22. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2019

Countdown in Schönefeld?

von Sarcasticus

In einer […] F-35 ist es
eines der erfreulichsten Dinge,
praktisch nicht mehr auffindbar zu sein,
bis es für eine Bedrohung
(durch den Gegner – S.)
viel zu spät ist.

Oberstleutnant David Berke,
F-35-Pilot beim US Marine Corps

Der Airbus Konzern hat seit 40 Jahren praktisch alle Kampfflugzeuge für die Bundeswehr geliefert. Aber für den anstehenden Ersatz des Kampfbombers Tornado – einen zehn Milliarden-Euro-Happen – hat Airbus insbesondere im Hinblick auf eine Einsatzmission als Kernwaffenträger keinen wirklichen Pfeil im Köcher. Als sich daher im Frühjahr 2018 Karl Müller, der damalige Inspekteur der Luftwaffe, für das US-Modell F-35 als Tornado-Nachfolger aussprach, ergab sich akuter Handlungsbedarf: Wenig später war Müller seinen Job los.
Kollateralschaden heißt das beim Militär
Für Luftwaffen-Aficionados ist das einsitzige Überschallmehrzweckkampfflugzeug F-35 Lightning II des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin – 15 Meter lang und (unbewaffnet) zwanzig Tonnen schwer – der Wunderflieger schlechthin. Die modernste Militärmaschine der Welt, so der schlichte Superlativ der WirtschaftsWoche. Für Bodenangriffs-, Luftaufklärungs- und Luftabwehrmissionen gleichermaßen geeignet sowie mit einer Kurz- und Senkrechtstartvariante für das US Marine Corps und einer weiteren mit abklappbaren Tragflächenenden, robusterem Fahrwerk sowie Fanghaken für den Einsatz von Flugzeugträgern. Und alle drei Varianten – „für den totalen Missionserfolg ausgelegt“, wie der Hersteller vollmundig verspricht.
Letzteres spielt auf die herausragendste Eigenschaft des Jets an, seine Überlebensfähigkeit in feindlicher, durch moderne und modernste gegnerische Luftabwehrsysteme abgedeckter Umgebung. Gewährleistet durch den Einsatz modernster radarschluckender und -brechender Stealth(= Tarnkappen)-Technologie beim Material und im Design des Flugzeuges. Ein unsichtbarer Tarnkappen-Flieger gewissermaßen – befähigt, „ungestraft zu kommen und zu gehen“, wie es einer der Testpiloten der Maschine euphorisch ausdrückte.
Solche Systemmerkmale haben natürlich ihren Preis. Allein der Pilotenhelm, mit dem „sich sogar Waffen mit Augenbewegungen steuern“ ließen, wie Die Welt jüngst schwärmte, wird auf knapp 740.000 Dollar taxiert – den Gegenwert von 30 VW Golf. Für die Standardvariante der F-35 waren pro Stück mal 200 Millionen US-Dollar veranschlagt. Aber da allein die US-Streitkräfte knapp 2500 Maschinen beschaffen wollen, ist derzeit von Preisen um die 90 Millionen Dollar die Rede. Trotzdem wird die F-35 das teuerste US-Rüstungsprogramm ever. Schon 2017 summierte der US-Rechnungshof GAO die Kosten für die gesamte Lebenszeit der F-35 auf über eine Billion Dollar. Inzwischen ist man schon bei knapp 1,2 Billionen – etwa zehnmal so viel wie beim Apollo-Programm, mit dem die USA zwischen 1969 bis 1972 zwölf Astronauten auf den Mond und wieder nach Hause brachten.
Außer Tel Aviv (50 Maschinen) haben sich durch die Preise unter anderem auch Großbritannien (138), Italien (90), die Niederlande (37), Australien (72), Norwegen (rund 50), Dänemark (27), Belgien (34), Südkorea (40) und Japan (107) nicht abhalten lassen, den Flieger zu ordern. (Die Türkei wollte 100 Maschinen, ist in diesem Jahr jedoch aus dem Programm geflogen, weil sie unbotmäßigerweise russische Luftabwehrraketensysteme vom Typ S-400 erworben hat.)
