23. Jahrgang | Nummer 3 | 3. Februar 2020

Nekrologe 2019

von F.-B. Habel

Nach vielen Jahresrückblicken macht man wieder die Feststellung, dass einige Menschen, die zumindest eine Zeitlang im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen und uns im vergangenen Jahr verließen, nur sehr knapp – wenn überhaupt! – gewürdigt wurden. Oft sind es die, die besonders in der DDR bekannt waren.

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Wenigstens im Vorspann der „Abschieds“-Sendung des MDR sah man das Bild von Joachim Tomaschewsky, aber in der Sendung selbst war kein Platz für ihn. Der Schauspieler, der in den fünfziger Jahren ein Star am Leipziger Schauspielhaus war, kam 1962 an die Berliner Volksbühne, wo er erst mit über 90 Jahren in den Ruhestand trat. Er war eine Institution. Nach dem Tod von Johannes Heesters galt Tomaschewsky als ältester aktiver Schauspieler im deutschsprachigen Raum. Er, der seit 1959 in rund 150 Produktionen in großen Rollen vor der Kamera gestanden hatte (darunter in Serien wie „Das unsichtbare Visier“, 1977, „Archiv des Todes“, 1980, und „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, 1985) nahm 2010 mit einer Episodenhauptrolle beim „Tatort“ vom Fernsehen Abschied. Fast. Denn 2018 gab er in einer Reportage über Hundertjährige noch mal über sein Leben Auskunft. Den großen Geburtstag schaffte er aber denn doch nicht und starb einige Wochen zuvor im Februar.

Auch die Thüringer Schauspielerin Marlies Reusche, die in Chemnitz und Eisenach Theater spielte, nur wenige Filmrollen übernahm und eine erfolgreiche Sprecherin bei Synchron und Hörspiel war, gab 2019 in einer MDR-Reportage aus dem Weimarer Seebach-Stift über das veränderte Leben im Alter Auskunft. Im Herbst starb sie kurz nach ihrem 96. Geburtstag.

Wie Frau Reusche hatte auch Harald Halgardt viel Erfolg im Hörspiel, bis kurz vor seinem Tod noch in der Hör-Serie „Die schwarze Sonne“. Wie Tomaschewsky hatte Halgardt ein erfolgreiches Jahrzehnt in Leipzig, wie der Kollege ging er zu Beginn der sechziger Jahre an die Berliner Volksbühne, die er 1984 verließ, um in seine Heimatstadt Bremen zu ziehen. Zwischen 1954 und 1998 stand Halgardt bei DEFA (genannt sei „Professor Mamlock“, 1961) und Fernsehen (oft im Fernsehtheater Moritzburg) bei fast 100 Produktionen vor der Kamera. Er verließ uns im Januar im 92. Lebensjahr.

Nur eine Woche vor ihrem 85. Geburtstag im Februar starb Christine Gloger, die erst bei den Meiningern spielte und ab 1959 für mehr als 30 Jahre dem Berliner Ensemble angehörte. Dem breiten Publikum ist sie beispielsweise aus Karin Herchers Fontane-Verfilmungen „Mathilde Möhring“ und „Die Poggenpuhls“ (1983/84) und neben Ulrich Mühe als Hölderlins Mutter in „Hälfte des Lebens“ (1985) in Erinnerung.

Ein waschechter Weimarer war Manfred Heine, der als Schauspieler, Regisseur und Schauspiellehrer eine Größe im gesamten Thüringer Raum war. Aber auch überregional war er durch Filme bekannt, besonders durch mehrere Märchenfilme von Walter Beck (unter anderen „König Drosselbart“, 1965, „Der Streit um des Esels Schatten“, 1990). Er wurde 86 Jahre alt.

Zwei langjährige Schauspieler des Potsdamer Hans-Otto-Theaters sind 2019 gestorben. Joachim Schönitz spielte zwischen 1969 und 1992 mehrfach bei DEFA und DFF und ist als origineller Abschnittsbevollmächtigter Vogelsang in der Serie „Spuk von draußen“ (1987) in guter Erinnerung. Er wurde 77 Jahre alt. Sein Kollege Gerd Staiger starb im Juni mit 88. Er übernahm bei Film und Fernsehen meist kleine Rollen, Offiziere, Ärzte, Professoren und hatte die Gabe, diese Rollen sehr einprägsam zu spielen.

Ähnlich ging es Ulrike Hanke-Hänsch, die im April 80-jährig starb. Egal, ob sie eine Krankenschwester, Zahnarztpatientin, Nachbarin oder auch mal eine Großmutter spielte – ihre Figuren stimmten auf den Punkt und blieben in Erinnerung.

