Neue Hoffnung für Mieter“ titelte jüngst eine große deutsche Zeitung ihren Bericht über das Ende 2019 verlangsamte Wachstum der Wohnungsmieten bei Neuverträgen. Einige Analysten verzeichnen für einige Segmente sogar Rückgänge. Nähert sich der Immobilienboom seinem Ende? Zeigen politische Maßnahmen wie Mietpreisbremse oder Wohnungsbauförderung Wirkung? Wirft das Platzen der Spekulationsblase seinen Schatten voraus?
Wenn die Immobilienpreise – Preise für Grund und Boden sowie Gebäudepreise – sich spekulationsbedingt erhöhen, wird von einer Preisblase gesprochen. Die Preise steigen, weil sie steigen. Was sich wie eine Tautologie liest, gehört zum Einmaleins der Ökonomie. Für gewöhnlich sinkt die Nachfrage bei steigenden Preisen, so dass diese bei gegebenem Angebot und auch sonst unveränderten Bedingungen wieder fallen. Kapitalanleger behandeln Immobilien jedoch als Spekulationsobjekte, wodurch andere Mechanismen in Kraft treten. Die Preiserhöhung signalisiert ihnen zunehmende Nachfrage, sie kaufen dann, weil sie weiter steigende Preise und einen Spekulationsgewinn beim Wiederverkauf erwarten. Dadurch werden sich Nachfrage und Preise wegen steigender Preise erhöhen; sie steigen, weil sie steigen. Preissteigerungen, die auf Spekulationen beruhen, dauern zwar nicht ewig an, aber wie weit oder wie lange das geht, bis die Blase platzt, ist ungewiss. Spekulation ist per se – anders als der Alltagsgebrauch dieses Begriffs suggeriert – ein Verhalten bei Ungewissheit.
Spekulationen sorgen also für einen beständigen Wechsel von Boom- und Baissephasen, der auch den Wohnungs- und Hausbau ergreift. Also „Hoffnung für Mieter“? Mitnichten! Immobilienpreise sind Vermögenspreise, Mieten und Pachten sind die laufend zu zahlenden Nutzungsentgelte. Durch sie werden die Investitionskosten zwar in letzter Instanz hereingeholt, aber sie reagieren nicht auf einen kurzzeitigen Preisrutsch der Immobilien. Zuletzt stiegen die Immobilienpreise deutlich rascher als die Mieten, was auf eine Überbewertung hinweist. Wenn Mieten stagnieren oder sinken, trüben sich die Renditeerwartungen der Anleger und es beginnen Absatzbewegungen; das Platzen der Blase ist eine Folge davon. Die Immobilienpreise waren nach der Krise von 2007/2009 zunächst weltweit um fast 12 Prozent gesunken, übersteigen den Vorkrisenstand inzwischen jedoch wieder; in einigen Metropolregionen verdoppelten sie sich seit dem letzten Tiefstand von 2012. Der globale Aufwärtstrend begann allerdings schon Jahrzehnte früher und wird sich nach dem nächsten Crash fortsetzen. In Deutschland begann der Boom erst nach der Krise, als die im internationalen Vergleich niedrig bewerteten Immobilien nicht zuletzt auch im Ausland als Anlage mit Preissteigerungspotenzial entdeckt wurden und bessere Renditen als andere Anlagen versprachen. Die Wirtschaftspolitik hat in all den Jahrzehnten außerdem im Interesse der Immobilieneigner agiert; fast überall wurden öffentliche Flächen und Wohnungsbestände verscherbelt, der Sozialwohnungsbau ausgedünnt und Miet- und Wohnregulierungen sowie staatliche Preiskontrollen abgebaut. Steigende Bau- und Sanierungskosten oder Umweltauflagen spielen für die Immobilienpreissteigerungen eine weit geringere Rolle als von interessierter Seite behauptet wird.
Solange sich Grund und Boden weitgehend in Privateigentum befinden und keiner Regulierung unterliegen, werden – da das Angebot im Prinzip gegeben ist – die Preise sich zudem mit der infolge der weltweiten Bevölkerungszunahme steigenden Nachfrage erhöhen. Der Flächenbedarf für die Agrarwirtschaft, für die extraktive Industrie, für Handel, Gewerbe und Wohnen wird steigen. Der technisch-organisatorische Fortschritt wirkt zwar bremsend, aber er hat auch in der Vergangenheit bei weit höheren Wachstumsraten der Produktivität und der Bodenerträge als heute den Anstieg der Nachfrage nicht gehemmt. Zudem reagiert die bedarfsbestimmte Nachfrage nur in geringem Maße auf Preiserhöhungen, weil der Flächenbedarf zum Beispiel für das Wohnen unverzichtbar, die Preiselastizität dieser Nachfrage also gering ist.
