Kurz bevor die USA 2003 den Krieg gegen den Irak vom Zaune brachen, wurden im deutschen Fernsehen junge Menschen in Bagdad präsentiert, die sich freuten, dass die USA nun endlich einen Krieg führen würden, um den üblen Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Ich weiß nicht, ob diese jungen Leute, wenn sie den Waffengang denn überlebten – sich auch über das Ergebnis gefreut haben. Angesichts unzähliger Toter, eines zerstörten Staates und eines bis heute anhaltenden Bürgerkrieges.
Und heute im Iran? US-Präsident Trump ermuntert in Farsi die dortigen Demonstranten, weiter gegen ihre Regierung zu protestieren. Nachdem er den iranischen General Soleimani hatte töten lassen, ist das ein fragwürdiger Dienst: Jeder iranische Patriot wird solchen Anbiederungsversuchen wenig Glauben schenken können. Bereits in Venezuela war es fraglich, ob Trump mit seiner offenen Parteinahme für den Oppositionsführer dessen Position eher gestärkt oder vielmehr unterminiert hat. Zumal jeder weiß, dass Trump die Farsi-Nachrichten kaum selber in sein Smartphone getippt haben wird, sondern einer seiner Knechte in den einschlägigen Diensten.
Aber was mögen die Oppositionellen im Iran wollen? Die Demonstrationen im November gegen die Mullahs und erneut nach Bekanntwerden des Abschusses des ukrainischen Passagierflugzeuges waren die größten seit Errichtung des Mullah-Regimes 1979. Dutzende Demonstranten wurden erschossen. Zunächst demonstrierten die Unterschichten, die von der Benzinpreis-Erhöhung am meisten betroffen waren, dann auch Angehörige der Mittelschichten, die zusätzlich politische Forderungen stellten.
Einen Regime-Change-Krieg der USA mit dem Irak analogen Ergebnissen will im Iran niemand. Sich von der anti-amerikanischen patriotischen Welle vereinnahmen lassen, will auch niemand aus der jungen Opposition. Deren Problem ist es, sich nicht von der geopolitischen Falle zwischen den USA und der Teheraner Regierung erdrücken zu lassen.
Zugleich fühlen sich oppositionelle iranische Protagonisten im Ausland von der antiimperialistischen Rhetorik linker Friedenspolitik eher abgestoßen. Sie wollen den US-amerikanischen Krieg nicht, sehen die europäische Politik der Zusammenarbeit mit dem Regime der Mullahs, die für Handelsbeziehungen und Kooperation eintritt, in Fragen der Menschenrechte aber schweigt, als Feigheit an.
Im Grunde haben wir es auf europäischer Seite allerdings mit dem Phänomen einer „unpolitischen Politik“ zu tun. Ähnlich jener der Politik der „friedlichen Koexistenz“ zwischen Ost und West während des Kalten Krieges. Die klammerte die Werte-Frage ebenfalls aus, um in Sachbereichen die Zusammenarbeit zu ermöglichen und zu fördern und einen vernichtenden Krieg unwahrscheinlicher zu machen.
Das kann man auch heute für den Kern einer Entschärfung des Verhältnisses zum real existierenden Iran halten, wenn man die US-amerikanische Kriegsrhetorik und Druckpolitik für falsch hält. Die junge iranische Opposition hält diese Herangehensweise jedoch für Kollaboration, Stärkung des Regimes.
Soziologisch haben wir es mit einer postmodernen, netzaffinen, akademisch gebildeten urbanen Jugend zu tun, die sich untereinander verständigt und vernetzt. Insofern stecken diese urbanen akademisch gebildeten Kreise in Deutschland, den USA, im Iran und in den Ländern des „Arabischen Frühlings“ unter einer Decke, teilen gemeinsame Werte, bei denen Menschenrechte und die eigene Selbstentfaltung ganz oben rangieren. Daraus ergeben sich für sie Hoffnungen.