Am Hans-Otto-Theater spielte in den fünfziger Jahren Dieter Perlwitz, bevor ihn der Film in Beschlag nahm. Er stellte sich damals selbst als den „Baggerfahrer vom Dienst“ vor, denn diese Rollen bekam er immer wieder, etwa von Kurt Maetzig („Schlösser und Katen“, 1956) oder Frank Beyer („Eine alte Liebe“, 1959). Später wirkte er als Regisseur und Theaterleiter in Halle, Greifswald und Potsdam. Im Kinderfernsehen war er als Kapitän Hein Pöttgen lange Jahre ein Liebling der kleinen Zuschauer. Im September starb er kurz vor seinem 89. Geburtstag.

Auch Lothar Krompholz hat uns 91jährig verlassen. Er hat einige TV-Rollen gespielt (mehrfach im „Polizeiruf 110“), und in die Theaterhistorie ist er 1959/60 als der erste Störtebeker (damals noch Störtebecker geschrieben) bei den Rügenfestspielen in Ralswiek eingegangen.

Schauspielerkind Uwe-Detlev Jessen stand bereits mit sechs Jahren in Güstrow auf der Bühne – in einem Dialektstück. In den neunziger Jahren schloss sich ein Kreis, als er auch wieder auf Platt am Hamburger Ohnsorg-Theater spielte. Er arbeitete als Schauspieler, Regisseur und Oberspielleiter in Senftenberg, Berlin und Rostock, trat aber auch immer wieder – oft in komischen Rollen – bei Film und Fernsehen auf. Besonders erfolgreich spielte und inszenierte er Märchen. Er wurde 88 Jahre alt.

So war Jessen ein Mann vor und hinter der Kamera. Letztere sind meist weniger populär, aber nicht weniger wichtig. Große Eindrücke gewannen wir von Kameramännern wie Martin Schlesinger, der im Januar kurz nach seinem 69. Geburtstag starb. Nach Jahren, in denen er fürs Fernsehen arbeitete, übernahm er nach dem Erfolg mit seinem Babelsberger Diplomfilm „Hommage á Hölderlin“ (1983) erst 1989 die Bildgestaltung seines ersten Kinofilms „Coming out“. Mit Regisseur Heiner Carow arbeitete er noch bei Fernsehfilmen zusammen, auch einen Kinofilm, „Verfehlung“, drehten die beiden noch 1992. Aber die Filmlandschaft hatte sich so gründlich gewandelt, dass Schlesinger fortan nur noch fürs Fernsehen arbeiten konnte, anständige Arbeit, aber keine Höhenflüge!

Kameramann einer früheren Generation war Rolf Sohre, der 90-jährig starb und dessen wichtigste Filme schon in den sechziger Jahren entstanden. Mit Kurt Jung-Alsen drehte er 1961 die deutsch-britische Ko-Produktion „Der Schwur des Soldaten Pooley“, und Joachim Kunerts Partner war er bei „Das zweite Gleis“ (1962), für den er expressionistische Bilder schuf, und bei einem der bis heute wichtigsten deutschen Anti-Kriegs-Filme „Die Abenteuer des Werner Holt“, für den Sohre 1965 mit einem Nationalpreis ausgezeichnet wurde. Unter den vielen Fernsehfilmen, die er später drehte, war 1982 „Generalprobe“ von Christa Mühl. Von ihr gibt es keinen Kinofilm, aber sie war eine der kreativsten Fernsehregisseurinnen der DDR. Durch ihre Ehe mit dem Brecht-Experten Werner Hecht hatte sie zu dem Autor ein besonderes Verhältnis. Sie adaptierte Brecht-Geschichten zu Fernsehfilmen, die unvergesslich bleiben. In „Tod und Auferstehung des Wilhelm Hausmann“ (1977) spielte die ebenfalls 2019 verstorbene Ursula Karusseit eine Frau, die sich aus wirtschaftlicher Not nach dem Tod ihres Mannes für ihn ausgibt, damit sie seine Arbeitsstelle einnehmen kann. Böse ironisch war „Die Rache des Kapitäns Mitchell“ (1979) über ein Beinahe-Schiffsunglück mit einem umwerfenden Dieter Mann in der Hauptrolle. Christa Mühl hat später gediegene Serien-Arbeit geleistet, hat die Reihe um den Sachsen in Hamburg, Stubbe (Wolfgang Stumph), miterfunden und nach Ende ihrer TV-Arbeit heitere Bücher geschrieben. Sie wurde 72 Jahre alt.