Dabei hatte die F-35 noch vor wenigen Jahren durchaus auch grottige Presse. So war vom skandalösen Wunderjäger die Rede und von einer ganzen Liste gravierender Mängel: Der Betrieb des Nachbrenners beschädigte das Flugzeug, das Treibstoff-Ablass-System für Notfälle konnte gar die ganze Maschine abfackeln und die Durchhaltefähigkeit der konstruktiven Struktur der F-35 galt für die vorgesehene Lebensdauer des Fliegers als nicht ausreichend. Der (inzwischen verstorbene) konservative US-Senator McCain nannte das Rüstungsprojekt seinerzeit „beides – […] Skandal und […] Tragödie“ und kritisierte, dass das Vorhaben „nach zehn Jahren und der Ausgabe von 56 Milliarden Dollar Steuergeldern mit noch nicht einmal 20 Test- und operationellen Flugzeugen nur wenig zu bieten“ habe. Dem Vernehmen nach ist das Problem der relativ geringen Reichweite der F-35 wohl auch grundsätzlich nicht zu lösen – soll ein Einsatzradius von 1000 Kilometern überschritten werden, müssen Zusatztanks mitgeführt werden, die die Waffenlast merklich verringern, oder es muss in der Luft nachgetankt werden.
Der erste Kampfeinsatz der F-35 fand übrigens im Mai 2018 statt – in Gestalt israelischer Militärschläge gegen Ziele im syrischen Bürgerkrieg. Im September 2018 folgten Angriffe von US-Maschinen gegen die Taliban in Afghanistan.
Jüngster Kaufanwärter für die F-35 ist Polen.
Das soll aber längst noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Hersteller Lockheed Martin ist rund um den Globus auf der Jagd nach weiteren Abnehmern. Dazu gehört zielgerichtete internationale Promotion. Im Frühjahr vergangenen Jahres, als die F-35 noch im Gespräch als Tornado-Nachfolger war, wollte der Hersteller dafür die ILA in Berlin nutzen und entsandte zwei Maschinen nach Schönefeld. Ihre Überführung von der Luke Airforce Base, Arizona, war der bis dato längste Nonstopp-Flug der Jets und dauerte über elf Stunden.
Das hätte man vielleicht besser unterlassen sollen.
Gemessen an Lockheed Martin mit knapp 54 Milliarden Dollar Umsatz (2018) ist die Hensoldt Holding GmbH, ein multinationales Rüstungsunternehmen mit Sitz in Taufkirchen bei München, das erst 2017 gegründet wurde, eine Quantité négligeable. Aktuell lediglich eine Milliarde Euro Jahresumsatz. Trotzdem sollte man nicht von einem Zwerg reden, um den Größenunterschied zu markieren, sondern vielleicht eher von einem David.
Auf der ILA 2018 präsentierte Hensoldt ein Passivradar mit der Bezeichnung TwInvis. Rein äußerlich nicht vielmehr als eine auf einen Geländewagen montierte Antenne.
Zur Erinnerung: Herkömmliche Luftabwehrsysteme arbeiten mit aktivem Radar. Strahlen werden ausgesandt, um auf gegnerische Flugkörper zu treffen und von diesen reflektiert zu werden. Der Empfang dieser Rücksignale liefert die notwendigen Himmelskoordinaten für Abfangaktionen durch Raketen oder Jagdflugzeuge. Die Tarnkappenfähigkeit der F-35 und vergleichbarer Flugkörper beruht demgegenüber darauf, dass ihre Oberfläche aus Materialen besteht, die Radarstrahlen nicht reflektiert, sondern absorbiert, und dass ihre äußere Formgebung so designed ist, dass dieser Effekt noch verstärkt wird.
