von Reinhard Wengierek
Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: diesmal ein Star, ein Spatz, ein Engel …
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Geschmeidig wie eine Katze nimmt er das Treppchen von der ersten Reihe im Parkett auf die Burgtheater-Bühne. Dort steht er dann, scheu, schlank, rank und im dunklen Anzug mit schwarzem T-Shirt, ernstem Blick und ziemlich blass: der Schauspieler Jens Harzer. Ganz offiziell gehört er jetzt zu den „bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstlern der Gegenwart“, was er für „geradezu absurd“ hält. Aber so steht es in der Satzung für die Vergabe des „Iffland-Rings“, einer der bedeutendsten Auszeichnungen in der deutschsprachigen Theaterwelt.
Nun also ist nach Albert Bassermann, Werner Krauß, Josef Meinrad und Bruno Ganz der so in sich Gekehrte mit der faszinierenden, jeden Laut austarierenden Stimme der Herr des sagenhaften Rings auf Lebenszeit – durch testamentarische Verfügung von Bruno Ganz, so ist die Regel. Nach der Übergabe durch den österreichischen Bundesminister für Kultur wurde der 47jährige vom Publikum hingebungsvoll gefeiert im Wiener Burgtheater, das an jenem himmelblau sonnigen Sonntagvormittag nach Pfingsten bis unters Dach gefüllt war.
Zur Eröffnung dieses denkwürdigen, weithin strahlenden Hochamtes der darstellenden Kunst feierte Burg-Direktorin Karin Bergmann den Ring als empathische Auszeichnung eines großen Künstlers durch einen anderen großen Künstler. Sie sei keine Goldmedaille. Sie komme still und vom Herzen als völlig subjektives, von jeglicher Beeinflussung freies, weil im Geheimen fixiertes Vermächtnis.
Übrigens, die Ring-Feier ist zugleich Karin Bergmanns letzte öffentliche Amtshandlung als Burg-Herrin. Aus dem Ruhrpott stammend kam sie 1986 mit Claus Peymann ins Direktorium, war Vize-Chefin unter Klaus Bachler und wurde, bereits pensioniert, 2011 zurückgeholt als Chefin, um die desaströsen geschäftlichen Zustände der Intendanz Matthias Hartmanns aufzulösen. Ihre Berserker-Arbeit an diesem weltweit einzigartig gigantischen Betrieb war erstaunlich erfolgreich – gerade auch in künstlerischer, kulturpolitischer Hinsicht. Karin Bergmann ist durch profunde Breitband-Fachkenntnis, Sensibilität und persönliche Integrität ein seltenes Kunststück gelungen. Es steht beispielhaft da in der nicht eben unkomplizierten Theaterwelt. Besonderer Beifall auch dafür bei dieser Gelegenheit zum Abschied.
Erstaunlicherweise traten nur zwei hohe Herren der Szene – der Dichter Peter Handke, der Regisseur Johan Simons – an für jeweils knappe, freilich bewegende Worte der Bewunderung für den seit einem Jahrzehnt am Thalia-Theater Hamburg engagierten Preisträger und seine ruhmreiche Verwandlungskunst, die einhergehe mit auratischer Unverwechselbarkeit, so Simons; gegenwärtig Intendant in Bochum. In Harzer sei das Kind „gespeichert“, also immerzu lebendig, sagte er – insgeheim verweisend auf Max Reinhardt.
Und Handke, extra eingeflogen aus Paris, beschwor die Dreieinigkeit von Gefühl, Verstand, also Menschenerkenntnis im Moment des Spiels, sowie das Schwingen eines Geheimnisses als wesentlich für Schauspielkunst. – Also Gefühl, Verstand, Aura, diese drei …!
Man sage, so Handke weiter, viele Menschen seien eine gute Haut. Harzers begnadetes Spiel sei auf der Suche nach dem guten Menschen. Es erinnere ihn an Oskar Werner und Albin Skoda, die er als Schulkind erlebt habe. Und an ein Fußballbuch von Rohr Wolf. Darin der Satz: „Netzer kam aus der Tiefe des Raums.“ So sei es mit Harzer auf der Bühne.
