23. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2020

Nachtbar nach Sonnenaufgang

von Henry-Martin Klemt

Das sind die großen Kinder, die manchmal auf die Welt geworfen werden. Die alles durchschauen und gar nichts verstehen. Die ihr Spielzeug an die Wand schmeißen und Liebe verlangen, aber sie kriegen nur ein neues Toy in die Hand gedrückt: Werd’ mal fertig, Faber!

Man kann zwanzig Jahre Vorsprung haben, und trotzdem funktioniert manches nicht im Schnelldurchlauf. Von Oscar Wilde zu Leonard Cohen fährt kein Intercity. Die Geister, die man rief, kommen wirklich und bringen noch ein paar Dämonen mit zum Spielen.

Faber geht durch den Spiegel und macht sich seinen Reim. Man weiß nicht immer, wo das Leben aufhört und die mondäne Attitüde beginnt. Oder umgekehrt. Das zu verraten, wäre Faber vermutlich viel zu intim. Seine Zerrissenheit ist echt. Seine Wut ist echt. Das erbarmungslose Zerlegen der Maskeraden in seinen Rollenliedern. Das Herumtrampeln auf der glatten Oberfläche. Einmal, einmal muss sie doch nachgeben.

Die Melodien schmiegen sich in Fabers zweitem Album „I Fucking Love My Life“ enger denn je der Dramaturgie der Texte an. Die Band, mit der er seit Jahren tourt, ist ununterbrochen bei ihm. Über einen Bogenstrich stolpert, auf einem Klavierakkord rutscht Faber in sein Album hinein, in sein Theater: „Ich Hure wollte euch doch nur gefallen.“ Die Streicher halten bis zum Ende der Scheibe durch. Für den Rest gibt es den Latinotrack und Afrobeat, ein bisschen Jazzblech und, na klar, die Gitarre.

„Besser jung und dumm als nur noch dumm“, singt Faber und wird zum Agent Provocateur seiner eigenen Unzulänglichkeit, von der er ahnt, dass er kein Monopol auf sie hat. Verpasste Heldentaten: Keinen Immobilienhai gefischt, keinen Bullen geschlagen, aber zu trinken ist noch etwas da.

Wo den Nerv der Zeit trifft, wer für gar nichts steht und einsteht, da posaunt die Notgeilheit. Die Fiedel ist stoned und schwurbelt Fragmente ganz anderer Wirklichkeiten in den Text: „Und in Dhaka brennen Fabriken nieder. / Woher kommen meine neuen Sneaker? / Wenn ich trage, was der Teufel trägt, / wird das denn auch in der Hölle genäht?“

Faber muss gar nicht lustig sein. Es genügt eine Collage aus den Sprüchen und Ratschlägen und Lebenslügen der Disziplinierten und Korrekten und aus dem Regen in Zürich und der Traurigkeit und dem Suff und der großen Fresse: Schon ist der Sarkasmus extra dry. Allerdings klingt er zuweilen auch wehleidig operettenhaft. „Gib mir einen neuen Namen. / Wie du mich willst, kannst du mich haben“ – Das reicht auch nicht immer. Eigentlich reicht es nie. Er weiß doch: die Lügen zu dick, die Wahrheit zu dünn. Und der Tango geht gar nicht richtig unter. Aber auf auch nicht.

Immer wieder gibt es geniale Zeilen in Fabers Liedern: „Dank deinem Facebook Profil weißt du, dass es dich noch gibt“, singt er in „Ihr habt meinen Segen“. Ein beinahe zärtlicher Song, und doch bleibt er der ungläubige Faber, der seinen Finger in die Wunde bohrt, die vielleicht noch gar nicht da ist, noch gar nicht schmerzt, noch gar nicht tötet. Und das alles nimmt auch wahr, wer zuhört bis zum Ende. Faber ist echt, wie die Wut im darauffolgenden: „Das Boot ist voll“. So vordergründig wie beim Aufklatschen der neuen und alten Nazis: „Besorgter Bürger, ich besorg’s dir auch gleich!“ wird der junge Schweizer Chansonnier selten.

Sex, Alkohol und Koks. Der Kater nach der Orgie. Bloß nicht hilflos sein und die Kontrolle verlieren: „Ich will nicht mal deine Liebe. / Ich will lieber deine Niere.“ Doch allmählich, von Titel zu Titel, wäscht die Fassade des Dandys sich ab, die Larve des Lebemanns, der noch gar nicht gelebt hat. Darunter kommt zum Vorschein, was zu wärmen sich vielleicht lohnt, das Verletzbare, das untrügliche Gefühl für die Verlogenheit, die weggeräumt werden muss, und die Angst vor dem, was sich dann zeigt, falls da noch etwas anderes ist. „Ich bin so froh, dass es dich gibt, so kannst du mir die Welt erklären. Ich bin so dumm, ich weiß nicht mal, wer ich bin.“ („Generation Youporn“).

Der Sound auf diesem Album bricht nicht über den Hörer herein. Aber er wirbelt, er saugt die Tanzenden auf und spuckt sie wieder aus: Bewegt euch doch selber! Und lasst einander nicht allein!

Alles klingt, wie aus einer Nachtbar nach Sonnenaufgang.

Wie aus dem Luftschutzbunker der Melancholie.

Der Verführer ist ein zu altes Kind.

Faber: I Fucking Love My Life, Vertigo Berlin, 2019, 17,99 Euro.