Damit bildet ein Stealth-Flugkörper, der ja materiell weiter vorhanden ist, in der ubiquitären, aus unterschiedlichsten Quellen sich speisende Suppe unsichtbarer elektromagnetischer Signale (von Mobilfunkstationen, Rundfunk- und Fernsehsendern et cetera), von der in unseren Breiten der gesamte Luftraum durchwabert wird, gleichwohl einen quasi blinden Fleck oder besser ein (sich überdies fortbewegendes) Loch. Das vermag aktives Radar nicht zu „sehen“, passives jedoch sehr wohl sichtbar zu machen. Dazu Hensoldt: Sein Aggregat arbeite „als reiner Empfänger und ortet Flugzeuge mittels Auswertung der am Ziel reflektierten Signale von bereits vorhandenen Fremd-Sendern“. Eine entsprechende Software ermittele dann, um welche Art von Flugkörper es sich handele. Inzwischen gelinge es, „in weniger als 1,5 Sekunden […] große Flugzeuge bis auf 250 Kilometer Entfernung aufspüren“.
By the way: Wenn man sich daran erinnert, mit welcher hohen Effizienz Israel schon vor Jahrzehnten syrische Luftabwehrstellungen am Boden mit Raketen bekämpft hat, die sich entlang der Impulse von deren Aufklärungsradars quasi selbst ins Ziel steuerten, dann wird eine weitere Besonderheit des Passivradars evident – da es keine Signale aussendet, die zu seiner Bekämpfung nutzbar wären, verfügt es praktisch über eine tatsächliche Tarnkappe.
Auf der ILA 2018, so unter der Überschrift „No more stealthy?“ („Nicht länger geheim?“) ein Bericht auf der Website C4ISR am 29. September 2019, führte Hensoldt sein System erfolgreich vor – indem „die Spur eines Eurofighters gezeigt wurde, der eine donnernde Flugshow“ vorführte. Das eigentliche Objekt der Begierde aber, die beiden F-35, blieben am Boden. Sie hätten, so die offiziöse Version, „kein genehmigtes Luftdemonstrationsprogramm […], das den Luftraumbeschränkungen der Berliner Ausstellung entsprach“. Gerüchte allerdings besagten: Der eigentliche Grund war das Hensoldt-Radar.
Dessen Vertreter wussten die Chance trotzdem zu nutzen. Sie richteten sich – unter Vermeidung öffentlicher Aufmerksamkeit – auf dem Parkplatz eines Ponyhofs in Selchow nahe Schönefeld ein und warteten ab, bis sich die beiden F-35 2018 auf den Heimflug machten. Dann schalteten sie ihre Apparatur ein und – verfolgten den Flug der Jets über eine Distanz von immerhin 150 Kilometern.
Lockheed Martins Versuch, den Vorgang abzuwiegeln, fiel ziemlich mau aus: Um die F-35 aus Sicherheitsgründen für den Tower in Schönefeld sichtbar zu halten, wären die Maschinen mit speziellen Reflektoren bestückt worden.
Die hätten bei der Aufklärung der Maschinen keine Rolle gespielt, konterte Hensoldt.
Wem soll man glauben?
Hätte es, um die F-35 aus Sicherheitsgründen sichtbar zu halten, nicht genügt, deren Transponder zu aktivieren?
Die Technologie des Passivradars gilt zwar noch nicht als präzise genug, um auf ihrer Basis Abfangraketen ins Ziel zu steuern, aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
Ein Trost ist Stealth-Adepten allerdings bis auf Weiteres nicht zu nehmen: Um entsprechende Flugkörper mittels Passivradar aufzuklären, bedarf es immer der beschriebenen elektromagnetischen Wellensuppe im Luftraum. Wo die fehlt – etwa über weiträumigen Wüstengebieten wie der Sahara oder der Kalahari – da bleibt Tarnkappe natürlich Tarnkappe.