Am 31. Januar 1945 kamen mit dem Torpedoschiff „T 36“ 564 Überlebende der in der Nacht versenkten „Wilhelm Gustloff“ im Hafen von Sassnitz an. Sassnitz war Ausweichhafen für das mit Schiffen und Flüchtlingen aus den Häfen Ostpreußens und der Danziger Bucht völlig überfüllte Swinemünde. In Sassnitz angekommen, wurden die Geretteten, von denen viele nicht ohne Unterstützung von Bord gehen konnten, durch das als „Flüchtlingsauffangschiff“ dienende dänische Lazarettschiff „Kronprinz Olaf“ aufgenommen und medizinisch versorgt. Das dänische Passagierschiff war im November 1944 in Dänemark beschlagnahmt, zum „Flüchtlingsauffangschiff“ umgebaut und im Januar 1945 nach Sassnitz verlegt worden.
M. Holz (Evakuierte, Flüchtling und Vertriebene…) lässt eine der zur Versorgung der Flüchtlinge eingesetzten Schülerinnen berichten: „Die erschöpften Menschen lagen zum Teil nackt in Decken in den Kabinen, in überfüllten Aufenthaltsräumen und Schiffsgängen. Alles war vollgekotzt und noch Schlimmeres. Die Kinder, die ihre Mütter nicht fanden, schrien, und einige konnten vom Schock gar nicht sprechen. Wir sollten sie anziehen und füttern und die Kabinen säubern. Die meisten von uns haben aber vor Ekel die Flucht ergriffen. Geblieben sind nur eine Handvoll.“
Eine der Überlebenden schilderte, dass sie in Sassnitz „notdürftig mit Kleidung versorgt und, soweit es die Kriegsumstände zuließen, etwas aufgepäppelt [wurde]. Die Schuhe, die man mir gab, waren Knabenschuhe, in die ich gar nicht hineinpasste.“
Anfang Februar erhielten die Überlebenden außer einem geringen Geldbetrag Bescheinigungen der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“, Ortsgruppe Sassnitz, die sie als Schiffbrüchige der „Gustloff“ auswiesen, die Gepäck, Ausweise und Lebensmittelkarten verloren hatten. Viele der Überlebenden wurden durch das Lazarettschiff nach Swinemünde gebracht und dort, sofern sie reisefähig waren, an Land gesetzt, andere versuchten zu Fuß oder per Bahn auf eigene Faust von Sassnitz aus weiter zu kommen.
Obwohl die Überlebenden über den Untergang der „Gustloff“ nicht reden durften, weil man befürchtete, dies könnte die weiteren Flüchtlingstransporte auf dem Seeweg gefährden, sickerten bald die ersten Informationen durch:
Die „Wilhelm Gustloff“, benannt nach dem Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz, im Februar 1936 in Davos von dem jüdischen Medizinstudenten David Frankfurter erschossen, lief am 5. Mai 1937 bei Blohm & Voss in Hamburg als „Ein-Klassen-Passagierschiff“ für die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“, eine Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“, vom Stapel. Die Jungfernreise führte im April 1938 unter Kapitän Karl Lubbe nach Madeira, es folgten bis August 1939 mehrtägige Reisen in das norwegische Schärengebiet und rund um Italien. Im Mai 1939 diente das Schiff als Truppentransporter zur Unterstützung der „Legion Condor“ im spanischen Bürgerkrieg. Die letzte Kreuzfahrt führte das Schiff unter Kapitän Heinrich Bertram von Hamburg aus nochmals nach Norwegen.
Die „Gustloff“, deren Baukosten rund 25 Millionen Reichsmark betrugen, war 208,5 Meter lang und 23,5 Meter breit, hatte eine Tonnage von 25.484 Bruttoregistertonnen, verfügte über eine effektive Maschinenleistung von 9500 PS, die eine Dienstgeschwindigkeit von 15,5 Knoten (rund 29 Kilometer pro Stunde) erlaubten, und galt als das größte für Kreuzfahrten vorgesehene Passagierschiff der Welt. 424 Besatzungsmitglieder versorgten 1463 Passagiere in 457 Kabinen. Von vornherein war das Schiff auch für eine Nutzung als Lazarettschiff konzipiert, unter anderem durch für Krankenbetten ausgelegte Aufzüge und spezielle Rohrleitungen für die Sauerstoffversorgung der Kabinen.
