von Joachim Lange
Peter Konwitschny gehört schon lange zu den Großen der Branche. In Halle hat er jetzt Händels „Julius Cäsar in Ägypten“ als Hauptbeitrag der Oper zu den Händelfestspielen inszeniert. Derzeit bereitet er an der Dresdner Semperoper Meyerbeers „Hugenotten“ vor. In Halle war Konwitschny von 1986 bis 1990 Hausregisseur am damaligen Landestheater und schon dort mit seinen Händel-Inszenierungen erfolgreich, bevor er mit seiner Karriere durchstartete und zu einem der gefragtesten deutschen Regisseure wurde. Allein, dass Konwitschny der Einladung in die Händelstadt gefolgt ist, wird in Halle als Erfolg von Intendant Florian Lutz in den heftigen Auseinandersetzungen um die Zukunft der TOOH Halle gewertet.
Vor der Premiere gab Peter Konwitschny dem Verfasser in einem ausführlichen Interview unter anderem Auskunft über die Relevanz der Oper, seine Auffassung von Werktreue und darüber, dass man in jedem Falle Deutsch singen sollte, für ein deutschsprachiges Publikum. Auf die Frage, wie relevant Oper heute ist, meinte Konwitschny, dass die Bedeutung der Oper heute eher noch zu nimmt. „Mit dem, was sie uns lehren kann. Nehmen Sie Händels ‚Julius Cäsar‘: Da sieht man, wie sich idiotische Machthaber bekriegen und sich dabei sogar die Köpfe abschlagen. Und die normalen Menschen haben darunter zu leiden. Die Welt hat sich gar nicht verbessert. Sie hat sich eher noch verschlechtert, weil die Auswirkungen einer solchen Ausübung von Macht größer sind. Das sind die Geschichten in der Oper! Wenn Intendanten, Regisseure oder eine ganze Kulturpolitik das nicht wahrhaben wollen, dann ist das nicht die Schuld der Autoren. Es ist ein schlimmer Umgang mit dem kostbaren Material. Es macht uns doch nur klüger, wenn wir diese Konflikte zur Kenntnis nehmen und nicht nur zur billigen Unterhaltung missbrauchen.“ So Konwitschny.
Zur Frage, was Werktreue für ihn bedeutet, meinte er: „Für mich ist Werktreue, mich den Absichten der Autoren verpflichtet zu fühlen. Aber – und das ist das Entscheidende – nicht im Buchstaben-, sondern im Bedeutungssinne. Man muss das, was vor ein-, zwei- oder dreihundert Jahren mit einem bestimmten Wort oder einer musikalischen Form an Bedeutung übermittelt wurde, übersetzen. Wenn ich das wörtlich übernehme, dann bin ich zwar treu, aber es ist absurd, weil es niemand versteht.“
Auf die Frage, ob zur Werktreue nicht auch die Originalsprache gehören würde, er aber im Julius Cäsar deutsch singen lasse, meinte Konwitschny: „Für mich ist es ganz einfach: es ist Unsinn einen Text vorzutragen, den das Publikum nicht versteht. Stellen Sie sich mal ein Schauspiel in einer fremden Sprache vor. Das wäre eine Veranstaltung, bei der man lernen kann, wie sinnlos das ist. Aber in der Oper wird das gemacht. Dafür gibt es viele Gründe und die sind alle asozial. Da wollen einfach Sänger ihre Rollen auf der ganzen Welt in der gleichen Sprache singen. Und Intendanten können, wenn einer ausfällt, von überall her einen Ersatz ranholen. Es ist eben alles auch eine Frage des Geldes. Außerdem: wenn hierzulande Italienisch gesungen wird, dann ist das auch kein Originalklang, sondern irgendein Sächsisch auf Italienisch. Man muss mal mit Ausländern in so eine Vorstellung gehen, die lachen sich tot. Theater ist zum Verstehen gemacht. Ich verstehe die Musik anders, wenn ich den Text verstehe. Ich kann nur sagen: mir steht es bis hier oben, wenn ich die Originalsprachler argumentieren höre….“ So Peter Konwitschny in seiner pointierten Art, seine Auffassungen auf den Punkt zu bringen.
Beim kurzen Prolog mit den obligaten Reden vor der Eröffnungspremiere der Händelfestspiele kamen (vor Cäsar) zunächst der Oberbürgermeisters von Halle Bernd Wiegand, der Kulturminister von Sachsen-Anhalt Rainer Robra und der britische Botschafter Sir Sebastian Wood (als zweiter, aktueller Festspielschirmherr neben dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff) zu Wort. Die ersten beiden unter anderem mit ausdrücklichen Glückwünschen an den Intendanten der Oper Halle Florian Lutz für den gerade erhaltenen Theaterpreis des Bundes für die Oper und ihren künstlerischen Kurs.
Dann kam Cäsar in Ägypten an. Im zivilen Anzug von heute. Mit dem U-Boot aus der Versenkung. Samt eifrig mitspielendem Chor (einstudiert von Markus Fischer). Dass Cäsar nicht nur kam, sondern auch sah und siegte, wie es in dem genialen Slogan heißt, behauptet zumindest der kleine Sextus am Ende. Der darf dann mit aufs U-Boot, wenn es heim nach Rom geht.
