von Edgar Benkwitz
Am 22. Juli hatte Indien seinen großen Tag. Das ganze Land verfolgte den erfolgreichen Start der Mondrakete und hofft nun, dass ihr weiterer Flug günstig verlaufen wird. Glückwünsche aus aller Welt liefen ein, auch von der US-Raumfahrtbehörde NASA. Sie ist an der Mission besonders interessiert, da das indische Mondfahrzeug in der Nähe des Mond-Südpols seine Forschungsarbeit aufnehmen soll. Hier werden voraussichtlich 2021 amerikanische Astronauten bei ihrer nächsten Reise zum Mond landen.
Am gleichen Tag, an dem indischen Wissenschaftlern und Politikern vor Stolz fast die Brust platzte, äußerte sich Präsident Trump in Anwesenheit des pakistanischen Premierministers in Washington zu Südasien. Dabei ließ er in seiner gewohnten prahlerischen und menschenverachtenden Art Sätze fallen, die in Afghanistan und Indien nicht nur Verwunderung, sondern auch ein gerüttelt Maß an Erschrecken hervorriefen.
Bekanntlich verfolgt der US-Präsident beharrlich einen frühestmöglichen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Doch dafür ist eine Vereinbarung mit den Taliban notwendig. Wiederholte Treffen von US-Beauftragten und der Taliban-Führung haben diese bisher nicht zustande gebracht. Die Taliban beherrschen die Hälfte des Landes und unternehmen immer wieder bewaffnete Aktionen gegen die Regierung und das ausländische Militär. Und ihr Ziel ist klar, sie wollen wieder an die Macht gelangen. Die gegenwärtige afghanische Regierung soll dann keine Rolle mehr spielen. Die USA lavieren in dieser Frage, das zeigen ihre bisher geführten Gespräche. Oberste Priorität hat für Trump ein schneller Abzug der US-Truppen. Alles andere ist untergeordnet, jede Hilfe und Unterstützung dafür willkommen. Das passt in die langfristige Strategie der pakistanischen Führung, deren Trumpfkarte – die enge Verbindung zu den afghanischen Taliban – jetzt ausgespielt werden soll. Und der Zeitpunkt ist günstig: In den USA hat faktisch der Vorwahlkampf für die nächsten Präsidentschaftswahlen begonnen, und das von Trump abgegebene Versprechen nach zügigem Rückzug der Truppen, kommt nicht voran.
Nun hat sich Donald Trump den pakistanischen Premierminister Imran Khan – in seinem Land „Taliban-Khan“ genannt – ins Boot geholt. Nach den Gesprächen mit ihm in Washington war der US-Präsident voll des Lobes und ließ Sätze fallen wie „Pakistan wird uns bei dem Rückzug helfen“ sowie „Pakistan hilft uns im Moment enorm“. Konkretere Angaben gab es nicht. Aber auf der Tagesordnung steht, die Taliban zu bewegen, ihre Kampfhandlungen gegen ausländische Truppen einzustellen und irgendeiner Form einer „Zusammenarbeit“ mit der afghanischen Regierung zuzustimmen. Das versprach der pakistanische Premier zu bewerkstelligen. „Pakistan wird die Taliban drängen, mit der afghanischen Regierung zu sprechen und damit zu einer Vereinbarung zu kommen“, so Imran Khan.
Mit dem von Trump verkündeten Herangehen wird eine Kehrtwende in den Beziehungen zu Pakistan eingeleitet. Noch im Vorjahr twitterte Trump: „Die USA haben in den letzten 15 Jahren Pakistan mehr als 33 Milliarden Dollar als Hilfeleistung gegeben, und sie haben uns nichts weiter gegeben als Lügen & Betrug, haben unsere Führer als Dummköpfe betrachtet. Den Terroristen, die wir mit wenig Erfolg in Afghanistan gejagt haben, haben sie Unterschlupf gewährt. Nicht länger!“ Während jahrelang Pakistan als das Übel angesehen wurde, das eine Befriedung der Lage in Südasien nicht zuließ, das zudem Usama bin Laden Unterschlupf gewährte, muss nun das leidgeprüfte Afghanistan als Sündenbock herhalten. „Wenn ich den Krieg in Afghanistan gewinnen wollte, dann habe ich dazu Pläne. Afghanistan würde dann von der Erdoberfläche getilgt werden. Es würde verschwinden. Es wäre in zehn Tagen vorbei – doch ich möchte diesen Weg nicht gehen“, erklärte er auf der Pressekonferenz den erstaunten Journalisten. Eine ähnliche, an Wahn grenzende Rhetorik kennt die Weltöffentlichkeit bereits von seinem Herangehen gegenüber Nordkorea und dem Iran. In Afghanistan sind jedoch die USA, ihre Politik und militärischen Aktionen maßgeblich für den gegenwärtigen Zustand mit verantwortlich.