Nach Kriegsbeginn diente die „Gustloff“ dann tatsächlich mit 500 Betten als Lazarettschiff der Kriegsmarine, erhielt dafür entsprechend der zweiten Genfer Konvention von 1907 einen weißen Anstrich mit waagerecht umlaufenden grünen Streifen sowie beidseitig am Schornstein das Rote Kreuz.
Ab November 1940 lag sie als Wohnschiff für Ausbilder und Absolventen der 2. U-Boot-Lehrdivision im Becken IX von Gotenhafen-Oxthöft (heute Gdynia) und erhielt für diesen Zweck einen marinegrauen Tarnanstrich.
Als die Rote Armee immer weiter vorrückte, wurde die Verlegung der U-Boot-Lehrdivision nach Westen angeordnet, wozu auch die „Wilhelm Gustloff“ vorgesehen war. Sie sollte mit 173 Mann Besatzung 918 Angehörige des Personals der Lehrdivision, 373 Marinehelferinnen, 162 Schwerverwundete und eine zunächst unbestimmte Zahl von Flüchtlingen evakuieren. Da das Schiff lange Zeit festgelegen hatte, waren unter anderem die Rettungsmittel für die bevorstehende Fahrt nachzurüsten (dennoch waren letztlich von 22 vorgesehenen Rettungsbooten, die theoretisch 1918 Personen Platz geboten hätten, nur zwölf an Bord), die zivile Funkanlage musste umgerüstet werden, zusätzlich wurden 2-cm-Flak-„Vierling 38“ auf den Oberdecks installiert.
Offene Motorkähne brachten die Flüchtlinge, die einen von der schiffseigenen Presse gedruckten Passierschein ergattert hatten, mit ihrem wenigen Gepäck in einer Art Pendelverkehr zur „Gustloff“, wo sie anfangs noch von Marinehelferinnen gezählt wurden; der verantwortliche Einschiffungsoffizier registrierte 7956 Personen, dann gingen die Formulare aus. Wie viele Flüchtlinge danach noch das Schiff bestiegen, ist nicht bekannt. Die Zahlenangaben in der einschlägigen Literatur liegen zwischen 1000 und 2500 weiteren Personen.
Am 30. Januar 1945 (dem 50. Geburtstag des Namensgebers und zwölften Jahrestag der Machtergreifung Hitlers – die Führerrede wurde über Bordlautsprecher übertragen) lief die „Gustloff“ unter dem Begleitschutz des Torpedofangbootes „TF 1“ und des Torpedobootes „Löwe“, einem 1940 im Norwegenfeldzug erbeuteten Zerstörer, aus. Das Torpedofangboot schied bald darauf wegen Wassereinbruchs aus dem Geleit aus, auf dem Torpedoboot fiel später die hydroakustische Anlage zur U-Boot-Ortung durch Vereisung aus. Im Grunde genommen war das Torpedoboot damit als Geleitschiff praktisch bedeutungslos und eher ein Hemmnis, denn die „Gustloff“ konnte auf Grund des witterungsbedingt langsamen Torpedobootes nur mit eingeschränkter Geschwindigkeit laufen, außerdem erreichten die lange Zeit zum Stillstand verurteilten Maschinen nicht mehr die projektierte Leistung. Damit bestand die reale Gefahr, durch ein sowjetisches U-Boot eingeholt zu werden.
Ursprünglich sollte die „Gustloff“ im Konvoi mit der 21.131 Bruttoregistertonnen großen, für 1155 Passagiere vorgesehenen „Hansa“ auslaufen, die neben der Ausrüstung und den Offizieren der Lehrdivision ebenfalls Flüchtlinge aufgenommen hatte. Die „Hansa“ unter Kapitän zur See Karl Neitzel, Kommandeur der 2. U-Boot-Lehrdivision, musste jedoch wegen Maschinenschadens kurz nach der Abfahrt von der Reede Gotenhafen stoppen, weshalb die „Gustloff“ die Fahrt allein fortsetzte.
Achtern folgte im Abstand von etwa einer Stunde und ohne Wissen der Kapitäne der „Gustloff“ das Geleit des schweren Kreuzers „Admiral Hipper“ (mit 1529 Werftarbeitern und Flüchtlingen aus Gotenhafen an Bord) mit dem bereits genannten Flottentorpedoboot „T 36“, das 250 Werftarbeiter und Flüchtlinge aus Danzig aufgenommen hatte.