Vielleicht liegt es ja auch an diesem Image von Gajus Julius Cäsar, dass auch Händels Opernversion einen Spitzenplatz im Aufführungsverzeichnis des Meisters hält. Auch für Halle weist das bereits drei Inszenierungen auf – die letzte 1992. 2019 ist Cäsars Ankunft in Ägypten mit einer Rückkehr von Peter Konwitschny nach Halle verbunden. Der heute als Altmeister seiner Zunft allseits respektierte Regisseur, hatte hier schon 1984 mit „Floridante“, 1987 mit „Rinaldo“ und 1990 mit „Tamerlan“ Furore gemacht. Bei den letzten beiden war auch schon der Hallenser Helmut Brade der Ausstatter. Der zaubert diesmal vor einem Rundhorizont ein paar Pyramiden und Palmen auf die Bühne. Das reicht völlig, um die Ägypten-Assoziationen wachzurufen, die in jedem Zuschauer schlummern. Bis in diesen Teil der Welt verfolgt Cäsar persönlich den abtrünnigen Rivalen Pompejus – doch, dass ihm Cleopatras Bruder Ptolemäus Pompejus’ Kopf als Willkommensgeschenk präsentiert, geht dem Römer zu weit …
Gezeigt werden die Mächtigen dieser Welt, die damals wie heute bereit sind, über Leichen zu gehen, wenn es in ihr Kalkül passt; und die ehrgeizige Cleopatra, die selbst ein Liebesverhältnis eingeht, wenn es ihrem Kampf um die Macht nützt.
Konwitschnys Kunst besteht nun darin, all das ohne die große Video- oder Aktualisierungs-Show, mit ganz klassischen Theatermitteln so weit heranzuholen, dass man diese Oper ganz neu zu sehen meint. Klarer und echter jedenfalls als wenn es nur der Vorwand für eine Parade der Stars der Barockszene wäre. Er lässt sogar gegen den mittlerweile etablierten Trend auf Deutsch singen. Was verblüffend gut funktioniert, selbst wenn man eigentlich die Originalsprache Italienisch bevorzugt. Wohl auch, weil die Übersetzung von Werner Hintze musikalisch maßgeschneidert ist, manchmal witzig wirkt, aber nie peinlich ist. Konwitschny macht aus dem Kopf des Pompejus eine Stimme aus dem Jenseits und legt ihm die Arien des Sextus in den Mund. Sie werden zu Aufforderungen des Vaters an den Sohn, den Mord zu rächen.
Dieser singende Kopf taucht dafür an den unterschiedlichsten Stellen auf. Mal im Sand, mal auf seinem eigenen Grabmal, mal im Harem. Bei Sohnemann Sextus nimmt der Racheplan Form an. Der Junge fuchtelt zwar auch gerne mit einem Spielzeugschwert herum und mimt den Erwachsenen, eigentlich widmet er sich aber lieber seinem Spielzeugauto. Wenn er ein „richtiges“ Schwert in die Hand nimmt, dann fragt man sich, wo das Schwert mit dem Knaben hin will. Und doch kriegt er es hin, dass Ptolemäus am Ende zu Boden geht und seinen Kopf verliert, den die herzige Schwester Cleopatra dann an einer Palme aufhängt. Das sind zwar Bilder der Grausamkeit, aber keine grausamen Bilder. So wie das Staatsdinner, zu dem Ptolemäus lädt. Weil Cäsar sicherheitshalber vorkosten lässt, sind Kollateralschäden vorprogammiert: Die Vorkoster auf beiden Seiten gehen theatralisch zu Boden und aus Gründen der diplomatischen Optik muss auch noch der unschuldige Koch der Ägypter dran glauben. Die beiden Herren aber besaufen sich trotzdem gemeinsam … C’est la vie. Ein Coup ist die Idee, nach der Abreise Cäsars (also dem obligaten lieto fine) Cornelia und Cleopatra das hinreißend traurige Duett singen zu lassen, das im Stück eigentlich Cornelia und ihrem Sohn am Ende des ersten Aktes vorbehalten ist. „Nur weinen kann ich noch …“. So verhallt die Oper nach einem langen Abend. Bei Konwitschny haben damit die beiden jetzt ziemlich einsamen Frauen das letzte Wort. Der diesjährige Pultgast Michael Hofstetter inspiriert das Händelfestspielorchester zu einem präzisen Wechsel zwischen zupackender Theatralik und reflektierter Besinnlichkeit. Violinistin und Hornistin kommen für ihre Soli auf die Bühne. Vokal und darstellerisch ist dieser Cäsar nicht die Festspiel-Starparade, die es bei solchen Gelegenheiten ja auch schon gegeben hat, sondern eine solide Ensembleleistung. Die junge Vanessa Waldhart und die zupackende Svetlana Slyvia stellen sich den beiden Frauenrollen der Cleopatra und der Cornelia. Als Bariton ringt Grga Peroš um den (in den Koloraturen hörbar für eine hohe Stimmlage geschriebenen) Cäsar, der kurzfristig eingesprungene Tomasz Wija auf der Gegenseite um die von Ptolemäus. Die Partie des Sextus steuert als Kopf des Pompejus der einzige Counter in diesem Ensemble, Jake Arditti, bei, Benjamin Schrade ist ein hinreißend spielender Knabe Sextus.
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