von Jerry Sommer
In ihren Wahlprogrammen sprechen sich CDU/CSU, SPD und FDP für gemeinsame Streitkräfte der EU-Staaten aus – als mittel- bis langfristiges Ziel. Bei den konkreteren Schritten hin zu einer EU-Verteidigungsunion gehen die Meinungen dieser Parteien aber auseinander.
Beispiel Rüstungsausgaben: Unionsparteien, FDP und auch AFD stehen fest zum NATO-Ziel, die Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer kritisierte, dass andere Parteien diese Zielplanung nicht einhalten wollen: „Wenn die Spitzenkandidatin der SPD sonntags das Hohelied der gemeinsamen Verteidigung singt und montags erklärt, man könne aber das Zwei-Prozent-Ziel der NATO der Bevölkerung nicht zumuten, dann ist das ein klassisches Beispiel davon, dass Handeln und Sagen nicht zusammenpasst.“
Die FDP-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Europa-Parlament, Nicola Beer, wirft sowohl CDU/CSU als auch der SPD vor, das Zwei-Prozent-Ziel nicht ernst zu nehmen: „Man kann nicht zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Verteidigungsausgaben zusagen und dann unbekümmert wie die Bundeskanzlerin und der Finanzminister jüngst in Washington tönen, wir erreichen 1,5 Prozent oder weniger. Wer so agiert, braucht sich nicht zu wundern, wenn er vorgeführt wird.“
Das NATO-Ziel von zwei Prozent würde bedeuten, den deutschen Verteidigungshaushaltes von gegenwärtig 43 Milliarden auf über 60 Milliarden Euro zu erhöhen. Die Grünen schreiben in ihrem Wahlprogramm dazu: „Forderungen aus der NATO, die deutschen Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern, lehnen wir ab.“
Auch die Linke kritisiert einen solch massiven Anstieg. Die Partei weist darauf hin, dass die europäischen NATO-Staaten dem vermeintlichen Gegner Russland konventionell haushoch überlegen sind. Die russischen Militärausgaben betrugen nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI im vergangenen Jahr knapp 55 Milliarden Euro – die EU-Staaten gaben mehr als dreimal so viel aus. Die Spitzenkandidatin der Linken für das Europaparlament, Özlem Demirel: „Wir wollen Abrüstung statt Aufrüstung, wir wollen soziale Gerechtigkeit, soziale Mindeststandards in Europa durchsetzen.“
Die SPD verhält sich ambivalent zu dem Zwei-Prozent-Ziel. Spitzenkandidatin Katharina Barley: „Die Aufwüchse bis zu zwei Prozent sind gewaltig, das sind hohe zweistellige Milliardenbeträge. Das ist ehrlich gesagt in der momentanen Lage und gegenüber der Bevölkerung kaum zu vermitteln.“
Aber höheren Militärausgaben hat die SPD in den vergangenen Jahren immer zugestimmt. So gab es in der Großen Koalition keinen Streit über den EU-Beschluss zu PESCO – also über die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ bei verteidigungspolitischen Fragen. 25 EU-Staaten haben sich 2017 zu einer – so wörtlich – „regelmäßigen realen Aufstockung der Verteidigungshaushalte“ verpflichtet. Ebenfalls ist in der PESCO-Vereinbarung das Ziel enthalten, als Richtwert zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungsbereich auszugeben.
Im Europa-Wahlkampf jedoch gehen die Meinungen zwischen den Regierungsparteien auseinander. Kramp-Karrenbauer hat sich zum Beispiel dafür ausgesprochen, einen gemeinsamen europäischen Flugzeugträger zu bauen – ohne jedoch zu erläutern, wofür der notwendig sein könnte. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles bezeichnete ein solches Vorhaben als „rüstungspolitisches Abenteuer“.
Im EU-Parlament stimmten im März die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken gegen die Einrichtung eines „Europäischen Verteidigungsfonds“. Der Antrag erhielt trotzdem eine Mehrheit. Mit diesem Verteidigungsfond sollen erstmalig aus dem EU-Haushalt in den nächsten Jahren über 13 Milliarden Euro für gemeinsame Rüstungsforschung und Rüstungsbeschaffungen ausgegeben werden.
Die CDU/CSU befürwortet den Europäischen Verteidigungsfond als einen wichtigen Schritt zur rüstungspolitischen Integration. Die AFD lehnt ihn ab, fordert dafür aber mehr eigenständige deutsche Ausgaben bei der Rüstungsforschung und verlangt neue Beschaffungsprogramme.