Die Nachrichten aus Washington führten in Afghanistan zu einem Aufschrei. Insbesondere das Spiel mit einem Genozid beschäftigt die ohnehin traumatisierte Öffentlichkeit. Präsident Ghani verlangte von den USA Aufklärung über die Bemerkungen Donald Trumps zu Afghanistan, einschließlich seiner Behauptung, „dass er leicht den Krieg gewinnen kann, aber nicht wünsche 10 Millionen Menschen zu töten“. In einer Erklärung des Präsidialamtes heißt es: „Die afghanische Nation hat nicht und wird niemals ausländischen Mächten erlauben, ihr Schicksal zu bestimmen […] Die Regierung unterstreicht, dass fremde Staatsoberhäupter in Abwesenheit der afghanischen Führung nicht über das Schicksal Afghanistans bestimmen können.“ Klare Worte, die aber bei dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis wenig Aussichten auf Realisierung haben.
Etwas anders dürfte es allerdings zwischen den USA und Indien ausgehen. Auch hier ließ sich Donald Trump zu Bemerkungen hinreißen, die die indischen Politiker empörten. Er behauptete, dass während des G20-Gipfels in Osaka der indische Premierminister Modi ihn gebeten habe, im Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan zu vermitteln. „Ich war mit Premier Modi vor zwei Wochen zusammen […] und er fragte, ob ich ein Vermittler sein möchte. Als ich ihn fragte wo, sagte er Kaschmir. Ich sagte ihm, wenn ich vermitteln soll, dann werde ich helfen.“ – Das ist der Wortlaut seiner Äußerungen, auf die die indische Regierung sofort und ungewöhnlich stark reagierte. Der Außenminister persönlich erklärte, dass Premier Modi im Gespräch mit Präsident Trump niemals um eine Vermittlerrolle gebeten habe: „Kaschmir wurde zwischen den beiden Politikern überhaupt nicht erörtert.“
Und in der Tat schließt Indien seit Bestehen des Kaschmirkonflikts jegliche Vermittlerrolle aus. Das ist Staatsräson, ein Abweichen davon undenkbar. Das viel stärkere und sich historisch im Recht fühlende Indien will eine bilaterale Lösung mit Pakistan. Dieses hingegen setzt seit jeher auf eine Beteiligung dritter Staaten oder der UNO. Die USA und viele Länder dieser Welt unterstützen das indische Herangehen. Und nun die davon völlig abweichenden Äußerungen eines Donald Trump.
Auch die US-Administration erkannte, dass Trump plump in eine Falle der Pakistanis getappt war. So gab es sofort den Versuch einer Schadensbegrenzung. Ohne den Präsidenten offen zu desavouieren, hieß es offiziell in einer verschroben Erklärung: „Da Kaschmir eine bilaterale Frage für Gespräche beider Seiten ist, begrüßt die Trump-Administration solche Gespräche, und die USA stehen bereit zu helfen.“ Fakt ist allerdings, dass es seit Jahren zwischen beiden Seiten keine Gespräche gibt. Indien verlangt von Pakistan kategorisch, dass es als Vorbedingung seine Unterstützung für terroristische Aktivitäten aufgibt und wirksame Schritte gegen den grenzüberschreitenden Terrorismus unternimmt. Gerade der indische Premierminister Narendra Modi hat diesen Kurs verschärft und die Beziehungen zu Pakistan auf Eis gelegt.
Indien wird die Affäre klein halten, es ist jedoch aufgeschreckt. Es muss zusehen, wie die Rolle seines Erzrivalen Pakistan enorm aufgewertet wird, pakistanische Positionen von den USA übernommen werden. Auch in Afghanistan schwimmen Indien die Felle davon. Präsident Ghani, mit seiner Regierung Indien freundlich gesonnen, wird an den Rand gedrückt. Und die Taliban, seit jeher gegenüber Indien militant eingestellt, werden unter Umständen in Afghanistan bald das Sagen haben. Die indische Außenpolitik steht vor einem Dilemma. Sie hat in den letzten Jahren in vielen Bereichen sehr stark auf die USA gesetzt; und nun die Kehrtwende eines Donald Trump in für Indien wichtigen Fragen seiner Sicherheit. Indien ist gewarnt, ist sich jedoch seines enormen geostrategischen Wertes für die USA bewusst.
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