23. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2020

Chez Krömer (Staffel zwei)

von Bettina Müller

Februar/März 2020: Kurt Krömer öffnete zum zweiten Mal die Gummizelle im Studio des RBB und ließ nacheinander sechs Freunde und/oder Feinde Platz nehmen. Eine gewisse Frau Thomalla (die Jüngere) machte den zweifelhaften Anfang. Ja, es ist wahr, es gibt im Fernsehen noch eine zweite Frau Thomalla, warum, weiß man nicht so genau. Und schnell kam bei Herrn Krömer der Verdacht auf, Frau Thomalla d. J. sei von Beruf lediglich „Tochter“. Schwang da etwa ein ungeheuerlicher Verdacht mit ganz nach dem Motto „Die kann nix“? Herr Krömer suchte in gewohnter Weise nach dem Motto „Immer feste druff“ nach Schwachpunkten, die Frau T. d. J. einfach rustikal weglachte. Jetzt weiß man, dass sie eigentlich eine Retro-Hausfrau ist, die gerne am Herd steht. Fast hatte man den Eindruck, sie meint das auch so, aber mal ganz ehrlich: So interessant ist das eigentlich gar nicht.

Der nächste, der sich in die Zelle des Grauens traute, ist ein Anwärter auf den Posten der „wandelnden Büroklammer“, also auf das Bürgermeisteramt des eher glücklosen Michael Müller. Raed Saleh scheint ein sympathischer Mensch zu sein, der aber schwer davon überzeugt ist, dass er genau der Richtige für diesen Traumjob ist. Dieser Moment wurde schließlich für den fehlgeleiteten Mann zur Belastungsprobe: Mit einer Armlänge Abstand, die endogen ruckartig nach links ausschlug, ließ Herr Krömer die drögen SPD-Devotionalien, die ihm Herr Saleh zuvor mit stolzer Miene in einem roten Beutelchen überreicht hatte, vom Tisch auf die schwarze Grabes-Erde rieseln. Das ließ selbst die drei Buchstaben S P D imaginär in hohem Bogen durcheinander wirbeln. Sie werden nie wieder dieselben sein. Saleh sah für einen kurzen Moment so aus, als hätte ihm ein böser Bube im Sandkasten die Plastikschaufel stibitzt. Dabei hatte er Herrn Krömer zuvor doch nur Komplimente gemacht, er sehe gut aus und sein Anzug sei sehr schick. Vergessen hatte er in diesem Moment der Vollständigkeit halber: „Du hast die Haare schön“, aber auch, dass Herr Krömer auf derart plumpe Schmeicheleien nicht hereinfällt. Zum Schluss begehrte Saleh kurz auf und hielt: ein Loblied. Auf sich selber. Es geriet zum Trauermarsch. Und Saleh wankte hinaus.

Der Nächste, der in die Zelle geleitet wurde, war Konstantin Kuhle von der FDP, der trotz aller Beteuerungen, er habe von der Sache neulich in Thüringen „nichts gewusst“, eigentlich einen patenten Eindruck macht und sich vielleicht nur in der Partei geirrt hat. Natürlich musste er jetzt ausbaden, was die anderen verbockt hatten, als sie der AfD in die Falle gegangen waren und Thomas Kemmerich mit ihrer Hilfe zum Ministerpräsident gewählt wurde. Kuhle ließ sich jedoch nicht in die Enge treiben und beharrte vehement darauf, dass er ja nicht dabei gewesen sei, als ob ihn das reinwaschen würde. Allgemeine Heiterkeit brach aus, als er vor laufender Kamera gestand, dass mit seinem Parteigenossen Kubicki wohl etwas nicht stimmen würde. Freudestrahlend verkündete er etwas kryptisch: „Wolfgang wird langsam ein wenig komisch“. Hilarität versprühende Bekenntnisse eines Politikers, der sein Kaltgetränk vor laufender Kamera aus einer Fillymaus-Tasse zu sich nehmen muss. So wird man nicht komisch, man ist es in dem Moment, wo Realität und Satire zu einer innigen Einheit verschmelzen.

Anwärter auf den Lorbeerkranz der gepflegten Heiterkeit ist auch Christian Lindner, dem nach der Thüringenwahl der bis heute rätselhafte Satz entfuhr, dass Thomas Kemmerich in dem Moment, wo er verstört die Wahl annahm, „übermannt“ gewesen sei. Da wusste sich Kuhle aber auch keinen Rat mehr. Klappe zu, Affe tot, wie es so schön im Volksmund heißt.

