22. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2019

Chez Krömer

von Bettina Müller

Insgesamt vier Mal öffnete Kurt Krömer eine hermetisch abgeriegelte Verhörzelle im Studio des RBB, um dort seine Gäste verbal zu zerlegen. Dabei führte er das Prinzip der deutschen Talkshows ad absurdum. Herr Krömer sprengte die Grenzen des Normalen, weil er sich von vornherein nicht als bestochener Werbepartner ausgab, sondern weil er die Talkshow bewusst zur Satire werden ließ. Das Konzept war innovativ, seine Gäste eine ganz krude Mischung. Jürgen wer? Der aalglatte und nicht ganz koschere Motivationstrainer und einstige Knastbruder Jürgen Höller hat ganz offensichtlich Dreck am güldenen Stecken. Verzweifelt heischte er um Mitleid, er sei doch ein ganz armer verwirrter Mensch gewesen, damals, als er die ganzen Millionen unterschlug. Das kann man glauben, oder man kann es lassen. Letzteres ist angeraten. Perfekt wäre dieses menschliche Kunstprodukt gewesen, wenn es noch ein paar Tränchen die gelifteten Wangen hätte herunterkullern lassen. Genüsslich bohrte Herr Krömer in der blutenden Wunde, bis Höller windend vor Schmerz am Boden lag und um Gnade winselte.
Der nächste im Bunde war Philipp Amthor. Begeistert ritt Herr Krömer auf dessen Image als jüngster Abgeordneter der CDU herum, bot ihm neckische Eulenkekse und zuckrige Kindergetränke an, damit ihm auch zügig die Zähne ausfallen. Amthor war gut vorbereitet, begehrte auf, wollte „smarter“ sein als Herr Krömer und warf deshalb mit coolen Anglizismen nur so um sich. Doch die souveräne Spontanität seines Sparring-Partners Krömer brach ihm zum Schluss das Bein. Das Publikum mag nun mal keine Politiker, die sich verstellen. Und so malte Herr Krömer komische Gesichter, die wie Amthor aussahen, auf dessen imaginäres Gipsbein und hatte dabei sichtlich Spaß. Sogar Amthors Konfirmationsanzug sah auf einmal „destroyed“ aus.
Kevin Kühnert, der dritte im Bunde, erwarb sich viele Sympathiepunkte. Ohne Scheu erzählte Kühnert von prekären Arbeitsverhältnissen, als er einmal in einem Call-Center eines großen Spielwarenladens arbeitete, wo er mit Anrufen konfrontiert wurde, warum der „Kackel-Dackel“ denn nicht mehr „kacke(l)n“ würde, sprich: Warum hinten denn nichts mehr raus käme? Satire pur, denn die Fernsehunterhaltung mit ungezählten dubiosen Programmen macht häufig Häufchen. Man muss halt nur das Richtige füttern, dann geht es dem Kackel-Dackel gut. Und geht es dem Kackel-Dackel gut, freut sich der Mensch.
Und dann kam der naturgewaltige Handballspieler Stephan Kretzschmar vorbei, laut, redefreudig, schlagfertig. „Kretsche“ ist auch ein guter Freund von Herrn Krömer, was dem Prinzip der Sendung zunächst widersprach. Umarmung hier, Küsschen dort, Bussi-Bären, die ihren 10. Hochzeitstag mit komischem Döner und billigem Sekt zelebrierten. Viele Talkshows sind auch immer ein Stück weit Selbstbeweihräucherung, was nun ganz vorzüglich persifliert wurde. Schließlich brach Herr Krömer ganz dekadent mit der Dezenz und rülpste genüsslich, weil der Billigsekt nun seinen Tribut forderte. Besser kann man seine Verachtung für Mainstream-Talkshows nicht ausdrücken. Und das Timing erst. Chapeau, Herr Krömer!
Einige Fragen muss sich Herr Krömer jedoch gefallen lassen: Wer ist Ihr Herrenschneider? Warum haben Sie eigentlich nur Männer interviewt? Und vor allem: Wann geht es weiter mit „Chez Krömer“?