von Bettina Müller
Es ist doch wirklich nicht einzusehen. Warum sollte ein Einbrecher mit einem Dietrich in der Hand und einem Messer zwischen den Zähnen grimmig durch die Nacht schleichen und dann das erbeutete Geld in Kaschemmen versaufen? Das Metier kann man doch durchaus stilvoller und abenteuerlicher betreiben. So dachte es sich der am 5. März 1900 in Jeßnitz im heutigen Sachsen-Anhalt geborene Fritz Wald. Seine Zauberworte für einen gepflegten Einbruch hießen: Lackschuhe, Smoking und Zylinder. In diesem stilvollen Outfit kletterte er waghalsig an Gebäuden entlang, hangelte sich an Bäumen, Markisen, Weinranken und anderem mehr hoch, und ging so als berüchtigter Fassadenkletterer in die kriminalistischen Annalen der frühen Weimarer Republik ein.
Seit 1919 häuften sich abenteuerlustige Fassadenkletterer an deutschen Hauswänden, der „Trend“ hielt bis weit in die 1920er Jahre an.
Wie viele andere Verbrecher wird Wald früh Waise und landet in einer staatlichen Fürsorgeanstalt. Auf Wunsch seines Vormundes muss er Bäcker werden, obwohl er doch so gerne Kaufmann wäre. Wald backt also erst einmal widerwillig kleine Brötchen, merkt dann aber schnell, dass er damit sein erträumtes Leben in Saus und Braus nicht finanzieren kann. Hoffnungsvoll geht er nach Berlin, wird aber bei einem Einbruch erwischt und sitzt bis 1921 erst einmal im Knast. Nach seiner Entlassung schlägt er sich als Eisverkäufer, Schieber und Kellner in einem zwielichtigen Spielclub durch.
Schöner Schein blendet, vielleicht kann man dadurch reich werden, denkt er sich und richtet sich ein kuscheliges Ganovennest in Berlin-Neukölln ein. Am 17. April 1921 begeht er seinen allerersten Raubzug in Charlottenburg und erweitert dann seinen Radius auf Dresden, Hamburg und München, stets gut getarnt als „Juwelenhändler Borreau“ oder „Baron von Waldheim“. Als perfekt gekleideter „Gentleman“ besucht er die 5-Uhr-Tees der „High Society“, blendet mit gutem Aussehen und perfekten Manieren, und horcht dabei geschickt seine potentiellen Opfer aus. In Dresden steigt er zum Beispiel bei der Freifrau von Kaskel ein und entwendet aus deren Palais den gesamten Familienschmuck. Schon bald wird er als „Gentleman-Einbrecher“, wie ihn die Presse tauft, zur romantischen Legende, denn Gewalt wendet er niemals an. Dabei stört er sich auch herzlich wenig daran, dass die Opfer manchmal im Haus sind und selig schlummern, wenn er durch das Fenster einsteigt. Im Notfall kann er sie bei Bedarf immer noch einschließen, was zu seinem „Markenzeichen“ wird.
„Die Reichen brauchen nicht so viel“, lautet Walds Credo, das er auch vor Gericht und ohne Reue vertrat: „Da mir bekannt war, dass der Besitzer der Villa sehr reich ist, und ich den Standpunkt vertrete, dass niemand durch Hände Arbeit sehr reich werden kann, so hielt ich meinen Raub für gerechtfertigt, denn ich hatte ja auch Arbeit dafür zu leisten.“ Überliefert ist ein aufschlussreiches Tondokument mit seinem „Geständnis“ auf einer Schellack-Platte, die im Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität aufbewahrt wird.
1925 wird Wald schließlich bei einem Einbruch in eine Münchner Villa auf frischer Tat ertappt, als ein aufmerksamer Pförtner verdächtigen Lärm hört und das Überfallkommando ruft. Im Dezember des Jahres wird ihm schließlich vor dem Münchner Schwurgericht der Prozess gemacht, während sich Walds drei „Bräute“ in Berlin kollektiv die Augen ausheulen, weil ihr abenteuerlustiger Ernährer erst einmal perdu ist. Im September 1926 wird Wald dann sogar der „Star“ der Berliner Polizeiausstellung, die dem „Gentleman-Fassadenkletterer“, wie er in zeitgenössischen Zeitungsmeldungen genannt wurde, eine eigene Sonderschau widmet und dabei Juwelen und Schmuck im Wert von 500.000 Reichsmark zeigt, deren Besitzer ermittelt werden sollen, darunter auch einen großen Smaragd im Wert von 25.000 Reichsmark.
Insgesamt gehen 55 Einbrüche mit einer Gesamtbeute im Wert von zwei Millionen Reichsmark auf das Konto dieses originellen Verbrechers mit Hang zum Philosophen. Doch seine Hehler sind noch gerissener, Walds gesamter Erlös beträgt daher „nur“ 42.000 Reichsmark. Eher eine karge Beute.
Am 21. September 1927 wird Fritz Wald in Berlin zu insgesamt zwölf Jahren Zuchthaus und drei Jahren „Ehrverlust“ verurteilt, frühere Gerichtsurteile aus München und Dresden sind darin mit eingeschlossen. Er verschwindet somit naturgemäß vom Radar der Öffentlichkeit und kommt erst 1944 wieder zum Vorschein, als er am 15. Juli seine vermutlich völlig ahnungslose Verlobte ehelicht, die ihn vielleicht für einen Bäcker hält.
Ob Wald nun tatsächlich reumütig an einen Backofen zurückgekehrt ist, ist nicht überliefert. Am 11. Februar 1974 ist der ehemalige „Gentleman-Einbrecher“ mit Hang zum Philosophen in Berlin-Friedrichshain gestorben.
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