Regisseur war eigentlich auch Roland Helia, der zu Beginn der achtziger Jahre an der HFF Babelsberg dieses Fach studiert hatte. Der große Umbruch 1990 bewirkte, dass Helia sich anders orientierte. Er inszenierte noch gelegentlich kurze Filme, war aber in erster Linie Medienpädagoge. In seiner filmtheoretischen Arbeit ragt eine kritische Analyse zu den Verfilmungen von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ heraus. Helia starb plötzlich an einem schönen Maitag mit 63 Jahren.

Nach dem Schulabschluss in Heringsdorf lernte Heinz Brinkmann Maschinenschlosser bei einer MTS auf Usedom. Nach Volontariat beim Fernsehen und Regiestudium an der Babelsberger Filmhochschule arbeitete Brinkmann für die Wochenschau Der Augenzeuge, drehte Kurzfilme über so unterschiedliche Musiker wie Eberhard Schmidt und Lutz Kerschowski. Der abendfüllende Berlin-Film „Komm in den Garten“ (mit Jochen Wisotzki) war 1990 sein künstlerischer Durchbruch, und er hat danach noch viele auf Festivals ausgezeichnete Filme gedreht, in denen er oftmals seine Heimat darstellte, die Insel Usedom in ihren Feinheiten (wozu auch Peenemünde mit der Nazi-Heeresversuchsanstalt zählt). Im Frühjahr musste er im 71. Lebensjahr seine Insel für immer verlassen.

So nebenbei ein Buchautor und ein leidenschaftlicher Amateurtheaterspieler in Anklam war der langjährige Gemeindepfarrer aus dem vorpommerschen Groß Kiesow, Andreas Schorlemmer. Der jüngere Bruder des Bürgerrechtlers Friedrich Schorlemmer feierte im Frühjahr seinen 70. Geburtstag. Im Sommer holte ihn der Krebs. Seine Erlebnisse als Notfallseelsorger und Polizeipfarrer schilderte er in dem beeindruckenden Buch „Manchmal hilft nur schweigen“.

Viele Bücher und Anthologien gibt es von Helmut Richter, der Lehrer am Literaturinstitut Leipzig war, der Gedichte schrieb, von denen eines von Hanns Eisler vertont wurde, der Autor von Romanen, Filmen und Hörspielen war. Doch als er starb, schien es, er habe nur einen einzigen Schlagertext geschrieben: „Über sieben Brücken musst du geh´n“. In der Interpretation der Gruppe Karat und später von Peter Maffay und auch von José Carreras wurde es eine weithin bekannte Hymne. Dass das Lied aus der Verfilmung einer Erzählung von Helmut Richter stammt, ist leider fast vergessen. Er verabschiedete sich im November kurz vor dem 86. Geburtstag.

Musik hat Thomas Lück gemacht, der im November mit 76 gehen musste. Er spielte auch in Filmen mit, beispielsweise 1976 in „Liebesfallen“ mit seiner „Schwiegermutter“ Eva-Maria Hagen (denn er war damals mit Nina liiert), aber vor allem ist er als Sänger heiterer Schlager in Erinnerung, wie „Wo kommt der Schnee auf dem Kilimandscharo her“ oder „Laß doch den Schlankheitstee im Schrank“.

In einem ganz anderen Genre sang Renate Hoff in vielen Ländern der Welt. Die Sopranistin war so etwas wie ein „Eigengewächs“ der Deutschen Staatsoper Unter den Linden. Hier begann sie nach dem Debüt in Magdeburg als junge Sängerin ihre Karriere, in großen Partien, wie die Papagena in der „Zauberflöte“, die Susanna im „Figaro“ oder die Musette im „La Bohème“ war sie in Berlin zu erleben. Oft sah und hörte man sie in anspruchsvollen TV-Shows. Sie übernahm aber auch Partien in Werken von Zeitgenossen, etwa die Lena in Kurt Schwaens „Leonce und Lena“. Dazu gastierte die Kammersängerin in rund einem Dutzend großer Häuser in allen Teilen Europas. Im Januar starb sie einen Monat vor ihrem 86. Geburtstag.

Eine Künstlerin rundum, eine Lebenskünstlerin, war Regine Röder-Ensikat, die schon am zweiten Tag des neuen Jahres, also vor einem Jahr starb – plötzlich und mitten in der Arbeit, wie ihr Mann Klaus Ensikat mitteilte. Sie war als Grafikerin (besonders als Kinderbuchillustratorin) bekannt geworden, hatte aber seit 20 Jahren gerade mit ihren Kriminalgeschichten Erfolg, der sie in den „Club der mörderischen Schwestern“ brachte. Sie leitete Kinder und Jugendliche im Kabarettspiel an, engagierte sich in vielerlei Weise ehrenamtlich und wurde 76 Jahre alt.