Die Matinee rundete ein Klarinetten-Solo von Jörg Widmann. Und natürlich ein Füllhorn von signifikanten Szenenausschnitten auf der Videowand – Harzers ein Vierteljahrhundert umspannende Bühnenarbeit; Kino und Fernsehen blieben ausgespart. Und schließlich eine Harzer-Lesung: „Unverhofftes Wiedersehen“ von Johann Peter Hebel, ein 1811 erschienener, zart melancholischer Text über das Glück und die Katastrophe, tapfere Trauer und innige Liebe über den Tod hinaus. Standing Ovations.
Die Geschichte des Iffland-Rings geht zurück auf die Zeit um 1875 und ist benannt nach dem Schauspieler August Wilhelm Iffland (1759–1814), ein taffer Gebrauchsdramatiker der Goethezeit und Franz Moor in der Uraufführung von Schillers „Räubern“, Mannheim 1782. Der erste Ring-Träger war Ludwig Devrient, er starb 1832. Bruno Ganz erhielt den Ring 1996 vom Burg-Schauspieler Meinrad.
Die Satzung verlangt, dass der Träger den Nachfolger bestimmt in einem erst nach seinem Tod zu öffnenden Brief. Der (zu hinterfragenden) Tradition nach soll der in einer rotsamtenen Kapsel aufbewahrte Ring stets an einen männlichen deutschsprachigen Schauspieler gehen. Die Preziose (Eisen, Halbedelstein mit Iffland-Profil, 28 Diamantsplitter) ist seit den 1950er Jahren „zweckgebundenes Eigentum“ der Republik Österreich. Jens Harzer hat jetzt drei Monate Zeit, in einem Schreiben den Nach-ihm-Träger (oder die Trägerin?) zu benennen und die versiegelte Nachricht amtlich zu deponieren. Sie bleibt sein Geheimnis bis zum Tod.
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Dietrich und Piaf, das geht gar nicht. Und doch, es geht. Geht sogar wunderbar, zuweilen gar hinreißend jetzt im Berliner Renaissance-Theater auf der Bühne in Existenzialisten-Schwarz vor einem raffiniert Vexierbilder zaubernden Riesenspiegel mit den beiden so stimmstarken wie ausdrucksmächtigen Schauspielerinnen Vasiliki Roussi als Edith Piaf und Anika Mauer als Marlene Dietrich. Wow!
Im wirklichen Leben ging es nicht durchweg wunderbar und hinreißend zu zwischen den so extrem gegensätzlichen Großkünstlerinnen. Sie waren befreundet, seit sie sich 1947 in New York erstmals begegneten. Da muss es sofort gefunkt haben – trotz oder womöglich gerade wegen der gigantischen Unterschiede: Hier die 14 Jahre ältere Dietrich, Stil-Ikone, längst ein Weltstar, von Kopf bis Fuß eine Dame aus gutbürgerlichem Hause, preußisch disziplinierte Offizierstochter; dort die aus der Gosse kommende, von Drogen Zerzauste mit den kurzen Beinen, die sich unter Qualen mit unglücklichen Liebschaften und existenziellen Abstürzen gerade aufraffte zum Weltruhm. Aber beide konnten ganze Konzerthallen zum Kochen bringen. Oder zum Weinen.
Es war eine schwierige Freundschaft, eine Irgendwie-Liebe. „Sie hatte mich gern, aber ich glaube, sie konnte nur Männer lieben“, sagte die Dietrich, Trauzeugin einer der vielen kurzlebigen, oft völlig unmöglichen Piaf-Ehen, Sie schenkte ihr ein Kreuz mit Smaragden und kümmerte sich „wie eine Kusine vom Land“ um die Jüngere, schwerst Gefährdete, die „ihre Kerze immerzu an zwei Enden anzündete“. Schließlich gab sie sie auf „als ein verlorenes Kind“. Immerhin trug Marlene bis zu ihrem Tod einen Zettel bei sich mit Ediths Krakelschrift: „Vergiss nie, dass ich dich liebe.“
Der mit „Spatz und Engel“ übertitelte Abend beginnt als eine Art Ouvertüre mit einer Situation anno 1960. Die Dietrich hat ein Konzert in Baden-Baden, die Piaf nebenan eins in Straßburg. Doch Marlene will nichts wissen von einem Treffen mit der alten, längst verwehten, schmerzensreichen Freundschaft.
