22. Jahrgang | Nummer 12 | 10. Juni 2019

Antworten

Julian Assange, verfemter Whistleblower – Es gibt einen Moment des Durchatmens, ein schwedisches Gericht hat entschieden, dass es keinen neuen Haftbefehl gegen Sie stellen will und somit die Auslieferung nicht unmittelbar bevorsteht. Aber es gibt keine Entwarnung, in den USA wird an 17 neuen Anklagen auf Basis des Spionagegesetzes gegen Sie gearbeitet.
Sie werden alle Kraft brauchen, um sich zu wehren, dabei leiden Sie laut Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, schwer unter den Symptomen psychologischer Folter (freitag). Nils Melzer sagt, dass er in 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung noch nie erlebt habe, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammenschließt, um eine einzelne Person so lange und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu verteufeln und zu missbrauchen.
Whistleblower und Menschenrechte scheinen auch in der westlichen Demokratie nicht zusammen zu gehören.

Andrea Nahles, als Tiger gesprungen … – Das Wegmobben und Wegputschen von Parteichefs hat in der SPD ja durchaus Tradition. Zumindest in den letzten 25 Jahren. Da waren es immerhin „Sechs Gräber bis Kairo“ – Scharping, Schröder, Beck, Müntefering, Gabriel und Schulz.
Ihr Versuch, ein vergleichbares Schicksal durch vorgezogene Neuwahl als Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag noch etwas hinauszuzögern, hatte jedoch die Wirkung eines Brandbeschleunigers, und die innerparteilichen Umgangsformen gerieten dieses Mal dermaßen unter die Fuchtel des Gottes des Gemetzels, dass sogar ein tolldreister Aufrührer wie Kevin Kühnert sich ein „Ich schäme mich dafür“ abrang.
Unter den politischen Nekrologen besonders milde der der Kanzlerin, die Ihnen attestierte: „Sie ist Sozialdemokratin mit Herzblut, das kann man sagen. Aber ich finde, sie ist auch ein feiner Charakter.“ (O-Ton Nahles über Angela Merkel am 10. Dezember 2016: „Ich rieche ihre Schwäche.“)
Doch bevor das Übliche de mortuis nil nisi bene den Blick endgültig verklärt, hier noch mal kurz Eckpunkte Ihrer Bilanz:

  • Oktober 2018, Bayern-Wahl: Die SPD verlor elf Prozent, wurde quasi halbiert und zog mit 9,7 Prozent gerade noch als fünftstärkste Kraft in den Landtag ein.
  • Europawahl: 15,8 Prozent (fast minus zwölf Prozentpunkte) – das bundesweit schlechtestes Ergebnis ever.
  • 1,3 Millionen bisherige SPD-Wähler liefen bei dieser Europawahl (im Vergleich zur Bundestagswahl 2017) zu den Grünen über und mehr als zwei Millionen verkrümelten sich im Lager der Nichtwähler.
  • Nur acht Prozent von den 18- bis 24-jährigen wählten SPD, und bei den Erstwählern landete Ihr Schrumpfverein mit sieben Prozent sogar noch hinter der Satirepartei DIE PARTEI.
  • Unter Ihrer Führung gelang trotz Respektrente nicht mal ein Erfolg bei den Rentnern: die über 70-jährigen wählten nur zu 24 Prozent SPD.

Insofern kommt nicht nur Ihr Abgang wahrscheinlich zu spät, sondern war das Kind bereits mit Ihrem Ämterantritt in den Brunnen gerauscht.

Katja Kipping, Realitätsferne – Vielleicht liegt es ja an uns, dass wir nicht alle Ihre Statements verfolgt haben… Aber wenn immer wir Sie im TV sehen konnten, analysierten Sie mit Verve die Probleme und Schwächen anderer Parteien. Geht’s noch? Die Linke eilt auf die Bedeutungslosigkeit zu, scheint keinerlei eigene politische Initiativen, geschweige denn vernünftige Strategien mehr zu haben und Sie analysieren statt eigenen Scheiterns andere Parteien. Die NachDenkSeiten haben über Ihre Strategie nachgedacht, den Grünen in den Städten Stimmen der bürgerlichen Mitte entreißen zu wollen – und ihr krachendes Scheitern konstatiert.
Höchste Zeit zur Erde zurückzukommen!

