von Wolfgang Brauer
Wenn die alten Römer versuchten, die Unmöglichkeit der Lösung eines Problems in Worte zu fassen, sagten sie „Facilius sit Nili caput invenire“ („Leichter mag es sein, die Quellen des Nils zu finden“). In seinem 1863 erschienenen Erstling „Fünf Wochen im Ballon“ lässt Jules Verne seinen Helden Dr. Samuel Fergusson vom Ballon aus die Nilquellen entdecken. Verne verweist in seinem Roman immer wieder auf den englischen Entdecker John Hanning Speke, der am 28. Juli 1862 – zeitgleich sitzt Jules Verne über seinem Manuskript! – am Ausfluss des Weißen Nils aus dem Victoriasee steht und meint, mit den Ripon Falls die Quelle des Stromes gefunden zu haben. Heute ist die Stelle nicht mehr auffindbar. Ein 1954 erbauter Staudamm ließ sie in den Fluten des Sees versinken.
Spekes Reisebericht erscheint bereits 1863. Der Wert seiner Entdeckung wird aber sofort angezweifelt – nicht zuletzt von Richard Burton. Die beiden stehen 1858 als erste Europäer am Ufer des Tanganjikasees, den Burton wiederum für den Ursprungssee des Nils hält. John Speke erreicht im selben Jahr – Burton ist durch die Malaria erst einmal aus dem Rennen genommen – das Südufer des Victoriasees und erklärt diesen zum Nil-Quellsee. Burton ist beleidigt, hält an der Tanganjikasee-These fest und feindet in der Folge Speke heftig an. Der Tanganjikasee entwässert allerdings in den Kongo.
1860 bricht John Speke mit seinem Begleiter James Augustus Grant erneut nach Afrika auf, erreicht im November 1861von Sansibar aus nach einer beschwerlichen und gefährlichen Reise quer durch das heutige Tansania– die Region ist seinerzeit von zahlreichen Kriegen erschüttert – das zentralafrikanische Königreich Karagwe am Westufer des Victoriasees. Hier setzt die jetzt in der Edition Erdmann erschienene vorzügliche Neuübersetzung von Spekes Reisebericht durch Niels-Arne Münch ein. Münch konzentriert sich auf die Kapitel, die Spekes Aufenthalte in den Königreichen Karagwe, Buganda und Bunyoro und die schon erwähnte „Nilquellen-Entdeckung“ beschreiben. Es sind weniger die geografischen Befunde, die das Buch lesenswert machen. Es sind die Beschreibungen der Sitten und Gebräuche, der politischen Zustände und gesellschaftlichen Strukturen dieser seinerzeit mächtigen zentralafrikanischen Königreiche, die den Reiz dieses Buches ausmachen. Natürlich muss man beim Lesen – Münch weist in einer profunden Einleitung darauf hin – beachten, dass es sich mitnichten um „Entdeckungsreisen“ handelt. Diese Gegenden sind seit Jahrhunderten besiedelt, staatlich strukturiert und infrastrukturell „erschlossen“, nur eben nicht auf europäische Weise. Speke weiß, wohin er will – und er ringt mit den jeweiligen Herrschern um die Durchreisegenehmigungen. Wochenlang hängt er so am Hofes des Königs von Buganda, Mutesa I., fest. Mutesa wird in seiner Darstellung zum sadistischen Parvenü, der sein Vergnügen am Töten von Rindern, fliegenden Vögeln und Ehefrauen findet. Die eingeschränkte Sichtweise des Kolonialoffiziers Speke ist überdeutlich. Mutesa I. ist eine durchaus ambivalente Persönlichkeit. Immerhin gelingt es ihm zu seinen Lebzeiten – er stirbt 1884 –, Buganda vor dem kolonialen Zugriff der Briten zu bewahren. Den Entdeckern folgten in der Regel die Missionare und dann in kurzem zeitlichen Abstand die Kolonialtruppen.
Speke denkt diese Perspektiven bereits mit. Am 28. Juli 1862 vermerkt er: „Die Expedition hatte ihre Aufgabe nun erfüllt. Ich sah, dass der alte Vater Nil ohne Zweifel aus dem Victoria Nyanza entspringt.“ Zwei Tage später: „Was für ein Platz, dachte ich bei mir, wäre dies für Missionare! Nie müssten sie den Hunger fürchten, so fruchtbar ist das Land …“
Die Könige Afrikas begegneten den europäischen Erkundern ihrer Länder mit begründeter Skepsis.
John Hanning Speke: Die Entdeckung der Nilquellen. Am Victoriasee 1861/62, Übersetzung Niels-Arne Münch, Edition Erdmann in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2019, 368 Seiten, 24,00 Euro.
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