Der Prominenteste unter den verstorbenen Grafikern war sicherlich Jürgen Kieser. Er starb im 98. Lebensjahr dort, wo er geboren wurde, in Neu-Zittau bei Berlin. Dem Geburtstag im August, den er nicht mehr erlebte, war eine Ausstellung in Berlin gewidmet. Zeichner aus Ost und West zollten dem Vater der Comic-Mäuse Fix und Fax aus dem „Atze“-Magazin mit eigenen Grafiken Tribut. Wie andere auch, war er sein eigener Autor, und seine Knittelverse gingen zum Teil – wie bei seinem Vorbild Wilhelm Busch – in den Volksmund über: „Nach vorne geht die Flucht zumeist, wenn einen hinten etwas beißt.“

In der DDR war Andreas Prüstel (nachdem er als Gleisbauer und technischer Zeichner überwinterte, ehe er dann doch 1987 mit dem Satirepreis der DDR ausgezeichnet wurde) im Eulenspiegel ein begnadeter Collagist in der Tradition von John Heartfield. Bald nach der Einheit durfte er es nicht mehr sein. Es galten härtere Gesetze für die bruchstückhafte Verwendung von Werken anderer Künstler. Prüstel schwenkte um, und es erwies sich, dass er als Karikaturist viele geniale Ideen verwirklichen konnte, die er auch in Büchern veröffentlichte. Dem links denkenden Künstler zeigte das neue deutschland die kalte Schulter und zog ihm andere Cartoonisten vor. Er hatte es verwunden, als er im Sommer kurz vorm 68. Geburtstag starb.

Im August ging Lothar Otto mit 87 Jahren von uns. Der mit dem speziellen sächsischen Humor gesegnete Zeichner veröffentlichte schon 1961 seine erste Zeichnung im Eulenspiegel, dem er bis zum vorigen Jahr treu blieb. Auch als Kinderbuch-Illustrator und Trickfilmer trat er hervor.

Ein anderer Sachse mit großem Humor war der Karikaturist Rainer Bach, der für den Eulenspiegel, die Wochenpost und bis in die letzten Jahre für die Freie Presse arbeitete. Unter seinen Zeichnungen nahmen Elefanten und vor allem Frösche einen wichtigen Platz ein. Einen originellen Bach-Frosch im Raumanzug nahm der russische Kosmonaut Gennadi Padalka 2015 mit auf die Raumstation ISS. Bach starb am letzten Tag des alten Jahres.

Ähnlich wie dem eingangs gewürdigten „Tommi“ Tomaschewsky im Vorspann ging es einem anderen Großen in der MDR-„Abschieds“-Sendung. Eberhard Mellies wurde nur im Abspann erwähnt. Wahrscheinlich war der Tod des Schauspielers erst kurz zuvor bekannt geworden. Noch im Sommer hatte er seinen 90. Geburtstag feiern können. Er wurde, genau wie sein jüngerer Bruder Otto, im pommerschen Schlawe geboren, und der Norden blieb sein Zuhause und Sehnsuchtsort. In Schwerin lernte Mellies das Schauspielhandwerk und spielte sich dort frei – Hamlet war nur eine unter vielen erfolgreichen Rollen. Seine Ophelia war Ruth Langer mit der er eine glückliche, lange Ehe schloss. Ein Jahrzehnt spielten beide in Rostock, wo Mellies später auch als Schauspiellehrer wirkte. Der Film kam auf ihn 1960 zu, 1965 mit einer Hauptrolle in Günter Stahnkes „Der Frühling braucht Zeit“, einem Produktionsstück, das wegen seiner Brisanz schnell zurückgezogen wurde. Funktionäre, Bürgermeister, Ingenieure, Werkleiter waren Rollen, die Eberhard Mellies besonders glaubwürdig spielte, weshalb ihn der Fernsehfunk 1970 für sein neu gegründetes Ensemble verpflichtete. Zum Glück ließ sich Mellies nicht festlegen, spielte auch in historischen Stoffen („Aus der Franzosenzeit“, 1981 fürs ZDF), und Märchen („Die Geschichte von der Gänseprinzessin und ihrem treuen Pferd Falada“, 1988). In der Umbruchszeit holte ihn Nachwuchsregisseur Andreas Höntsch für eine Hauptrolle im DEFA-Film „Der Strass“ (1991), aber danach setzte Mellies vor allem seine erfolgreiche Arbeit im Synchronstudio fort. Er konnte so unterschiedliche Schauspieler wie Alexej Batalow und Bud Spencer glaubwürdig voneinander absetzen und tat dies bis vor wenigen Jahren.