An Bord der „Gustloff“ befanden sich neben dem Handelsschiffskapitän Friedrich Petersen und dem militärischen Kommandanten Korvettenkapitän Wilhelm Zahn noch zwei weitere Kapitäne der Handelsmarine, Köhler und Weller, als Wachoffiziere und Fahrkapitäne, zwischen denen es bald zu Kompetenzstreitigkeiten kam: Während Zahn empfahl, abgedunkelt durch flache, für U-Boote ungeeignete Küstengewässer zu fahren, setzte sich Petersen wegen der Überladung des Schiffes und der Minengefahr mit seiner Entscheidung für eine Route durch tiefere Gewässer durch.
Kurz nach 21 Uhr sichtete der Kommandant des 1933 von Deutschen konstruierten sowjetischen U-Bootes „S-13“, Kapitän 3. Ranges Alexander Iwanowitsch Marinesko, die „Gustloff“, die zu diesem Zeitpunkt Positionslichter gesetzt hatte, um nicht mit einem gemeldeten Minensuchverband zu kollidieren. Marinesko ließ vier seiner zwölf Torpedos abfeuern, von denen drei das Schiff trafen, das vierte blieb im Rohr stecken.
Die Szenen an Bord der sinkenden „Gustloff“ müssen schrecklich gewesen sein. Nicht durch die Explosionen Getötete (die Mehrzahl der Marinehelferinnen und der Großteil der Matrosen der Freiwache waren durch die Explosionen der ersten beiden Torpedos sofort tot) wurden durch umher stürzende Gegenstände eingeklemmt oder erschlagen, automatisch geschlossene Schotten verhinderten jede Flucht aus den unteren Decks, Mütter verloren ihre Kinder, Offiziere erschossen ihre Familien, Flüchtende wurde zu Tode getrampelt, andere brachen sich auf den vereisten Decks das Genick, erfroren im eisigen Wasser, wurden von völlig überladenen Rettungsbooten und Flößen weggestoßen oder durch herbeieilende Schiffe überfahren …
Nur 1252 Menschen konnten durch die zu Hilfe kommenden Schiffe gerettet werden, darunter bezeichnenderweise alle vier Kapitäne. Das Torpedoboot „Löwe“ rettete 472 Menschen, das hinzugekommene Flottentorpedoboot „T 36“ unter Kapitänleutnant Robert Hering weitere 564 Überlebende, sieben andere Schiffe nahmen insgesamt 216 Personen auf. Während „T 36“ die Schiffbrüchigen in Sassnitz anlandete, brachten die anderen Schiffe die Geretteten nach Swinemünde, Kolberg und zurück nach Gotenhafen.
Der Kapitän der wenige Minuten nach den Torpedotreffern ankommenden „Admiral Hipper“ nahm wegen einer U-Boot-Warnung nicht an der Bergung teil, um die auf seinem Schiff untergebrachten Werftarbeiter und Flüchtlinge nicht zu gefährden und die Katastrophe dadurch noch zu vergrößern – eine Entscheidung, die in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert wird.
„S-13“-Kommandeur Marinesko hatte gehofft, für die Versenkung der „Gustloff“ und der ebenfalls abgedunkelt und unter Geleitschutz laufenden „Steuben“ als „Held der Sowjetunion“ anerkannt zu werden. Stattdessen wurde der als „trinkfestes Raubein“ und „Schürzenjäger“ Charakterisierte nach dem Krieg wegen mangelnder Disziplin unehrenhaft aus der Marine entlassen und wegen vermeintlichen Diebstahls sogar in ein Straflager verbannt. 1990, 27 Jahre nach seinem Tod, verlieh ihm Michail Gorbatschow postum die ersehnte Auszeichnung.
Die Wrackreste der „Wilhelm Gustloff“ (Bug- und Heckteil sollen deutlich zu erkennen sein) gelten heute als zu schützendes Seekriegsgrab in polnischen Hoheitsgewässern.
Zur völkerrechtlichen Einordnung ist entscheidend, dass die „Gustloff“ mit grauem Tarnanstrich und mit Flugabwehrgeschützen bestückt, entgegen der Genfer Konvention abgeblendet und unter Begleitschutz mit kampffähigen Soldaten an Bord durch Kriegsgebiet fuhr. Von der U-Boot-Besatzung musste sie als Truppentransporter mit dem rechtlichen Status eines Kriegsschiffes und damit als legitimes Ziel wahrgenommen werden. Ungeachtet dessen war der Untergang der „Gustloff“ eine der größten Schiffskatastrophen und eine humanitäre Tragödie.
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