von Arndt Peltner, Oakland
Es passierte in einem Walmart und auf einer Kneipenmeile. Die Anschläge vom vergangenen Wochenende schockten die USA, denn erneut wurde deutlich, dass es überall zu tödlichen Schüssen durch einen Amokläufer kommen kann. Seit 23 Jahren lebe ich nun in diesem Land und habe seitdem über Dutzende solcher Massenschießereien berichtet. Tödliche Schüsse in High Schools, an einer Grundschule, einer Universität, in einem Kino, einem Nachtclub, in einer Kirche, einer Synagoge, auf einem Musikkonzert, am Arbeitsplatz. Nirgendwo ist man sicher, die Frage ist nicht, ob es wieder passiert, vielmehr geht es hier nur noch darum, wann und vor allem wo es wieder passieren wird. Allein in diesem Jahr kam es schon zu 297 Massenschießereien, mit drei oder mehr Opfern.
In den USA hat man gelernt mit der Waffengewalt zu leben. Schon in Grundschulen „trainieren“ die Kinder, wie sie sich im Falle eines Amokläufers auf dem Schulgelände verhalten. Eine mir bekannte Lehrerin erzählte, wenn über die Lautsprecher durchgegeben werde, „Mister X“ sei in der Schule, bedeute das der Notfall sei eingetreten. Türen würden versperrt, Vorhänge zugezogen, die Kinder müssten sich flach auf den Boden legen, still sein, abwarten. Jedes Schulkind in den USA hat dieses „Training“ durchlaufen. Mehrmals. In einer High School in Berkeley lernen die Kinder sogar, was sie als letztes Mittel gegen einen Attentäter tun sollten. Ihre Schulbücher gezielt als Wurfgeschosse einsetzen.
Eltern reden in diesen Tagen erneut mit ihren Kindern, wie sie sich verhalten sollten, wenn ein Todesschütze in der Schule auftaucht. Doch eine Sicherheit gibt es nirgends, das zeigten die Ereignisse in El Paso und Dayton. Es kann überall passieren, selbst im Supermarkt um die Ecke. Ich selbst ertappe mich dabei, wenn ich auf Veranstaltungen bin, an denen es keine großen Sicherheitskontrollen gibt, dass ich mich umblicke, aufmerksamer bin. Zuletzt bei der Abschlussfeier der High School meines Neffen in Ojai, einer friedlichen Kleinstadt in Südkalifornien, ein „ideales“ Ziel für einen Amokläufer, dachte ich mir.
Doch es sind nicht nur Massenschießereien, die in den USA zum Problem geworden sind. In Oakland wurden seitdem ich 1999 hierher zog etwa 1800 Menschen ermordet. Jedes Jahr kommt es zu rund 500 Schießereien. Die Gewalt konzentriert sich meist auf zwei Stadtteile, die man einfach meidet, wenn man dort nichts zu tun hat. Als ich vor einigen Jahren Freunde zum Flughafen brachte und von dort zurückfuhr, schnitt mich ein PKW mit zwei jungen Männern darin. Ich hupte, schrie ein paar Ausdrücke. An der nächsten Ampel standen wir nebeneinander, ich blickte rüber, machte eine Geste. Die Antwort kam prompt, einer der beiden zeigte mir eine Pistole. Das brachte mich schnell zum Schweigen, die Ampel schaltete auf Grün, die beiden rasten lachend davon und ich hatte meine Lektion gelernt.
In den USA, in meiner Wahlheimatstadt Oakland ist es manchmal besser die Ruhe zu bewahren. Denn hier kann eine verbale Auseinandersetzung leicht tödlich enden. Amerika hat nicht nur ein Problem mit der Früherkennung von Amokläufern, wie es Präsident Trump formulierte. Die USA sind ein schwer bewaffnetes Land, in dem tödliche Schüsse zur Tagesordnung gehören. Jedes Jahr werden nahezu 70.000 Menschen Opfer von Schusswaffen. Die Haupttodesursache bei Afro-Amerikanern in der Altersgruppe der 15- bis 34-Jährigen ist Tod durch eine Schusswaffe. Eigentlich müsste der nationale Notstand ausgerufen werden. Doch die Waffenlobby der „National Rifle Association“ verhindert das. Es gibt in den USA noch nicht einmal eine klare Definition darüber, was eine Massenschießerei ist, selbst das verhinderte die NRA. Die Lehren aus den Amokläufen in El Paso und Dayton sind daher leider die gleichen, wie nach Columbine, Newton, Parkland und Las Vegas. Es wird sich nichts ändern, es wird wieder passieren.
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