präpositus Johann Gottlieb Picht in Gingst die Leibeigenschaft aufgehoben, ebenso 1774 durch ein Mitglied derer von Barnekow auf Teschvitz und 1802 durch General von Dycke auf seinem Gut in Losentitz auf Zudar. Selbst die schwedische Regierung unternahm ab 1767 verstärkte Bemühungen zur Abschaffung der Leibeigenschaft im schwedischen Teil Pommerns, scheiterte aber zunächst (wieder) am adeligen Widerstand.

In einem Brief an seinen Freund und Verleger Andreas Georg Reimer ahnte Arndt die mögliche Reaktion auf sein Buch, das „mir hier im Lande wenige Gönner machen“ werde. Tatsächlich löste Arndts Veröffentlichung erhebliche Unruhe unter Pommerns Adel aus, führte zu Repressalien gegen ihn und zur Verleumdung als „Leuteverderber und Baurenaufhetzer“.

Die Gebrüder Karl Aemil und Wilhelm Friedrich Ludwig von Bagevitz markierten zusammen mit Freiherr Schultz von Ascheraden auf Schloß Nehringen bei Demmin durch rote Unterstreichungen angebliche Majestätsbeleidigungen gegen verstorbene Mitglieder des Königshauses und schickten das so präparierte Buch an den Schwedenkönig Gustav IV. Adolf, wohl in der Hoffnung auf einen Prozess gegen Arndt. Dies schien zunächst auch zu gelingen, denn der König beauftragte den pommerschen Generalgouverneur Graf Hans Henrik von Essen mit der Untersuchung des Falles und mit entsprechender Bestrafung des Autors.

In seinen „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ schilderte Arndt später die kritischen Tage: „Der General von Essen lud mich nach Stralsund, deutete mir die Personen meiner Ankläger ungefähr an […] und zeigte mir die angeröteten Gefährlichkeiten mit der Frage, wie ich mir aus dem schlimmen Handel zu helfen gedenke?, denn der König scheine höchst angeblasen und entrüstet. Ich bat ihn um das Buch und um eine Bleifeder, unterstrich nun auch eine Menge Stellen, worin die Greulichkeit und Ungerechtigkeit dieser Verhältnisse dargestellt war, und bat ihn, er möge diese nun auch Seiner Majestät zur Ansicht und Betrachtung vorlegen. Das hat er getan, und der König hat geantwortet: ‚Wenn dem so ist, so hat der Mann recht!‘ Und so bin ich nach Greifswald zurückgefahren und ist mir kein Haar gekrümmt worden.“

Der Titel von Arndts Buch ist in gewissem Sinne irreführend, da sich der Autor keinesfalls nur auf die Verhältnisse in Pommern und Rügen beschränkte, sondern die Entwicklung der Leibeigenschaft überregional von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts beschreibt. Die Periode, in der die beiden Vizepräsidenten des Oberappelationsgerichtes zu Wismar, Mevius und Balthasar, 1645 beziehungsweise 1779 „die Observanz der Unterdrückung zu einer Art von Rechtlichkeit erheben“, wird deshalb erst im vierten Kapitel beschrieben. Arndt selbst erläuterte, das Buch enthalte „eine gewisse Unangemessenheit der Theile“, die er damit begründete, dass er Vorurteile widerlegen, alte Verdrehungen zurechtrücken und verjährte Lügen aufdecken wollte und deshalb „um einige Theile dieser Arbeit mehr Lichter gestellt“ werden mussten.

1817 veröffentlichte Arndt wiederum in der Realschulbuchhandlung seine „Geschichte der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in dem vormaligen Schwedischen Pommern und Rügen vom Jahr 1806 bis zum Jahr 1816“, die er als Anhang zum 1803 erschienenen „Versuch“ verstanden wissen wollte. Einführend verwies er darauf, dass er zwar nach 14 Jahren „die Schreibfeder etwas leichter und gefügiger gebrauchen“ würde, aber der Inhalt insbesondere der Pommern und Rügen betreffenden Kapitel „jetzt nicht anders ausfallen (würde) als damals“. Neben den hier von Arndt aufgelisteten Problemen des Überganges der ehemals Leibeigenen in die neue rechtliche, soziale und juristische Lage enthält dieses Bändchen als Beilagen die wichtigsten diesbezüglichen Verordnungen des schwedischen Königs Gustav Adolf und des Generalgouverneurs Graf Hans Henrik von Essen.

Da das 1806 erlassene Verbot der Leibeigenschaft nicht zugleich mit einem Verbot des „Bauernlegens“ und entsprechender Absicherung bäuerlicher Besitzverhältnisse verbunden war und auch das so genannte Heimatrecht (Anspruch, im Verarmungsfall durch die Heimatgemeinde versorgt zu werden) wegfiel, entstand an Stelle freier und eigenen Grund und Hof besitzender Bauern häufig ein Heer abhängiger Landarbeiter. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die nunmehr als Tagelöhner ihren Lebensunterhalt verdienenden „freien“ Bauern hinsichtlich einer gesicherten Existenzgrundlage teilweise schlechter standen als zuvor Leibeigene mit zwar unendlich mühevoller, aber doch durch die ihnen zugewiesene Hofstelle samt lebendigem und totem Inventar einigermaßen gesicherter Existenz.

Die tatsächliche Aufhebung der Leibeigenschaft sollte noch lange Jahre dauern und immer wieder auf Schwierigkeiten und Widerstände stoßen. Es mag in diesem Zusammenhang genügen darauf zu verweisen, dass es 1945 auf Rügen noch 550 Großgrundbesitzer gab, denen circa 67 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche gehörten.