Dann folgt der Sprung zurück über Kontinente und Zeiten ins Jahr 1947 nach New York, wo es heftig begann mit den beiden. Marlene als karrierestützende Übermutter mit heftigen, durchaus willkommenen erotischen Einschlägen. Ob nun lesbisch oder nicht bleibt aktenmäßig ungeklärt. Dennoch wird die ganze schöne Zweistunden-Veranstaltung hindurch mit den vom Boulevard befeuerten Spekulationen gespielt. Eigentlich überflüssig. Ob oder ob nicht – was soll’s!
Ansonsten freilich werden die göttlichen Aufs und infernalischen Abs der Piaf samt den hilfreich-hilflosen Reaktionen der Dietrich szenisch grob angerissen. Als ergänzende Stichwortgeber agieren die beiden Charakterspieler Ralph Morgenstern und Guntbert Warns. Im fliegenden (Kostüm-)Wechsel sind sie unter anderem Kellner, Boxer, Manager, Ehemänner und gelegentlich sogar Sänger. Lauter starke, präzis gesetzte Miniauftritte als feine, gegebenenfalls grobe Rahmung für die Diven, die wiederum mit ihrer immergrünen Hitparade fest im Mittelpunkt stehen. Es sind die Stationen der Konzerte in Las Vegas, London, Paris … Es sind die Lieder „Padam, Padam“, „La vie en rose“, „Mylord“, „Le Chevalier de Paris“, „Schöner Gigolo“ …
Die glühend schöne Deutsch-Griechin Vasiliki Roussi packt – im Zentrum des Zweistunden-Abends – auf ihre großartige, bewundernswürdige Weise den Piaf-Sound zwischen ätzendem Herzschmerz und trauerndem Weltschmerz, zwischen kindlicher Sehnsucht, gieriger Lust, himmlischer Euphorie, verzweifelter Depression und rüdem, ja gossigem Rotz-Trotz.
Kontrapunktisch dazu Anika Mauer bei aller Gefühlswärme in divenhafter Coolness, lakonisch, berlinisch-sarkastisch, lebensklug und weise. Und immer irgendwie Göttin. Wunderbar! Mit zuletzt spektakulärem Auftritt einer Statue gleich im hauteng weltberühmten Glitzerkleid und dem immer wieder ins Mark gehenden „Sag mir, wo die Blumen sind“.
Der Regisseur Torsten Fischer, die Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos und die Musiker Harry Ermer am Klavier und Eugen Schwabauer das Akkordeon vor der Brust – nur zwei, die groß Wirkung machen –, haben sie samt den Damen und Herren von Schauspiel wie Gesang alles richtig gemacht mit dieser im Schnelldurchlauf erzählten „Geschichte der Freundschaft zwischen Marlene Dietrich und Edith Piaf“, so die Ansage dieses „Theaterabends mit Musik“ von Daniel Große Boymann und Thomas Kohry nach einer Idee von David Winterberg.
Freilich, es ist ein toller Liederabend mit ein bisschen Theater geworden. Eigentlich schade, der Stoff sowie dieses Casting hätten das Zeug zum richtig großen Theater nebst adäquater Musik. Winterbergs Idee wäre enorm ausbaufähig …
Sei’s drum, wir sind auch so auf unsere Kosten gekommen. Klasse Entertainment, das Publikum reißt es vom Sessel. Nach „Non, je ne regrette rien“ ganz am Schluss als gezieltem Rausschmeißer gibt es überhaupt kein Halten mehr im prächtigen Art-déco-Saal.
Schlagwörter: Anika Mauer, Edith Piaf, Iffland-Ring, Jens Harzer, Marlene Dietrich, Reinhard Wengierek, Renaissance-Theater Berlin, Torsten Fischer, Vasiliki Roussi