In den hochentwickelten Ländern wächst die Bevölkerung zwar nicht so stark oder schrumpft sogar, aber abgesehen vom Immigrationsdruck, dem sie sich langfristig nicht gänzlich entziehen können, führt der demografische Wandel besonders in Ballungszentren zu höherer Immobiliennachfrage. Die Urbanisierung sowie das Wachstum der Anzahl der Haushalte bei Verkleinerung ihrer Größe lassen den Wohnungsbedarf steigen. Die städtische Immobilienpreis- und Mietsteigerungen fallen vor allem dort hoch aus, wo die Bevölkerung stärker als anderenorts wächst. Gentrifizierung und Luxussanierung sorgen für die Verdrängung weniger betuchter Bewohner aus bestimmten Wohnvierteln und tragen ebenfalls zum Preisanstieg bei. Die Landflucht wirkt in bestimmten Regionen zwar preisdämpfend, aber insgesamt wächst der Verbrauch an Siedlungs- und Verkehrsflächen auch in Deutschland, wenngleich zuletzt etwas verlangsamt. Selbst die offiziellen Nachhaltigkeitsziele sehen zwar eine Begrenzung des Anstiegs der Inanspruchnahme von Flächen, nicht aber – vielleicht in der Hoffnung auf das Wirken der natürlichen Grenzen – deren Verminderung vor. Und nicht nur in den agrarisch geprägten Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas mit raschem Bevölkerungswachstum hat ein hemmungsloses Landgrabbing eingesetzt. Auch hierzulande legen Investoren ihr angesichts des hohen liquiden Geldvermögens und niedrigster Zinsen überreichlich vorhandenes Kapital nicht nur in „Betongold“, sondern auch in landwirtschaftlichen Nutzflächen und anderen verwertungsrelevanten Spots an.
Grund und Boden sind nicht beliebig vermehrbar. Ihre Eigentümer verfügen über ein natürliches Monopol, dass es ihnen erlaubt, eine absolute Grund- oder Bodenrente zu erzielen, die weder auf einer eigenen Leistung noch auf einem besonderen Ertrags- oder Lagevorteil der Flächen beruht. Sind letztere Vorteile zusätzlich gegeben, ermöglichen sie noch höhere leistungslose Einkommen, die sogenannte Differential- oder Lagerente. Hinzu kommt, dass sich die Immobilien bei immer weniger Eignern konzentrieren und neben das natürliche ein konzentrationsbedingtes Monopol tritt. Riesige Agrarkonzerne und Immobilienunternehmen bringen immer größere Flächen an sich und ein signifikanter Teil der Wohnungsvermietung liegt in den Händen von Großunternehmen, bei denen wiederum Finanzkonzerne in nicht unerheblichem Maße das Sagen haben. Während der größere Teil der Bevölkerung ohne Immobilienvermögen Verlierer des anhaltenden Immobilienbooms ist, weil höhere Einkommensanteile für Mieten zu zahlen sind, gewinnen die Vermögenden. Bei den Immobilieneigentümern, und das sind vor allem die reicheren Schichten, hat die Bedeutung dieser Vermögenskomponente stark zugenommen. Die Immobilienpreissteigerung führt bei ihnen zu Vermögenssteigerungen, die zwar, soweit es sich nur um Erwartungswerte handelt, fiktiven Charakter tragen, aber bei Verkauf, Vermietung und Verpachtung unverdiente Einkommen generieren; die Kasse klingelt, ohne dass dafür ein Finger krumm gemacht werden müsste. Sie heizt darüber hinaus die ökonomisch destabilisierende Vermögenspreisblase an.
Eine richtig konstruierte Mietpreisregulierung könnte verhindern, dass die Kaufpreise für Immobilien vollständig auf die Mieten überwälzt werden. Für die Mehrheit der Bevölkerung wäre das ein Segen, lediglich die völlig leistungslosen und unverdienten Renditen der reichen Minderheit würden geschmälert. Außerdem entwiche Luft aus der Blase und die spekulativ bedingte Immobilienpreissteigerung könnte eingedämmt werden. Um die vom wachsenden Flächen- und Raumbedarf verursachte Steigerung in den Griff zu bekommen, müssten freilich die relevanten Bereiche von Grund und Boden dem Markt und dem privaten Verwertungskalkül gänzlich entzogen werden.
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