Joseph Stiglitz, über den Kapitalismus Nachdenkender ehemaliger Weltbanker – Sie wollen den Kapitalismus vor sich selbst retten. Sagen, dass das neoliberale Modell krachend gescheitert ist, verweisen auf wachsende Unterschiede zwischen arm und reich. Sie schlagen einen „progressiven Kapitalismus“ vor, der die Vorteile des Marktes würdige, aber auch seine Grenzen erkenne und daher dafür sorge, dass die Wirtschaft zum Wohle aller funktioniert. Sie verlangen mehr staatliches Eingreifen, um die schädliche Rolle der Großkonzerne einzuhegen.
Was wiegen derzeit solche Gedanken, wenn Profitinteressen und die „Zwänge“ der „Märkte“ regieren? Die Beschreibung des „progressiven Kapitalismus“ klingt aber wie modernere sozialistische Vorstellungen, wer hätte das gedacht…

Friedgart Kurze, eine der bekanntesten völlig Unbekannten – Ihren Namen kannten in der DDR nur wenige, Ihre Stimme hingegen – jedes Kind! Und zwar durch etliche Generationen! Wenn am Samstagabend aus der Glotze das unvergessliche „Nak nak nak“ ertönte, dann war beim Abendgruß des Sandmännchens Pittiplatschs liebste Plaudertasche angesagt – Schnatterinchen. Die war das unverdrossene Korrektiv des frechen Kobolds, aber nie moralinsauer, sondern immer liebenswert.
Sie hatten die dottergelbe Entenpuppe Ende der 1950er Jahre zusammen mit Ihrem Kollegen Heinz Schröder erfunden, führten sie und liehen ihr vor allen Dingen Ihre Stimme. Fernsehpremiere war 1959 in der Senderreihe „Meister Nadelöhr“. Schluss war nach der deutschen Vereinigung, als mit dem Fernsehen der DDR auch Ihr Kollektiv abgewickelt wurde. Wiederholungen alter Sendung laufen jedoch bis heute auf Kika, im rbb und im MDR.
Nun sind Sie kurz vor Ihrem 91. Geburtstag in Berlin verstorben, doch seien Sie gewiss: Das „Nak nak nak“ klingt als ewiges Hintergrundrauschen zum Sound unserer Kindheit in unseren Ohren fort …

Mieze Schindler, eine Krone der Schöpfung (von Menschenhand) – Allein Ihr Duft ist schon betörend und erst Ihr Geschmack! Der straft alles, was heute als Erdbeeren unters Konsumentenvolk gefakt wird, Lügen. Gezüchtet wurden Sie aus den Sorten Lucida Perfecta und Johannes Müller an der Höheren Staatslehranstalt für Gartenbau in Pillnitz vor den Toren Dresdens von Otto Schindler im Jahre 1925. Schindler war dortselbst Professor und Direktor. In Ihrem speziellen Fall züchtete er in erster Linie für den Gaumen seiner Frau und benannte Sie folgerichtig nach dieser.
Leider hat Ihr göttliches Aroma seinen Preis: Transport- und Lagerfähigkeit lassen stark zu wünschen übrig. Also ungeeignet für Massenproduktion mit anschließendem Fernversand und daher längst verschwunden in der Versenkung.
Doch nun sind Pflanzen im Handel wieder zu erhalten. Das war der Berliner Zeitung am 3. Juni eine Meldung wert: „Mieze Schindler, 94, startet eine neue Karriere.“
Völlig unerwartet fügte das Blatt allerdings hinzu und dürfte damit selbst einschlägige Experten überrascht haben: „30 Jahre lang war sie (Mieze Schindler – die Redaktion) fast vergessen, was daran lag, dass sie eine DDR-Pflanze war.“
Hä?
Na dann halt vorwärts zur Anpflanzung von Mieze Schindler zu Ehren des 94. Jahrestages der DDR am 7. Oktober. Dann vielleicht mit selbst gemachter Konfitüre zum Frühstück …