Für die Außenpolitik aber Probleme. In der Maybrit-Illner-Sendung unter dem Titel: „USA gegen Iran – ein vertagter Krieg?“ am 9. Januar 2020 saß unter anderen Sigmar Gabriel, einst deutscher Außenminister, jetzt Vorsteher der „Atlantik-Brücke“, einer Drehscheibe des deutsch-US-amerikanischen Atlantismus. Er agierte jedoch weniger als Sachwalter von US-Politik, eher als deutscher Außenpolitiker. Gabriel versuchte in Ruhe zu erklären, dass es bei dem Atom-Abkommen mit dem Iran darum ging, die Kriegsgefahr im Mittleren Osten zu verringern und zu verhindern, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt. Der „Preis“ dafür war die Zusage der Abschaffung der Wirtschaftssanktionen und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Weder die Menschenrechte im Iran noch dessen Raketenwaffen noch die Lage in Syrien waren oder sind Gegenstand dieses Abkommens. Es ist deshalb politisch abwegig, dies dem Vertrag nachträglich anzuhängen, um dann zu behaupten, er habe seinen Zweck verfehlt.
Die eigentliche Gegenspielerin in der Sendung war eine Ulrike Becker. Sie wurde als Historikerin vorgestellt, die einer Einrichtung namens „Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB)“ angehört. Dies, so heißt es, sei ein 2007 gegründetes gemeinnütziges Forum, eine „Organisation für Politikberatung und politische Bildung“. Wen sie berät und wen sie bildet, ist auf der MFFB-Webseite nicht so richtig zu erkennen, ebenso wenig, woher die Finanzen kommen. Spekulationen über mögliche geheime Dienste oder ausländische Botschaften sollen hier jedoch nicht angestellt werden.
Zu lesen auf der Homepage ist: Das MFFB „wurde von Wissenschaftlern, Journalisten, Mitgliedern jüdischer Organisationen und Exil-Iranern gegründet. […] Wir treten ein für die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit im Nahen Osten. […] Das MFFB setzt sich auch für eine dauerhafte Erinnerung an die Shoah in Deutschland ein.“
Nun gibt es zum Thema Shoah-Erinnerung eine Reihe einschlägiger Organisationen und Einrichtungen in Deutschland. Da braucht es nicht eine, die recht eigentlich für Menschenrechtsförderung im Nahen Osten agiert. Eher scheint der Shoah-Bezug den Menschenrechtsaktivitäten im Iran eine höhere Weihe verpassen zu sollen.
Der Hinweis auf Exil-Iraner ist jedoch offensichtlich zentral. Allerdings ist das ein sehr weiter Begriff: Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre flohen die Linken aus dem Iran, die nach dem Abzug der Sowjetunion von den dortigen Behörden, bereits unter tätiger Mitwirkung der US-Geheimdienste, massiv verfolgt wurden. Nach dem Sturz des Ministerpräsidenten Mossadegh 1953 flohen die bürgerlich-demokratischen Kräfte vor dem Terror-Regime des Schahs, nach dessen Sturz 1979 die Anhänger des Schahs, nach der blutigen Errichtung des Mullah-Regimes flohen nach 1980/81 weitere linke und bürgerlich-demokratisch gesinnte Kräfte, die neben den Islamisten am Sturz des Schahs beteiligt gewesen waren. All diese Exil-Iraner eint der Hass auf das Islamisten-Regime in Teheran. Ansonsten ist unklar, was sie – von den immer noch existierenden Monarchisten bis zu den Kommunisten – sich für eine Zukunft vorstellen.
Vor diesem Hintergrund vertrat Ulrike Becker den Standpunkt: „Wir müssen uns mit Blick auf den Atomdeal die Frage stellen: Wie lange wollen wir noch an der Seite eines so brutalen Systems stehen?“ Und weiter: „Es wird viel zu wenig über die völkerrechtswidrigen Aktionen des Iran diskutiert. Wir versuchen, mit dem Atomabkommen jemand zum Partner zu machen, der hochgefährlich ist.“ Auch hier also ein Menschenrechts-Rigorismus, der lieber einen Krieg führen will, als den Status quo und realpolitische Kompromisse zu akzeptieren, um den Frieden zu erhalten.
Aufmerksame Beobachter der Szene im Iran machen geltend, dass dort kürzlich auch konservative, islamistische Kräfte die Erschießung von Demonstranten öffentlich verurteilt und Reformen gefordert haben.
Vom Ende des Realsozialismus wissen wir, dass zunächst eine ideologische Enttäuschung stattfand, und dann Reformer in der Staatspartei für gewaltfreie Lösungen und einen Dialog mit dem kompromissbereiten Teil der Opposition wirkten. Vielleicht ist dies auch im Iran der Königsweg, um weiteren Terror einerseits und einen Krieg mit den USA andererseits zu vermeiden.
Schlagwörter: Bernhard Romeike, Iran, USA