von Sem Pflaumenfeld
Nun soll Greta Thunberg einen Nobelpreis erhalten. Das wird viele in ihren Meinungen über sie bestätigen. Sie ist ein Symbol für eine Jugend geworden, die nicht mehr verstanden werden möchte. Denn sie glaubt, dass sie von ihren Altvorderen nichts mehr lernen kann, und damit hat sie absolut recht.
Kurz vor der Wahl zum Europäischen Parlament Ende Mai zeigten sich Menschen, die sich wohl unterschiedlichen Generationen zuordnen würden, voneinander erstaunt. Ein Youtube-Video besonders machte deutlich, dass die gern so verfluchte Jugend Meinungen hat, die sie ausdrücken kann und möchte. Gern als die Hashtag-Generation beschimpft, die ihre Informationen aus den sozialen Medien zieht und kaum über Aufmerksamkeit für Texte länger als 240 Zeichen verfügt, wissen die jungen Menschen erstaunlich viel. Sie sind vor allem auch davon überzeugt, dass ihnen so schnell niemand etwas mehr beibringen kann. Auch damit haben sie leider recht. Ich unterrichte diese Menschen, und wir haben ihnen kaum etwas Substanzielles zu sagen. Wir können uns noch so sehr über die Oberflächlichkeit und fehlenden Inhalte bei Internetpersönlichkeiten, sogenannten Influencern, lustig machen. Aber die HB-Männchen-Haltung wird dann lächerlich, wenn auch die ihrer Eltern und Lehrerinnen und Lehrer nur aus heißer Luft bestehen.
Die CDU, die sich von dem Video des Youtubers Rezo in der Woche vor der Wahl so angesprochen fühlte, reagierte, wie es zu erwarten war. Annegret Kramp-Karrenbauer entblödete sich nicht zu fordern, die Jugend in ihren Ausdrucksmöglichkeiten einzuschränken. Philipp Amthor als ein junges Gesicht der Partei bewies ebenso, dass er weder seine Altersgenossen noch das Internet verstanden hatte. Die Witze über die Dinosaurier der sozialen Medien ließen nicht lange auf sich warten.
Denn es sind nicht die Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, die damit nicht umgehen können. Von den Demonstrationen von „#unteilbar“ bis zu den von „Fridays for Future“ haben diese bewiesen, dass sie sich nicht nur online verabreden und online diskutieren können, sie sind auch offline wortgewandter als ihre Eltern. Nach dem Schulmassaker von Parkland (Florida) vom 14 Februar 2018 begannen Proteste der überlebenden Mitschülerinnen und Mitschüler gegen die Waffengesetze in den USA und für mehr Schutz von Jugendlichen. Die Bewegungen nahm schnell an Fahrt auf, weil sie von politisch gebildeten und gut vernetzten Jugendlichen getragen wurden. Dass sich junge Menschen vor Massen ausdrücken, Interviews geben konnten und sich vor den Auseinandersetzungen nicht scheuten, wurde ihnen von den Medien zum Vorwurf gemacht. Die jungen Menschen von Fridays for Future wissen mit Kameras und Mikrofonen umzugehen, und das macht ihrer Elterngeneration Angst.
Nach dem Rahmenlehrplan für Politische Bildung, wie das Fach Sozialkunde im Bundesland Berlin genannt wird, gehört Demokratieerziehung als eine der wichtigsten Säulen der Bildung junger Menschen in die Schule. Als eine der Gefahren für die Demokratie sehen die Lehrbücher die sogenannte Politikerverdrossenheit an. Das soll heißen, dass Politiker als Repräsentanten der Demokratie in Deutschland nicht mehr das Vertrauen des Souveräns genießen und nun die Wahlverweigerung die Fundamente der parlamentarischen Demokratie in Deutschland gefährde. So weit ist das nachvollziehbar. Jedoch sind die jungen Menschen, die so angesprochen werden, gar nicht unzufrieden mit den Politikern, dafür kennen sie sie einfach nicht genug.
