von Thomas Behlert
In einer Zeit, in der deutsche (sic!), aber gesichtslose Schlagersänger behaupten, dass sie deutschen (2x sic!) Pop singen und ansonsten für keine politische Äußerung zu haben sind, Weezer ein neues Album mit 1980er-Jahre-Hits vollkleisterten und sich die großen Plattenfirmen vor handgemachtem Rock’n Roll ekeln, ist es dem kleinen und wunderlichen Label MIG-Music hoch anzurechnen, die noch heil gebliebene Welt mit knackigem Sound aus dem Rockpalast-Archiv zu überraschen.
Der Rockpalast brachte ab 1974 bis 1986 irgendwie Ost und West zusammen, denn viele Jugendliche saßen auf jeweils ihrer Seite (im Osten gleich in Gruppen) der Grenze mehrmals im Jahr vor der Glotze, um die vom WDR produzierte Sendung zu verinnerlichen. Sechs Stunden Rock, Blues, Hard Rock und Deutschrock und alles mit der legendären Begrüßung eingeleitet: „German Television proudly presents – Liebe Freunde, heute zu Gast bei unserem Rockpalast …“ Ins Leben gerufen hatte diese neuartige Musiksendung der 1937 in Berlin geborene und im Februar dieses Jahres verstorbene Peter Rüchel, der zunächst beim Schnarchsender ZDF als Redakteur arbeitete und danach ein Jugendprogramm für den WDR entwickeln konnte. In dieses bettete er eine halbstündige Sendung mit dem Namen „Rockpalast“, der am 23. Juli 1977 in der Grugahalle Essen eine erste lange Nacht folgte. Bereits da wussten die Zuschauer, was ihnen zweimal im Jahr blühen wird, denn die Nummer Eins entwickelte sich zu einem lauten, herrlich verrückten und sehr gitarrenlastigen Gebilde mit Thunderbyrd, Rory Gallagher und Little Feat.
Moderiert wurde die Sendung, die plötzlich die Nacht zum Tage machte und Zehntausende in der Halle und Millionen Fans – mit langen Haaren, zerrissenen Jeans und Alkohol – in Radio und TV mit Musik versorgte, von Albrecht Metzger und dem Londoner Alan Bangs. Letzterer führte außerdem in den Katakomben und Aufenthaltsräumen fast schon anarchistische Interviews mit den Künstlern. Scheitern tat Bangs allerdings an Patti Smith, die in Folge vier hackedicht nur durchs Bild purzelte und keine Frage klar beantworten konnte. Bangs, der im Vorfeld bereits die Radiolandschaft revolutionierte und dann doch von der Formatierung eingeholt wurde, überwarf sich schließlich mit Rüchel.
In den letzten zwei Jahren kündigten Ken Janz und Evi Seibert, an die man sich allerdings gar nicht mehr erinnern kann, die Musikkollektive an. Musikalisch trafen die Zuschauer in der bereits genannten Grugahalle, später auch in der Dortmunder Westfalenhalle, in der Zeche Bochum oder in der Hamburger Markthalle oft auf verdammt große Helden des Musikgeschäfts. Unvergesslich Alexis Korner (1975), ZZ Top, Bob Marley (1980), The Who, Grateful Dead (1981), Ton Steine Scherben (1982), Weather Report (1983) und sogar die einzige Ostcombo City, die 1977 neben Tom Waits, Chicago und Wallenstein keine schlechte Figur machte. Mit dem Rockpalast 1985 erlebten Rüchel und der WDR dann die absolute Pleite, denn Squeeze und Rodgau Monotones wollten in Essen nur noch 3000 Zuschauer sehen, wobei die TV-Einschaltquote bestimmt nicht viel höher lag.
Nun veröffentlicht MIG in regelmäßigen Abständen Aufnahmen von bekannten Bands, die die Zuschauer und -hörer in ihren Bann zogen und eben durch diese Konzerte aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken waren. Neben den Bluesrockern Big Country, den mit allerlei Werkzeug hantierenden Einstürzenden Neubauten, den krautigen Guru Guru, dem gut aufgelegten Bluessänger Muddy Waters, „Mister Reibeisenstimme“ Roger Chapman, der besten englisch singenden deutschen Band Epitaph, UFO, Man, der Paul Butterfield Band und Grobschnitt bereichern Musikkapellen das Sortiment, die mit den Konzerten vor den großen Acts für Furore sorgten, aber leider längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Erinnert wird an den niederländischen Blues- & Rockmusiker Herman Brood, an den besten unbekannten Gitarristen der Welt Roy Buchanan, der einstmals ein Angebot von den Rolling Stones ablehnte, an die Southern Rocker Charlie Daniels, Commander Cody und Dick Betts und den New Wave Interpreten Fred Banana.
Seit 1995 ist der „Rockpalast“ auferstanden, wobei man sich allerdings bei der ARD darauf beschränkt verschiedene Konzerte bei größeren Festivals (Wacken, Rock am Ring, Crossroads) zu präsentieren und den Mitschnitt dann zu mitternächtlicher Stunde vom Sonntag auf den Montag abspielt.
Aktuell bei Rockpalast WDR / MIG Music: Commander Cody Live 1980, DVD+CD; Chris Farlowe Live 2006, DVD+2 CD; Dick Betts & Great Southern Live 1978 & 2008, 2 DVD+3 CD; Jorma Kaukonen & Vital Parts Live 1980, DVD+2 CD; Jack Bruce Live 1980/1983/1990, 2 DVD+5 CD; Paul Butterfield Band Live 1978, DVD+CD; Dickey Betts & Great Southern Live 1978 & 2008, 2 DVD+3 CD.
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