Während die Linke den Verteidigungsfond als Ausdruck einer Militarisierung der EU prinzipiell ablehnt, kritisieren Grüne und SPD, dass damit nicht, wie behauptet, Geld in den nationalen Haushalten eingespart werde würde. Die EU-Mittel seien reine Subventionen für die Rüstungsindustrie. Zudem wird befürchtet, dass die so geförderten Waffensysteme auch an autoritäre Regime geliefert werden könnten.
Unterschiedlich in den Wahlprogrammen sind auch die Aussagen zu den Themen europäische Rüstungskooperation und Rüstungsexporte. CDU und CSU treten für mehr gemeinsame Rüstungsprojekte sowie für eine gemeinsame europäische Rüstungsexportrichtlinie ein. Wiederholt haben führende CDU/CSU-Politiker sich zum Beispiel gegen einen vollständigen deutschen Exportstopp für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien ausgesprochen. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt formulierte das im ARD-Morgenmagazin so: „Wenn wir in der Außen- und Sicherheitspolitik uns in Europa aus gutem Grund besser aufstellen wollen, weil wir eben nicht wissen, wie es mit Amerika weitergeht, dann müssen wir auch ein Stück weit in dieser Frage akzeptieren, was Franzosen und Briten und andere denken.“
Die Sozialdemokraten sehen Rüstungsexporte in Krisenregionen kritisch. Jedoch haben sie in den vergangenen Jahren trotz des Jemen-Krieges Waffen- und Komponentenlieferungen an Saudi-Arabien und seine Bündnispartner zugestimmt. Die SPD-Vorsitzende Nahles wehrt sich gegen den Vorwurf, ihre Partei sei anti-europäisch, weil sie Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien eigentlich prinzipiell ablehne: „Für die SPD ist klar, wir wollen eine restriktive Rüstungspolitik und Rüstungsexportpolitik, und wir wollen keine europäischen Waffen in Kriegsgebieten. Das ist unsere Haltung“.
Im Wahlprogramm der SPD wird eine europäische Regelung für Rüstungsexporte gefordert. Allerdings gibt es schon jetzt eine entsprechende, wenn auch in vielen Punkten schwammig formulierte EU-Rüstungsexportrichtlinie – den sogenannten Gemeinsamen Standpunkt vom Dezember 2008. Das Dokument legt unter anderem fest, dass der Export von Rüstungsgütern zu untersagen ist, wenn ein „eindeutiges Risiko“ besteht, dass diese zur Verletzung des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden könnten. Im Krieg der saudi-arabischen Koalition in Jemen besteht dieses Risiko zweifellos seit langem. Trotzdem exportieren Briten und Franzosen weiter Rüstungsgüter an die Saudis – und Deutschland liefert für gemeinsam hergestellte Waffensysteme Komponenten an Großbritannien und Frankreich.
Deshalb fordern die Grünen, Verstöße gegen die EU-Rüstungsexportgrundsätze zu ahnden. Generell – so die Grünen – dürften aus der EU keine Waffen in Kriegs-und Krisengebiete sowie an Diktaturen geliefert werden.
Die Linke sieht das genauso und fordert zudem in ihrem Wahlprogramm: „EU-Mitgliedstaaten, die die EU-Vorschriften für Waffenexporte nicht einhalten, müssen mit Sanktionen bestraft werden.“
Die AFD lehnt ebenfalls Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ab, fordert dafür aber höhere Ausgaben für die deutsche Rüstungsindustrie.
Die FDP begrüßt zwar den verhängten Exportstopp für Rüstungsgüter aus komplett deutscher Produktion nach Saudi-Arabien. Die Liberalen treten jedoch für eine Lockerung bei europäischen Rüstungsprojekten ein. Der FDP-Politiker Michael Theurer forderte die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, „wenn Genehmigungen schon erteilt worden sind, dass dann die Komponentenhersteller aus Deutschland auch liefern können“.
Und welche Aussagen gibt es in den Wahlprogrammen zu Atomwaffen?
Die Unionsparteien lassen wissen, dass sie bei der Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen die Zusammenarbeit mit Russland anstreben. Begrüßt wird zudem die transatlantische Rückversicherung durch die NATO, die Atomwaffen für gegenwärtig unverzichtbar hält.
Die SPD wendet sich nach dem voraussichtlichen Ende des INF-Vertrages gegen die Stationierung neuer nuklearer landgestützter Mittelstreckenraketen in Europa.
Die Grünen fordern, die EU müsse sich für ein atomwaffenfreies Europa einsetzen.
Und die Linke bekräftigt in ihrem Wahlprogramm die Forderung nach Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland. Die Partei kündigt an, dass sie im Europäischen Parlament eine Initiative für eine atomwaffenfreie EU-Zone einbringen werde.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Sendereihe „Streitkräfte und Strategien“, NDR-Info, 4.5.2019.
Schlagwörter: Europa-Parlament, Jerry Sommer, Rüstung, Rüstungsexporte