22. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2019

Vom Brettl-Poeten zum „Alex-Spezialisten“

von Bettina Müller

Eine Bibliographie des Schriftstellers Leo Heller – er lebte von 1876 bis 1941 – zusammenzustellen, ist kein leichtes Unterfangen, aber notwendig, wenn man sich der längst überfälligen Biographie eines vergessenen Autors annähern will. Relativ schnell merkt man: Der Mann war workaholic, der Zeitschriften und Zeitungen mit seinen Werken geradezu überflutet hat, etliche Gedichtbände und kriminalistische Sammelbände veröffentlichte und der dabei eine erstaunliche Entwicklung machte, die man anhand der Bibliographie sehr gut nachvollziehen kann.
1901 ließ Heller sein altes Leben hinter sich und zog von Prag nach Berlin. Nun gab es für ihn kein Halten mehr. Ein Jahr später erschien auch schon sein erstes Buch, „Volkslieder in modernem Gewand“, veröffentlicht in der „Bunte Brettl- und Theaterbibliothek“. Der junge Mann, geboren 1876 in Wien als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Fabrikanten, verschrieb sich zunächst mit Leib und Seele der „Brettl-Dichtung“ und verfasste erste „Dirnen- und Gassenlieder“, mit starker Sozialkritik, manchmal durchaus gepaart mit tiefschwarzem Humor und zumeist verpackt in Versform, dargeboten oder gesungen auf Brettl-Bühnen von damals berühmten Diseusen wie zum Beispiel Bożena Bradsky. Dieses Kleinkunst-Genre hatte seinen Ursprung in Frankreich, Ernst von Wolzogen brachte es am Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin. Die dazugehörige Poesie war jedoch gedruckt schwer an den Verleger zu bringen, die Zensur war in der Kaiserzeit noch unerbittlich.
Der nächste Gedichtband erschien daher in Zürich, wo man etwas toleranter war. Munter ging es mit Hellers Werken weiter: „Garben“ (1906), „Präludien der Liebe“ (1907), „Neue Lieder“ (1908) und so weiter und so fort. Die „Poetenphase“ hielt noch länger an. Während des Ersten Weltkriegs überkam Heller ein Anflug von eigentlich unverzeihlichem Patriotismus in unerbittlicher Versform, den man am besten schnell wieder vergisst. Noch vor dem Krieg hatte er Regina Friedländer geheiratet und sich in Berlin dauerhaft eingerichtet. Um 1914 schrieb er die ersten Artikel, die sich mit dem Thema „Kriminalität“ befassten, zum Beispiel „Eine Nacht im Zimmer 86. Der Dienst im Berliner Polizeipräsidium“, „Eine Razzia mit der Berliner Kriminalpolizei“ oder „Berliner Polizeigefängnisse“, alle erschienen im Neuen Wiener Journal. Schwerpunkt seiner Arbeit war diese Thematik damals jedoch noch nicht.
Von jeher hatte Heller keinerlei Berührungsängste, was dann auch den nächsten und nur natürlichen Karriereschritt erklärt: die endgültige Hinwendung zum Thema „Verbrechen und Verbrecher“. „Berlin, Berlin, wat macht et? Mit eenem Ooge weent et, mit eenem Ooge lacht et“, betitelte er seinen Sammelband „Neue Lieder aus dem Berliner Norden“, der 1922 im Verlag des Kurt Ehrlich erschien. Heller zeigte keinerlei Scheu, sich zu Recherchezwecken in „anrüchigen“ Stadtvierteln herumzutreiben. Schon als junger Mann war er wegen des Besuchs eines „verpönten“ Lokals von der Schule verwiesen worden. Die investigativen Streifzüge auf den Straßen und in den Kaschemmen von Berlin und die sich daran anschließenden Reportagen über die Berliner Unterwelt führten in den 1920er Jahren dazu, dass Heller, mittlerweile Journalist beim 8-Uhr-Abendblatt, in Anlehnung an das Berliner Polizeipräsidium am Alexanderplatz, den Spitznamen „Alex-Spezialist“ verpasst bekam. Heller knüpfte dort Kontakte, so dass er die Beamten sogar bei nächtlichen Razzien begleiten durfte.
Es ist bezeichnend für diesen flexiblen Journalisten, dass er nicht nur der Polizei, sondern auch „dem Verbrecher“ gegenüber stets den richtigen Ton im Umgang fand und sich ihm ohne Vorbehalt näherte, um so möglichst authentische Ergebnisse zu erzielen. Diese Begegnungen führten schließlich zu mehreren Sammelbänden über die Berliner Verbrecherwelt, die Heller teilweise mit Ernst Engelbrecht geschrieben hat, dem Leiter der Berliner Streifmannschaft, mit dem er befreundet war. (Der aus Düsseldorf stammende Kriminalkommissar Engelbrecht trat 1933, wie so viele seiner Kollegen, in die NSDAP ein, 1945 kam er im Sowjetischen Speziallager Nr. 3 in Berlin-Hohenschönhausen ums Leben.)
Der große Erfolg, den Heller mit seinen Kriminalreportagen hatte, führte dazu, dass er Drehbücher für Stummfilme verfassen konnte. Schon 1920 machte „Falschspieler“ (mit Hans Albers) den Anfang, 1927 wurde die „Dirnentragödie“ mit Asta Nielsen zum Kassenschlager. Ebenso ist Heller als Autor etlicher Bühnenstücke nachgewiesen, er schrieb zum Beispiel die vier Einakter „Vom Venusberg zum Kreuzberg. Vier Bilder aus der Berliner Unterwelt“, die am 5. Mai 1929 im Trianon-Theater Premiere hatten, sowie Kabaretttexte und Chansons.
Kurze Zeit vor Hitlers Machtergreifung verließ Heller Berlin. Seine Frau war da bereits verstorben. Er übersiedelte in die alte Bäderstadt Teplitz, die Geburtsstadt seines Vaters Sigmund.Wenig später zog er nach Prag zu seiner ledigen Schwester Ellen. Am 31. Januar 1941 erlag Leo Heller in Prag einem Nierenleiden. Seine Urnengrabstätte auf dem evangelischen Friedhof Praha-Strasnice wurde 1973 aufgelöst.

Bis heute sind die Werke Leo Hellers nicht wieder aufgelegt worden. Vor kurzem konnte die Autorin im 69. Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte eine bis dato überfällige ausführliche biographische Skizze vorlegen.