Als vierter Besucher hatte sich der gefürchtete Rapper „Sido“ aus „Aggro Berlin“ angekündigt. Auf einem Vorab-Foto schmiegte sich Herr Krömer verträumt an den bärig-bärtigen Sido, das sah also ganz nach Kategorie „Freund“ aus. Und mit einem Freund sitzt man auch mal abends beim Bier und redet über Gott und die Welt und natürlich über den Tod. Herr Krömer und Herr Sido plauderten über ganz bescheidene Wünsche, wie eine „goldene Pyramide“ mit Glasunterbau als letzte Ruhestätte, aber auch über andere wunschtraumatische Vorstellungen, wie ein Wachsfigurendasein bei Madame Tussaud. Sido hatte man angeblich für Letzteres gefragt, Herrn Krömer aber nicht, das schmerzte. Auch die Bekenntnisse über Herrn Krömers Jugend waren herzzerreißend, damals, als er noch ständig Kitschfilme anschauen musste, um dann erst „Kerstin Fleischer“ küssen zu dürfen. Zwei Männer schwelgten in Nostalgie, bis Sido das herzliche Beisammensein brutal mit „Du siehst eben aus wie alle anderen“ beendete, weil Herr Krömer bis dato unbehelligt mit sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln der BVG unterwegs war, ohne jemals angesprochen zu werden. Doch die beiden hatten sich bald wieder lieb. So lieb, dass Herr Krömer ihm gestand, dass ihm manchmal Mordlust nicht fremd sei und ein potentielles Opfer tatsächlich auch schon Gast bei ihm war. Man kann sich denken, wer, nur so viel: es war nicht Philipp „Fipsi“ Amthor, obwohl – laut Herrn Krömer – „sehr jung und doof“. Abspann und Aufatmen, noch mal ohne Gemetzel gut gegangen. Der Nächste bitte!

Ausgerechnet die Grande Dame der deutschen Heimatvertriebenen, Erika Steinbach, saß in Folge 5 im Verhörraum. Sie ist die erste, bei der sich Herr Krömer abgeschlafft eine Zigarettenpause gönnen musste. Frau Erika wahrte 30 Minuten lang ihr Pokerface, Unkraut vergeht eben nicht. Und sie schimpfte Herrn Krömer einen „Quatschkopp“ und einen begriffsstutzigen dazu, bis einem fast das Lachen im Hals stecken blieb, weil das „Verhör“ dann zum bierernsten Polit-Schlagabtausch verkam, bei dem die Kontrahenten eine Duellpistole ziehen würden, wenn sie denn eine hätten. Es war aussichtslos. Einen Gast fortgeschrittenen Alters, der einen Björn Höcke nicht für einen Faschisten hält und Bodo Ramelow als „Kommunisten“ betitelt, kann man nicht innerhalb von 30 Minuten auf die richtige Spur bringen. Da hilft es auch nicht, ihm „Sie widern mich an!“ zuzurufen. So war der ein oder andere Zuschauer heilfroh, als die Sendung vorbei war, bei der die Kunstfigur Kurt Krömer oder der Mensch dahinter, man weiß es nicht so genau, kurz vom Kollabieren war. Das ganze Drama endete dann doch noch mit einem Lacher, wenn auch keinem kathartischen: „Frau Steinbach, wir müssen Sie jetzt leider abschieben“. Wenn doch Worten auch immer Taten folgen würden. Auf Grönland soll es zum Beispiel sehr schön sein.

Zum Staffelfinale wurde es schließlich pseudo-royal: Marcus Prinz von Anhalt schaute vorbei, vom mutig rosa Socken tragenden Herrn Krömer zwar fälschlich, aber zu Recht als „Prinz Karneval“ diffamiert. Schnell entlockte er dem bordellbesitzenden Royal, dass dieser einen „guten Charakter“ habe, wozu das hämische Grinsen desselben nicht zu passen schien. „Ich zeig’ gern, was ich hab“, „protzen ist doch geil“, „ich liebe alle Frauen“ und „ich bin nicht kriminell“ fasst den ganzen belanglosen wichtigtuenden Pinocchio ganz schnell zusammen, der sich in dieser Sendung erwartungsgemäß selber zerlegte, dabei sein Grinsen aber nie verlor.

Nach sechs Folgen zwischen unberechenbarem Genie und wüstem Wahnsinn ist das Urteil klar: Herr Krömer darf gerne wiederkommen. Aber ohne Erika.