23. Jahrgang | Nummer 5 | 2. März 2020

Spielereien

von Renate Hoffmann

Vermutlich war es der niederländische Kindertag im Jahre 1560, an dem Pieter Bruegel der Ältere (um 1525–1569) von erhöhtem Standort aus beobachtete, sich amüsierte und das bunte Treiben in einem Gemälde festhielt. Beim Betrachten empfindet man ähnliches Vergnügen wie der Maler, den man auch „Bauernbruegel“ nannte.

Ein großer Platz (der Markt?), von Gebäuden umgeben, eine Gasse mündet, ein Weg führt zum Wasser, Baumbestand, Auenwiesen; in der Ferne Dächer vom nächsten Ort und die Kirchturmspitze. Auf allen Ebenen, in jedem Winkel herrscht Trubel. Ein akribischer Mensch machte sich die Mühe und zählte Bruegels Kinderschar. Die Zählung erbrachte, neben einigen Erwachsenen, 168 Jungen und 78 Mädchen. Diese Mühe machte ich mir nicht und begab mich mitten hinein in den wilden Wirbel.

Es wuselt, wieselt, rennt, springt, hüpft, schaukelt, stupst, stößt, rempelt, tanzt und turnt am Reck. Kinderspiele ohne Ende. – Kleine Szenen zu zweit, zu dritt und als Clique. Auch als Solisten. Einer läuft auf Stelzen, sehr geschickt; der dort balanciert seinen Hut auf der Stange. Purzelbäume, Kopfstände. Mit wehenden Röcken treibt ein Mädchen den mit Glöckchen geschmückten Reifen. Das Geklingel ist deutlich zu hören.

Wer hat denn die Fässer auf den Platz gerollt? Von den Kindern werden sie sofort als geeignete Spielobjekte erkannt und in Beschlag genommen. Die grenzenlose Fantasie lässt aus den dickbäuchigen Tonnen Reittiere werde. Zwar ein kippeliges Unterfangen, ‚Klaas, halt dich fest!‘ ‚Woran denn, Willem?‘ Doch das Balancieren auf den Holzrössern macht den beiden Knaben sichtlich Spaß. – Wie kann man ein Fass zum Klingen bringen? In dem man durch das Spundloch lautstark hineinruft. Schon ertönt ein dumpfes Grollen aus der Tiefe, als säße der Göttervater höchstselbst innen drinnen und zürne seinen Geschöpfen. – Andere haben ihr Steckenpferd mitgebracht und galoppieren durch das Gewimmel. Man muss auf der Hut sein, um nicht unter die Hufe zu kommen.

Die Mädchen spielen brav mit Puppen oder kochen und backen in der Puppenstube. ‚Was gibt es denn heute?‘ ‚Flammkuchen mit Birnenmus‘. Das wird gut schmecken. – Derweilen üben sich Jungen im Bockspringen. Wieder Andere schieben aus Bauklötzen einen Festungswall zusammen, sind sich aber nicht einig, wo das Eingangstor in die Fortifikation liegen soll. Erregte Diskussion. Man muss doch an die Verteidigung denken! – Etwas abseits wird ein Lanzenstechen ausgetragen, jedoch in friedlicher Absicht, ohne Feindberührung. Hochspannend verlaufen die Turnierkämpfe. Zwei Kinder bilden das Pferd, ein Mutiger sitzt obenauf. Zwei Parteien, Gerangel. Wer stürzt, hat den Spott und ein dickes Knie.

Mi, ma, mu, die Blinde Kuh bist du! Auf diese Weise erfahre ich, dass Kinder dieses Spiel seit mehr als vierhundert Jahren lieben. – Wagehalsige klettern über Zäune und auf Bäume, nichts ist vor ihrem Übermut sicher. Ach du liebes Gottchen, dort drüben ist eine Balgerei im Gange. Es scheint ernst zu sein. Die Raufbolde lassen nicht voneinander. Vergebliche Schlichtungsversuche. Eine Frau hat den rettenden Einfall. Sie schüttet einen Eimer Wasser über die beiden. Das hat Erfolg. Die Kampfhähne knurren sich noch ein wenig an, dann trollen sie sich davon. Man will es nicht glauben, da fällt doch eine Rotte übereinander her und zieht sich an den Haaren. Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe … Vielleicht hilft die Musik. Trommeln und Flöten, Rasseln und Klappern. Dazu Gesang aus vollem Halse. Es klingt zwar nicht sehr harmonisch, aber laut.

Den Jux, Umzüge auszurichten, lässt sich die lustige Bande nicht entgehen. Tauf- und Hochzeitsgesellschaften, Blumen streuend, ziehen fröhlich durch die Menge. Das quirlt und lacht und lärmt. – Und ganz weit hinten, dicht an der Mauer, hockt in kleines Mädchen und …

Na ja, die Großen müssen, und die Kleinen müssen eben auch mal.

Pieter Bruegel der Ältere: Die Kinderspiele, 1560, Öl auf Holz, 118 x 161 cm, Kunsthistorisches Museum Wien.