Am 10./11. Oktober 1987 verübte Ex-Ministerpräsident Uwe Barschel durch die Einnahme von acht Medikamenten Selbstmord. In der Nummer 13/2019 Das Blättchen vertritt Frank-Rainer Schurich die These, dass Barschel ermordet wurde: „So stellt sich uns der Fall Uwe Barschel als die größte Vertuschungsaktion in der Kriminalgeschichte nach 1945 dar. Es wurde von amtlicher Seite gelogen, verschwiegen, zurückgehalten, abgestritten.“[1]
Das ist nicht wahr. Es gibt kaum einen Selbstmord, der minuziöser untersucht und protokolliert wurde. Barschel nahm am Samstag 10.10.1987 gegen 19.15 Uhr sehr viele Schlaf- und Beruhigungstabletten ein und verstarb am Sonntag, den 11. Oktober 1987 in Genf in der Badewanne. Zuerst führte die neutrale Schweizer Kriminalpolizei die Ermittlungen. Es wurde in der Schweiz eine Obduktion vorgenommen. Die Untersuchungsrichterin Nardin stellte eindeutig einen Selbstmord fest: „Es gibt keine Spuren eines gewaltsamen Todes.“[2] Der Leichnam von Barschel wurde ein zweites Mal von den Gerichtsmedizinern Janssen und Püschel in der Hamburger Rechtsmedizin untersucht. Auch diese Rechtsmediziner kamen ohne Zweifel zu dem Obduktionsergebnis, dass Barschel sich selbst getötet hatte. Im 55-seitigen Obduktionsbericht ist die Todesursache genau beschrieben: „Eine versehentliche Überdosierung bei einem bewusstseinsklaren Menschen ist angesichts dieser Substanzmengen nicht denkbar; ebenso unwahrscheinlich ist die Möglichkeit einer unbemerkten Beibringung. Nach den vorliegenden Erkenntnissen gibt es keinen Anhalt für eine Beibringung der zum Tode führenden Substanzen unter äußerem Zwang.“[3]
Die Hamburger Gerichtsmediziner haben bei der Untersuchung des Leichnams von Barschel, die dreimal länger als gewöhnlich gedauert hat, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter von Barschels Haut untersucht. Es fanden sich keine Schusswunden oder Injektionsstellen. Das heißt, die acht Medikamente im Magen von Barschel konnten nur über die Speiseröhre in seinen Magen gelangt sein. Diese Speiseröhre wies keinerlei Verletzungen auf, eine Einbringung der Pillen mittels Schlauch war also auszuschließen. Dass kein Schlauch in seine Speiseröhre eingeführt wurde, bewies zusätzlich, dass der Schleimfilm in seiner Speiseröhre intakt war. Die Obduktion sicherte also den Befund ab, dass Barschel die Tabletten selbst geschluckt hatte. Eine Fremdbeibringung ist daher auszuschließen, Mord scheidet also aus. Autopsien werden durchgeführt, um zweifelsfrei die Todesursache zu ermitteln. Bei der Schweizer und der deutschen Obduktion war das Ergebnis eindeutig. Barschel hat die Tabletten selbst geschluckt.
Schurich meint, „dass die Staatsanwaltschaft von Schleswig-Holstein wenig zielstrebig ermittelte“. Aber Oberstaatsanwalt Wille ermittelte über mehrere Jahre mit dem Ziel, einen Mord an Barschel nachzuweisen. Er beschäftigte dabei drei Mitarbeiter. Es wurde also von der Staatsanwaltschaft nicht ergebnisoffen, sondern zielstrebig ermittelt. Allerdings wurden keine Indizien für einen Selbstmord gesammelt. Auch versuchte die Staatsanwaltschaft Lübeck nicht, einen Mord technisch nachzuweisen. Dazu hätte die Staatsanwaltschaft versuchen müssen, den tödlichen Wirkstoff Cyclobarbital in eine Flüssigkeit zu verwandeln, die in einen Magenschlauch passen könnte. Das geht technisch nicht, weil sich der Wirkstoff nicht in Wasser auflöst.[4] Ohne dass man Cyclobarbital in eine Form verwandeln kann, die durch einen Magenschlauch passt, bleibt nur die Schlussfolgerung, dass Barschel diese 20 Tabletten selbst geschluckt hat.
