22. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2019

Amtsklage

von Bernhard Mankwald

Zurzeit stehen täglich interessante Dinge über Donald Trump in der Zeitung. Am 19.11. etwa war morgens eine glaubhafte Darstellung zu lesen, wonach dieser sich „einen Dreck um die Ukraine schert“, sondern nur für „große Dinge“ interessiert – und dies auch nur dann, wenn die seinen persönlichen Interessen nützen. Gegen Mitternacht hatten weitere Zeugen das Bild bestätigt. Ich verhängte einen internen Redaktionsschluss über mich, da eine Chronik der laufenden Ereignisse im vorliegenden Medium ohnehin unmöglich ist.
In dem Zusammenhang liest man aber auch immer wieder offensichtliche Fehlinformationen, die darum kreisen, dass der Begriff „Impeachment“ als „Amtsenthebung“ übersetzt wird. Das Wort bedeutet vielmehr „Amtsanklage“.
Dabei wäre es doch so leicht, sich zu informieren, da die Richtlinie für das Verfahren – die „Verfassung der Vereinigten Staaten“ – in einer sehr brauchbaren deutschen Übersetzung online zur Verfügung steht. Und dieses Dokument ist nicht nur ein Musterbeispiel für die Gewaltenteilung, es ist auch so klar formuliert, dass man es getrost für sich selbst sprechen lassen kann – beginnen wir also mit der Befragung …
Dürfen diese Abgeordneten das eigentlich, was sie da tun?
„Das Repräsentantenhaus […] hat das alleinige Recht, Amtsanklage zu erheben.“ – Das ist logisch, da es den Präsidenten auch wählt; jedenfalls dann, wenn die übers ganze Land verstreuten Kollegien der Wahlmänner nicht im ersten und einzigen Wahlgang eine absolute Mehrheit zustande bringen. Die Amtsanklage ist also das funktionale Äquivalent zum Misstrauensvotum im parlamentarischen System. Und der zuständige Ausschuss ermittelt gerade und bildet sich eine Meinung darüber, ob er dem Plenum einen solchen Schritt empfehlen will. Über den dann eine andere Instanz entscheidet: „Der Senat hat das alleinige Recht, über alle Amtsanklagen zu befinden. Wenn er zu diesem Zwecke zusammentritt, stehen die Senatoren unter Eid oder eidesstattlicher Verantwortlichkeit.“ Leicht dürfen sie sich die Sache also nicht machen, wenn sie eigene Risiken vermeiden wollen.
Nun steht der Vorsitz des Senats bei den üblichen Geschäften dem Vizepräsidenten zu, der in einem solchen Verfahren aber zweifellos befangen wäre. Auch das wurde bedacht: „Bei Verfahren gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten führt der Oberste Bundesrichter den Vorsitz.“ Und wie alle anderen möglichen Angeklagten ist auch der prominenteste vor Zufallsmehrheiten geschützt: „Niemand darf ohne Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder schuldig gesprochen werden.“ Die Gewaltenteilung ist hier also so weit getrieben, dass den beiden Häusern des Parlaments verschiedene Rollen zukommen: den ständig um ihre Wiederwahl besorgten Abgeordneten diejenige des Staatsanwalts, den Senatoren, die durch ihre längere Wahlperiode unabhängiger sind, die des verantwortungsvollen und weisen Gerichts. Das Verfahren kann grundsätzlich gegen alle Staatsdiener angewandt werden: „Der Präsident, der Vizepräsident und alle Zivilbeamten der Vereinigten Staaten werden ihres Amtes enthoben, wenn sie wegen Verrats, Bestechung oder anderer Verbrechen und Vergehen unter Amtsanklage gestellt und für schuldig befunden worden sind.“
Unter dem Vizepräsidenten Aaron Burr wurden tatsächlich einige Richter auf diesem Weg aus dem Amt entfernt. Heute wäre sein Einsatz gegen niedere Chargen einfach zu aufwendig. Sogar Nixons korrupter Vize Spiro Agnew ließ sich schließlich zum Rücktritt bewegen; zum Lohn wurde seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Einem amtierenden Präsidenten gegenüber dagegen ist dieses Verfahren der einzige Weg, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Wird im Erfolgsfalle der Präsident tatsächlich gelyncht, wie der aktuelle Inhaber des Amtes unkt? „In Fällen von Amtsanklagen lautet der Spruch höchstens auf Entfernung aus dem Amte und Aberkennung der Befähigung, ein Ehrenamt, eine Vertrauensstellung oder ein besoldetes Amt im Dienste der Vereinigten Staaten zu bekleiden oder auszuüben.“ Der Rest ist dann Sache der ordentlichen Gerichte. – Die Väter der Verfassung hatten also aus dem Schicksal derjenigen Mitglieder des englischen „Hauses der Gemeinen“ gelernt, die dem abgesetzten König handgreiflich demonstrierten, wie gemein sie sein konnten – und später ihrerseits sehr schlecht behandelt wurden.
Was aber wird dann aus dem Amt? „Im Falle der Amtsenthebung des Präsidenten […] geht es auf den Vizepräsidenten über.“ Und der ist genauso demokratisch oder undemokratisch gewählt wie Trump und hat von den Wahlmännern sogar noch eine Stimme mehr bekommen. Die Republikaner haben also noch ein Eisen im Feuer für den Fall, dass im Zuge des Verfahrens zu deutlich herauskommt, wer Trump eigentlich ist: ein Mensch mit einer eigenwilligen Semantik, der das Wort „Gewaltenteilung“ hinter dem ersten „t“ trennen würde.