Die Unzufriedenheit formulieren die Generationen vor den Schulpflichtigen. Es sind nicht die jungen Menschen, die die Bundesregierung verfluchen und im Internet und auch außerhalb jegliche höfliche Umgangsformen vergessen. Junge Menschen mögen fluchen und sich gegenseitig beschimpfen, aber es sind ihre Großeltern, die den Hass ins Internet tippen. Auf Twitter liefert sich der US-Präsident mit der Welt regelmäßig einen Sandkastenstreit. Auf Facebook und Twitter wirken erwachsene Menschen nachtragend und infantil. Darum werden die Fotoplattformen wie Instagram beliebter, weil sie weniger Text und mehr Visualisierungen zulassen. Auch online flüchten Jugendliche vor ihren Eltern. Wenn wir Altvorderen auch nur einen Bruchteil dieser verhärmten Unzufriedenheit im Alltag wiederholen, ist es nicht verwunderlich, dass die Jugend nicht mehr mit uns sprechen möchte. Denn wir bieten ihr auch keine Alternative. Jungen Menschen schon von vornherein vorzuleben, dass es sich gar nicht lohnt, im Kapitalismus glücklich werden zu wollen, führt auf Dauer zu Frustrationen bei allen Beteiligten. Wir erziehen die nächsten Generationen geradezu dazu, sich mit wenigen Zeichen zu unterhalten. Denn in Unsinn gegossene Unzufriedenheit wird auch in epischer Breite nicht verdaulicher als mit 140 Zeichen.
Deswegen haben wir der jungen Generation auch nichts zu sagen, was für sie interessant sein könnte. Sie lesen in der Schule Bücher, die das bürgerliche Drama abgelöst haben. Auch wenn die Jugend sich in der Selbstüberschätzung eines Werthers wiedererkennen könnte, ist dramatisches Scheitern heute nicht mehr zeitgemäß. Aus den Känguru-Chroniken wissen wir, dass die Postmoderne nur noch nach „witzig“ und „nicht-witzig“ unterscheidet. Das bürgerliche Drama ist eine Farce geworden; wir lachen mit Juli Zeh über Diktatur oder Gewalt in Brandenburg. Die Toren sind am Ende so klug als wie zuvor, jedoch hatten sie Spaß bei der Kreisbewegung dahin. Wir genießen die Bewegung im Kreis sogar; der Schelm ist sich seiner bewusst. Selbst das Scheitern ist irgendwie auch ein Gewinn. Damit wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass das Leben doch einen Sinn hat. Wer für den Sinn zuständig ist, bleibt dabei offen. Wie Harry Potter uns lehrte, sind es jedenfalls nicht die Erwachsenen, die den Mut haben, die Welt zu retten.
Die jungen Menschen gehen auf die Straße und stellen Forderungen, weil sie an ihre Zukunft glauben wollen. Unsere Reaktion ist, dass wir über sie lachen und ihnen nicht zuhören. Im Gegenzug sollen sie von uns lernen, da wir doch um so vieles weiser sind. Doch wir haben den jungen Menschen auf der Straße gar nichts zu sagen, außer, dass wir keine Antworten geben können und bereits aufgegeben haben. Besonders der Hinweis auf die Schulpflicht wird dann lächerlich, wenn sie in der Schule lernen sollen, sich in der Gesellschaft als selbständig denkende Individuen zu bewegen. Den Rahmen dafür geben ihnen die Generationen dann vor ihnen vor. Dafür gibt es Rahmenlehrpläne. Jede Forderung an diese politisch so wachsame Generation, die für uns auf die Straßen geht, ist jedoch eine Bankrotterklärung für uns. Denn wir zeigen mit jeder Abwertung und jedem Schimpfen auf die Jugend, dass wir aufgehört haben, mit ihr geistig zu wachsen. Viele Sprüche sagen uns, dass wir die Welt unseren Kindern in die Hände geben sollen. Aber sobald sie bereit sind, die Welt wirklich zu übernehmen, sind wir zu feige, ihnen auch zu folgen. Das macht mich unzufrieden und zynisch. Jedoch nicht mit der Jugend, sondern mit uns Alten.
Schlagwörter: „Fridays for Future“, Demokratieerziehung, Greta Thunberg, Jugend, junge Generation, Sem Pflaumenfeld, Unzufriedenheit