Schurich findet die Auffindesituation von Barschels Leiche – angezogen in der Badewanne – verdächtig: „Jeder einigermaßen gut ausgebildete Kriminalist wäre sofort davon ausgegangen, dass es sich um Tod durch fremde Hand handelt.“[5] Von 215 Todesfällen der Gerichtsmedizin Köln in der Badewanne 1980 – 1993 waren nur elf Tötungsdelikte (fünf Prozent).[6] Wenn Rechtsmediziner einen Badewannentoten untersuchen, ist es zu 95 Prozent kein Mord. Klaus Püschel ließ in Hamburg eine Dissertation über Badewannen-Tote anfertigen und auch die Bekleidungsfrage untersuchen: „Die Antwort war ganz eindeutig: Findet man in gefüllter Wanne eine bekleidete oder teilbekleidete Person, dann spricht dies eher für ein suizidales Geschehen. Ich interpretiere das so, dass Menschen mit Selbstmordabsichten offensichtlich nicht gern entblößt gefunden werden.“[7]
Dem erfolgsorientierten Barschel drohte am Montag im Untersuchungsschuss eine große Schmach, weil sein Ehrenwort zusammengebrochen wäre – und wegen der Anstiftung zu falschen eidesstattlichen Versicherungen drohten ihm strafrechtliche Konsequenzen und der Entzug der Anwaltslizenz. Barschel hatte alle Motive für einen Selbstmord. Für Mord gab es keine ausreichenden Motive. Barschel war kein Ministerpräsident mehr und von daher konnte er keine Waffengeschäfte mehr beeinflussen. Dass hinter den Waffengeschäftsvermutungen nichts außer Hörensagen-vom-Hörensagen-Gerüchte steckten, gibt das Gutachten vom Generalstaatsanwalt Rex wieder: „Wie eine rote Linie zieht sich durch die gesamten Ermittlungen in all diesen Spuren (etwa 15 an der Zahl), dass nicht ein einziger Zeuge konkret eine Waffengeschäftsverstrickung von Dr. Barschel aus eigener Anschauung bezeugt hat.“[8]
Frank-Rainer Schurich spricht in seinem Das Blättchen-Kurzartikel von „massiven Kopfverletzungen“ und massiven Verletzungen im Gesicht des Opfers.[9] Der Schweizer Gerichtsmediziner Fryc sagt im Obduktionsprotokoll dazu, dass die Kopfhaut keinerlei Verletzung aufweise.[10] Auf dem berühmten Stern-Bild mit Barschel in der Badewanne sind Barschels Gesicht und sein Kopf intakt. Das Stern-Photo liefert auch die Erklärung für das kleine Hämatom am Kopf auf der rechten Stirnseite. An dieser Stelle lehnte sein Kopf gegen den Badewannenrand (rechts aus der Perspektive von Barschel aus; links – wird in anderen Berichten genannt – aus der Perspektive eines Foto-Betrachters). Im Hamburger Obduktionsbericht wird definitiv ausgeschlossen, dass Kopfverletzungen durch Schläge von Dritten entstanden sein könnten.[11]
Schurich spricht von „Vertuschungsaktion“, aber beim Suizid von Barschel konnte gar nichts vertuscht werden, weil dieser unter den Augen der drei Stern-Redakteure geschah, die ihn seit der Landung in Genf ab 15.25 Uhr beobachteten und die sich von 22.00 bis 24.00 Uhr und morgens wieder ab 6.00 Uhr direkt vor seinem Hotelzimmer befanden. Beim Spiegel waren 21 Redakteure auf Barschels Freitod angesetzt.[12] Bis ins kleinste Detail sind seine letzten Stunden recherchiert. Schon auf Gran Canaria versuchte er, von einem Apotheker eine Überdosis an Arzneimitteln zu kaufen. Statt eines Abschiedsbriefes befand sich auf Barschels Hotelbett ein Abschieds-Buch von Sartre, dessen drei Geschichten klar als Selbstmordlektüre zu deuten sind.
