von Günter Hayn
Passend am „Tag der Befreiung“ veröffentlichte die Berliner Zeitung eine fast ganzseitige Übersicht über die „Geldtöpfe der Parteien“. Die Autorinnen Christine Dankbar und Isabella Galanty wollten mit grafisch eindrucksvoll gestalteten Tortendiagrammen wohl auch dem Volksglauben entgegentreten, dass die Bundestags-Parteien allesamt an den Kanülen irgendwelcher Konzerne und Großbanken hängen, mithin kapitalgesteuert seien.
Den Anlass gab Daimler-Benz. Der Konzern kündigte im April (kein Scherz!) an, keine Spenden mehr an politische Parteien zu geben. 2018 zahlte der Autobauer noch 320.000 Euro – brav gesplittet zu je einem 100.000-Euro-Bündel an CDU und SPD; Grüne, CSU und FDP mussten sich mit jeweils 40.000 Euro zufriedengeben. DIE LINKE und die AfD bekamen nichts. Erstere klopft sich seit Jahren stolz wegen dieses Zustandes an die Brust, machte aus der Not eine Tugend und zurrte den IST-Zustand mit einem Parteitagsbeschluss fest. Man folgt dem Vorbild von Äsops Fuchs, dem die Trauben, an die er nicht herankommt, zu sauer sind und lehnt Wirtschaftsspenden tapfer ab. Lediglich 0,01 Prozent der Einnahmen der Partei resultieren aus Spenden „juristischer Personen“, bei der AfD sind es 0,91 Prozent. So lässt sich leicht die Jacke des Unbestechlichen überstreifen – aber bei genauerem Hinsehen zieht die Nummer nicht so richtig. Die SPD als einnahmestärkste deutsche Partei generierte auch nur 1,91 Prozent ihrer Mittel aus „Spenden von juristischen Personen“, auch bei der CDU lag die Quote bei deutlich unter zehn Prozent.
Das Geld der Parteien kommt woanders her.
Natürlich zahlen die Mitglieder Beiträge. Die höchsten Anteile haben die Etats der LINKEN (31,78 Prozent) und der SPD (31,12 Prozent), den niedrigsten Beitragsanteil steuern die Mitglieder der AfD zum Haushalt ihrer Partei bei (16,29 Prozent). Die anderen liegen zwischen 20 und 24 Prozent. Einen beinahe gleich großen Batzen wie die Mitgliederbeiträge stellen allerdings staatliche Mittel dar. 2018 flossen immerhin 165,36 Millionen Euro öffentliche Gelder in die Kassen der deutschen Parteien. Am unverblümtesten langen hier die zu, die sich einerseits brüsten, keine „Konzernknete“ anzunehmen und andererseits das politische System der Bundesrepublik mehr oder weniger heftig attackieren: Die AFD finanzierte sich 2017 zu 41,12 Prozent aus staatlichen Mitteln, DIE LINKE zu 38,62 Prozent. Die geringste Quote verzeichnete die CSU (27,16 Prozent), gefolgt von der SPD (29,62 Prozent). Diese Zahlungen sind im Parteiengesetz der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Das suggeriert absolute Transparenz. So dürfen die staatlichen Zuwendungen nach dessen § 18 Abs. 5 die Gesamtsumme der „selbsterwirtschafteten Einnahmen“ nicht überschreiten. Diese Kappungsgrenze erwischt aber in der Regel nur kleine Parteien, die zumeist weder im Bundestag noch in den Landtagen vertreten sind.
Das hat einen guten Grund: Zu den „selbsterwirtschafteten Einnahmen“ zählen neben den „normalen“ Parteibeiträgen auch die sogenannten „Mandatsträgerbeiträge“. Die haben Abgeordnete und Parlamentarier aller Ebenen, die irgendwelche Diäten oder Aufwandsentschädigungen erhalten, zusätzlich zu den eigenen Parteibeträgen zu leisten. Gesetzlich sind die nicht Pflicht, vor etlichen Jahren wurden sie auch noch Spenden genannt. Als „Spenden“ sind diese Gelder übrigens bis zu einer gewissen Höhe steuerlich absetzbar. Spenden sind freiwillig. „Mandatsträgerbeiträge“ nicht. Deren Höhe – die kann bis zu 20 Prozent der monatlichen Bezüge eines Abgeordneten betragen – wird per Parteibeschluss festgelegt. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim äußerte sich 2001 äußerst kritisch zu dieser Praxis. Dahinter stehe „unübersehbar die Auffassung, die Abgeordneten müssten ihrer Partei für ihre Nominierung danken. Selbstbewusste Abgeordnete […] würden sich das nicht gefallen lassen – und werden deshalb von vornherein gar nicht aufgestellt.“ Das mag nicht in jedem Falle zutreffen, erklärt aber sowohl die Konzentration bestimmter Berufsgruppen in deutschen Parlamenten als auch die Unterwürfigkeit vieler Abgeordneter.
Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes wurde de facto von den deutschen Parteien seines Sinnes entkleidet und zur Farce degradiert: „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Von Arnim erklärt so die viel beklagte intellektuelle Mittelmäßigkeit deutscher Parlamente. Nebenbei gesagt: Über die Verfassungswidrigkeit des „Fraktionszwanges“, den es natürlich nicht gibt, der aber bei „Gewissensentscheidungen“ immer wieder mal aufgehoben wird, denkt kaum mehr jemand nach.
Aber zurück zu den „Mandatsträgerbeiträgen“. Die werden natürlich aus steuerfinanzierten Geldern, die die Parlamente den Abgeordneten zur Sicherung der Ausübung ihres freien Mandates überweisen, gezahlt. Es sind öffentliche Mittel, die in die Parteikassen umgeleitet werden. Addiert man nun die Parteieinnahmen durch staatliche Mittel plus „Mandatsträgerbeiträge“ ergibt das für 2017 folgende steuerfinanzierte Bestandteile an den Parteihaushalten: SPD 45,41 Prozent, CDU 43,68 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen 58,78 Prozent, CSU 39,71 Prozent, FDP 57,29 Prozent, DIE LINKE 53,95 Prozent, AfD 44,73 Prozent.
Alle machen da mit. Und alle könnten ihren Laden dichtmachen, wenn Vater Staat tatsächlich den Geldhahn zudrehte. Macht er aber nicht. Das müsste von Parlamenten beschlossen werden, die fest in der Hand der Parteien sind. Deren willfährige Mägde und Knechte sorgen eher noch für ein erkleckliches Zubrot in Gestalt der sogenannten „parteinahen Stiftungen“.
Die sind „aus rechtlichen Gründen“ – wie der argumentative Konsens der politischen Klasse dieses Landes lautet – von den ihnen „nahestehenden“ (welch Euphemismus!) Parteien getrennt. Es geht wohl eher um die Verschleierung von Geldflüssen. Natürlich landen diese Mittel nicht in den Parteikassen. Mit denen werden aber Dinge bezahlt, für die ansonsten die Schatzmeister aufzukommen hätten: die Entwicklung der Parteiprogrammatiken zum Beispiel oder die „politische Bildung“ (Parteiwerbung ist ein zu garstiges Wort). So ganz nebenbei und mitunter ein wenig im Halbdunklen machen die Stiftungen auch knallharte Außenpolitik. Das Auswärtige Amt betreibt etwa 150 Botschaften. Die politischen Stiftungen sind mit rund 300 Vertretungen im Ausland präsent. Gelegentlich wehrt sich ein Gastland gegen unerbetene Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Aber das kommt eher selten vor. Selbst in fernen Ländern hat sich herumgesprochen, dass die großen Stiftungen recht eng mit der Bundesregierung verbandelt sind.
Das alles kostet Geld. Die Parteien zahlen „aus rechtlichen Gründen“ nicht. Der Anteil der staatlichen Zuwendungen an die Stiftungen liegt daher in der Regel bei über 95 Prozent ihrer Etats. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind es fast 100 Prozent. 2018 flossen mithin 581,4 Millionen Euro an die „parteinahen“ Institute. Konkret (in Klammern setze ich ebenfalls in Millionen Euro die Gesamteinnahmen der Parteien des Jahres 2017): Friedrich-Ebert-Stiftung 170,7 Millionen (SPD: 166,1), Konrad-Adenauer-Stiftung 167,1 Millionen (CDU: 156,7), Rosa-Luxemburg-Stiftung 64,1 (LINKE: 31,6), Hanns-Seidel-Stiftung 58,4 Millionen (CSU: 43,4), Friedrich-Naumann-Stiftung 57,6 Millionen (FDP: 38,7), Heinrich-Böll-Stiftung 63,6 Millionen (Grüne: 43,5). Auch diese Gelder muss man genau genommen addieren.
Die Arbeit der politischen Parteien dieses Landes ist also überwiegend steuerfinanziert. Sonstige mehr oder weniger verdeckte Quellen wie Fraktionszuschüsse – die natürlich ausschließlich der parlamentarischen Arbeit zugutekommen – oder Personalkosten zum „Parken“ oder Belohnen verdienter Parteifreunde auf staatlichen oder kommunalen Posten ignoriere ich jetzt.
Michael Kloß von der Arbeitsgruppe Politik bei Transparency International Deutschland forderte vor einiger Zeit, so DIE WELT im Februar 2018, die jährliche Publizierung eines Finanzberichtes für den gesamten Politikbetrieb: „Dieser sollte alle Zahlungen des Staates an Parteien, Fraktionen und Stiftungen enthalten.“ Kloß ist ein ehrenwerter Mensch. Aber sein Vorstoß gehört eher in „die alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat“. So fängt das Märchen vom Froschkönig an. Auch da geht es um Gold.
Ansonsten gilt, dass das „System“ (von Arnim) derzeit nur von denen geändert werden kann, die von ihm profitieren. Die Gemeinschaft der Beutegreifer lässt dazu bislang keinerlei Bereitschaft erkennen.
Schlagwörter: Günter Hayn, Parteienfinanzierung, politische Parteien, Stiftungen