Zwei Gerichtsmediziner-Teams in der Schweiz und Hamburg, die Kriminalpolizei in der Schweiz und in Deutschland, das BKA,[13] zwei Generalstaatsanwälte in Schleswig-Holstein[14] und eine Schweizer Untersuchungsrichterin kommen übereinstimmend zum gleichen Ergebnis. Barschel hat die todbringenden acht Medikamente alleine geschluckt. Eine Fremdbeibringung ist auszuschließen, weil seine Speiseröhre samt Schleimfilm vollkommen intakt war. Barschels Tod kann rein technisch kein Mord gewesen sein. Es gibt am Suizid von Barschel keinerlei Zweifel.
Birger Antholz ist Kriminologe und lebt überwiegend in Hamburg.
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[1] Schurich, Frank-Rainer: Der Fall Barschel, in: Das Blättchen, 22. Jahrgang | Nummer 13 | 24. Juni 2019, https://das-blaettchen.de/2019/06/der-fall-barschel-48742.html [31.01.2010].
[2] Seher, Dietmar: Der Fall Uwe Barschel. Ermittler zweifeln bis heute an der Selbstmordthese, in: t-online, 13.05.2019, https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_85297428/der-fall-uwe-barschel-ermittler-zweifeln-an-selbstmord-these.html [02.11.2019].
[3] HA/epd: Obduktion. Fall Uwe Barschel: Rechtsmediziner bestätigt Suizid, in: Hamburger Abendblatt, 17.02.2016, https://www.abendblatt.de/politik/article207055639/Fall-Uwe-Barschel-Rechtsmediziner-bestaetigt-Suizid.html [06.11.2019].
[4] Ohne Verfasser: „Die menschenwürdigste Art zu sterben“. Die letzten Medikamente des Uwe Barschel, in: Der Spiegel 1/1988, 04.01.1988, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13525651.html [31.01.2010].
[5] Schurich, Der Fall Barschel.
[6] Schmidt, B. / Madea, B.: Homicide in the bathtub, in: Forensic Science International, Volume 72, Issue 2, 31 March 1995, Pages 135-146, siehe https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/037907389501695F [31.01.2010].
[7] Vgl. Mittelacher, Bettina: Die letzten Rätsel um CDU-Politiker Uwe Barschel. Suizid oder Mord?, in: Hamburger Abendblatt, 30.09.17, https://www.abendblatt.de/region/article212095109/Die-letzten-Raetsel-um-den-CDU-Politiker-Uwe-Barschel.html [01.11.2019].
[8] Rex, Erhard: Der Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Dr. Uwe Barschel, am 11. Oktober 1987 in Genf. Mord oder Selbstmord?, Seite 12, https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/STA/Info_material/Infos_PDF/Barschel/doku_teil1_rex.pdf [31.01.2010].
[9] Schurich, Der Fall Barschel.
[10] Baentsch, Wolfram: Der Doppelmord an Uwe Barschel: die Fakten und Hintergründe, 3. Aufl., München, Herbig, 2007, 194 Seiten.
[11] Mittelacher, Die letzten Rätsel um CDU-Politiker Uwe Barschel.
[12] Bertram, Günter: „Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaats“, in: (Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins, /2011, http://www.richterverein.de/index.htm?/mhr/mhr114/m11408.htm [13.11.2019].
[13] BKA: EA 31 – Barschel, Wiesbaden, 19.10.1997, https://fragdenstaat.de/a/31847 [15.01.2020].
[14] Erhard, Der Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein.
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